Ausgabe Nr.
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J M upload 27.03.2019, Viva Edition 150 | Print article

Die Kanaren und ihre Töpferkunst

Töpfern gilt als kinderleicht! Nun gut, bei kritischer Beäugung meines ersten und einzigen Versuchs bekam der Ausspruch ‚Ästhetik liegt im Auge des Betrachters‘ eine tiefere Bedeutung. Doch die Freisetzung ungezügelter Kreativität erzeugt wahre Glücksgefühle, genauso wie die schöpferische Tätigkeit, von der angenehmen Haptik ganz zu schweigen. Diese Handwerkskunst hat eine sehr lange Geschichte, wie ein Fund in China rund um 20.000 v. Chr. belegt.1) Für die Menschen waren Keramiken wichtige Alltagsgegenstände und die Herstellung war nicht Hobby, sondern mühsames Schuften  …

Zeitreise: Töpferei der Altkanarier

Wie aus Chroniken der spanischen Eroberer hervorgeht, wurde die Töpferei (Alfarería) schon bei den Altkanariern betrieben. Die Archäologie lässt das Puzzle der teils wenig bekannten Geschichte des Lebens der Urbevölkerung stetig wachsen. Die Keramikfunde und dessen wissenschaftliche Analyse und Interpretation liefern wertvolle Informationen über die Ernährung, das Leben, den Alltag und die Gesellschaft (siehe Skizze re).

Gerade auf Gran Canaria wurden bei weitem die meisten archäologischen Fundstücke sichergestellt. Allein im Archäologiepark von Gáldar sind über 35.000 Objekte dokumentiert und archiviert.2)

Eine sehr umfangreiche Sammlung von Fundstücken aller Kanarischen Inseln, profund beschrieben und klar strukturiert, finden Sie im sehenswerten Museo Canario, wo der Arzt und Anthropologe Dr. Chil im Jahr 1901 mit seiner Pionierarbeit den Grundstein für die Entdeckungsreise der kanarischen Wurzeln legte.4)

Von Insel zu Insel

Die Gestaltung der Tongefäße ist vielfältig und variiert von Insel zu Insel in Ausführung, Gefäßart und Dekoration. Die fein polierten Oberflächen wurden häufig dekoriert, meist mit dem rotbraunen Rötel, oder sie wurden eingeritzt. Die Motive waren fast ausschließlich geometrisch, wie z. B. Linien, Dreiecke, Kreise etc. Es wurden Schmortöpfe (cazuela, guisando), Krüge, Kochtöpfe, Suppenterrinen (sopera), Pfannen, Teller, Räucherschalen etc. hergestellt. Neben den Alltagsgegenständen wurden auch andere Objekte angefertigt, wie beispielsweise die ‚Pintaderas’,5) eine Art Besitzmarken bzw. -stempel, sowie die symbolischen Figuren ‚ídolos’.6)

Erde, Wasser, Feuer - ‚Locero‘ anno dazumal

Frühmorgens machen sich Männer auf den Weg, um das benötigte Rohmaterial aus den Bergen zu schlagen. Die Nähe zur Tonerde (Barro canario) war für die Töpfereien vermutlich standortbestimmend. Auf dem Rücken trugen sie die schwere Last auf unwegsamen  steinigen Wegen zurück ins Dorf. Damit war ihre Arbeit vorerst getan, nur beim abschließenden Brennen war Männerarbeit wieder gefragt. Das Töpfern selbst übten einst nur Frauen aus und zwar auf dem Boden sitzend mit einer Steinplatte als Arbeitsfläche. Eine Drehscheibe kannten sie nicht und trotz der späteren Einflüsse durch die Spanier, kommt diese auch heute nicht zum Einsatz.

Auf zum ‚Backen‘

Das Gestein wurde im ersten Schritt in kleinere Steine zerschlagen. Nach dieser Knochenarbeit wurden die Kieselsteine in Bodenvertiefungen (Gorros), heute in große Behältnisse, gegeben und Wasser beigemengt. Nun musste das Material zwei bis drei Tage ziehen, bis es die gewünschte Konsistenz für die weitere Verarbeitung erreichte - eine Frage der Erfahrung. Wie damals wird die Masse mit den Füßen geknetet, eine Art „Naturpeeling“. Nun fügt man Sand zum Entfetten hinzu, der ebenfalls von den umliegenden Tälern gewonnen wird. Dieser ist für das spätere Brennen von Bedeutung und verhindert, dass die Keramiken während des Trocknens schrumpfen oder beim Brennen springen.

Ähnlich wie beim Backen wird der ‚fertige Teig‘ nach dem Kneten, ausgerollt und in kleinere Stücke geschnitten und gerollt. Danach, wird je nach Werkstück, mit viel Geduld und Geschick Wurst um Wurst auf einem Unterboden, quasi dem Sockel, platziert bis die gewünschte Höhe bzw. Breite erreicht wird.

