Ausgabe Nr.
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J M upload 01.12.2021, Viva Edition 182 | Print article

Multikulti Distrikt Triana - Die Architekturroute durch das Jugendstilviertel

Einkaufsstraße Triana zu Weihnachten (c)Viva Canarias Archiv

Der Hauptmann Juan Rejón landete im Auftrag der kastilischen Krone am 24. Juni 1478 in der Bucht vor der Halbinsel La Isleta von Las Palmas de Gran Canaria und leitete damit die letzte Phase der Unterwerfung der Insel ein.1) Die Hispanisierung erlebte die darauffolgenden Jahrhunderte überaus dynamische Zeiten, denn das Wettrennen der europäischen Königshäuser um die Kolonialisierung neuer Territorien hatte begonnen. 

Spanien, Portugal, Großbritannien und Holland lieferten sich ihre Scharmützel und immer wieder wurden die Kanarischen Inseln Ziel von Piraten- und Freibeuterüberfällen, die dank der tapferen und wehrhaften Insulaner bzw. der neuen Siedler immer wieder abgewehrt werden konnten - nicht zuletzt durch den Bau einer Reihe von Befestigungsanlagen. 2)

Im 18. und 19. Jahrhundert gewann aufgrund der strategisch günstigen Lage im Schnittpunkt dreier Kontinente die Schifffahrt und der internationale Handel an Bedeutung, insbesondere nach der Ernennung der Kanaren zum „Free Port“, denn so durften die Waren über die kanarischen Häfen abgewickelt werden.

Der Wunsch nach Hochkultur

Mit dem Auf und Ab der gehandelten Waren bzw. der Wirtschaft wechselten sich Phasen der Aus- und Rückwanderung vieler Kanarier ab. Während all diese Zeiten voll zog sich ein interkultureller Austausch. Anfänglich dominierten Schotten, Briten und Katalanen und später, mit der Intensivierung der Handelsbeziehungen, beispielsweise mit Kuba oder Puerto Rico, auch die lateinamerikanische Welt. Interessanterweise erfolgte dieser Austausch auch quer durch alle Gesellschaftsschichten. Mit dem aufkeimenden Tourismus Mitte des 19. Jhdts., als es für eine mondäne und gut betuchte Klientel chic war, sich auf den exotischen Inseln des ewigen Frühlings zu erholen. Die Briten machten den Anfang, Franzosen, Schweden & Co. Folgten. Der Wunsch der ausländischen Gäste nach Unterhaltung war geboren und sie brachen die Lanze für die Hochkultur. Daher existieren auf Gran Canaria mitunter die ältesten philharmonischen Klangkörper Spaniens, wie bereits mehrfach berichtet.

Die Romantik

Dann setzte eine Phase der Romantik ein, eine idealisierte Sicht auf die Realität, allerdings mit unterschiedlichen Blickwinkeln. Während die Einheimischen ihr Augenmerk auf die unmittelbare Umgebung legten, fanden Fremde Freude an der exotischen Landschaft, der Kleidung und am Brauchtum der mysteriösen Einheimischen.

Triana, das Handelszentrum einst und heute

Die Triana zählt, neben der kolonialen Vegueta, zu den ältesten Stadtteilen der Insel. Die gleichnamige Hauptstraße war einst eine wichtige Marktstraße, auf derFischer, Bauern und andere Gewerbe an Marktständen ihre Waren feil boten. 

Das Meer reichte damals fast bis auf Höhe des Teatro Pérez Galdós. Doch mit der Zeit schaffte sich der Mensch durch Trockenlegungen peu à peu Terrain und die Verbindungsstelle zur nördlich gelagerten Halbinsel La Isleta wurde breiter.

Lager, Leben, Vieh ...

Bald bauten die Kaufleute und Händler entlang der  Calle Triana, die sich vom Theater parallel der Küste in nördliche Richtung bis zum Parque San Telmo zieht, ihre Mehrzweckgebäude und je nach Geldbörse übertrumpften sich diese in ihrer Pracht. Sie alle eint aber ein ähnliches Baukonzept, denn das Erdgeschoss diente der Präsentation der Ware, die erste Etage war meist das Lager und so konnte man die Waren bequem über die Fenster verladen. 

Die hinteren Gebäudebereiche und die obersten Etagen dienten den Familien zu Wohnzwecken. Und auf den Dachterrassen wurde nicht selten Vieh gehalten, wie z. B. Hühner und sogar Ziegen. Aus hygienischen Gründen ist das natürlich heutzutage untersagt. Mehr Informationen sind im historischen Castillo de Mata zu sehen (siehe Kasten).

Multikulti Shopping-Paradies

Die Triana wird noch immer vom Handel und Gewerbe dominiert und ist die wichtigste und auch die schönste Einkaufsstraße der Stadt, die ein multikulti urbanes Flair versprüht. Wer sie als „Fashion-Victim“ erkundet, sollte sich entsprechend viel Zeit einplanen. Internationale Modeketten, Boutiquen und Fachgeschäfte bieten ein vielfältiges Angebot und ziehen Einheimische wie TouristInnen gleichermaßen an. 

Durch die Covid-19 Pandemie hat die Stadtverwaltung großzügig Lizenzen für den Terrassenbetrieb erteilt und so finden sich heute auch Möglichkeiten für eine Rast, bei der man die Menschen beim Promenieren beobachten kann. Dies hat eine neue Atmosphäre kreiert, voller Lebensfreude, die auf entspannte Weise genossen werden kann. Über das lukrative Geschäft freuen sich nicht nur die Gewerbetreibenden, sondern auch die Stadt. Längst platzt die Calle Triana aus den Nähten und so haben sich inzwischen auch die  Seitenstraßen zu beliebten Einkaufsspots gemausert.

Vorab: Jugendstil und der „Neokanarismus“ dominieren die Gebäude und viele davon plante der renommierte Architekt Néstor Martín-Fernández de la Torre. Er wollte Las Palmas de Gran Canaria zu einer Referenzstadt für den spanischen „Modernismo“ führen, was ihm allerdings zeit seines Lebens nicht gelungen ist. Allerdings konnte er mit seinem reichhaltigen Wirken das Stadtbild vielerorts prägen, wie beispielsweise durch etliche noble Villen im Stadtviertel Ciudad Jardín.3)

Ein weiterer bedeutender Architekt