Gearbeitet wurde bzw. wird auch heute nach traditioneller Methode ohne Drehscheibe, dafür mit viel Kraft. Denn mit den Händen wird die Form modelliert. Mithilfe von Steinen und anderen Werkzeugen aus diversen Utensilien wie Schilfrohr, Weinfassringen oder Löffeln werden die Innenwände der Aushöhlung sowie die Außenwände in Form gebracht bzw. überflüssige Masse weggespachtelt.

Mit Bimsstein wird alles fein glatt geschliffen und poliert. Diese Arbeiten waren von essenzieller Bedeutung und wurden nicht selten von Mutter zu Tochter weitergegeben, samt den geheimen Tricks für kunstfertiges Schaffen.

Die Objekte wurden letztendlich zumeist noch verziert und erst dann anschließend im Ofen gebrannt. Früher fand dies in einer Grube im Boden statt während man heute Steinöfen dafür verwendet.

Die Suche nach den eigenen Wurzeln

Mitte der 1970-er Jahre setzte mit dem Aufkeimen des Massentourismus auf den kanarischen Inseln auch die Suche nach der eigenen Identität ein und sorgte somit für ein Revival der kanarischen Töpferkunst.

Wir entführten Sie im Januar 2014 in das Töpferzentrum La Atalaya bei Santa Brígida, wo Señora Mercedes Cuenca Töpferkurse nach traditioneller Methode gibt und eine immer größere Anhängerschaft hat. Tipp: Dort können Sie im angeschlossenen Museum interessante Einblicke in die kanarische Töpferei gewinnen.3) Neben diesem Standort gab es noch weitere zwei Töpferzentren auf Gran Canaria (siehe Kasten), die aufgrund von Überlieferungen Keramiken nach traditioneller Methode herstellen.

Locero de Hoya de Pineda - Töpferei mit langer Tradition

Südlich von Gáldar befindet sich eine einst bedeutende Töpferenklave, die durch Immigranten aus La Atalaya3) ausgelöst wurde. Sie ließen sich  im Gebiet an der Grenze vonGuía und Galdár nieder und konstruierten in den Cuevas del Bujo den ersten Brennofen. Dieser Locero wurde im Gemeindearchiv erstmals 1834 erwähnt. Es war zur Zeit der Krise und Hungersnot und so war Töpfern auch eine wichtige Einkommensquelle.

Einwohner aus anderen Gegenden kamen, um die Keramiken zu erwerben bzw. man brachte sie auf Mauleseln in andere Orte, um die Waren auf den Märkten an den Mann bzw. die Frau zu bringen. In Ermangelung an Bargeld wurden die Waren oft gegen Nahrungsmittel getauscht. Kanarische Töpferwaren wurden angeblich sogar exportiert, z. B. nach Kuba, Argentinien, Puerto Rico und Sierra Leone.

Eine Familie betreibt es das Töpfergewerbe noch heute und zwar Julianita Suárez bzw. ihre Tochter Rafaela Santiago Suárez (bekannt als Rafelita), die den Inselnorden mit ihren Produkten versorgen. Doña Julianita wurde 1915 geboren und war eines von 15 Kindern aus einer bitterarmen Familie. Ihre Familiengeschichte reicht sehr weit zurück. María de Betancourt, eine Nachfolgerin der altkanarischen Herrscherfamilie gründete 1543 das Landgut gemeinsam mit ihrem Gemahl, Jerónimo de Pineda, dem damaligen Majoratsherrn. José Betancourt ließ im Jahr 1759 die kleine Kapelle San Antonio de Padua errichten. Die schwere Krise im 19. Jhdt. machte einen Verkauf von Teilen des Landguts notwendig, doch das u-förmige ebenerdige Herrenhaus (Casa señoral) ist noch heute Herzstück des 48 Hektar umfassenden Grundstücks, wenngleich es eine Ruine ist. Man sieht allerdings noch die herrschaftlichen Strukturen, die Balustrade rund um den zentralen Innenhof sowie Reste der Holzbalkone.

Die Stiftung Néstor Álamo hat im Jahr 2010 die Töpferhöhlen der Familie erworben, um es zu einem Interpretationszentrum zu transformieren.

Bildunterschriften

01: Traditionelles Töpfern wurde von Frauen betrieben, Foto aus dem Töpferzentrum La Atalaya
02: Keramiken aus Fuerteventura mit geritzten Verzierungen
03: Keramikfunde aus La Palma
04: Funde aus Gran Canaria mit typischen Bemalungen in geometrischen Formen mit Rötel
05: Funde aus Lanzarote

Anm.: Fotos 02 bis 05 aus dem Museo Canario, c/Chil, Vegueta, Las Palmas G.C.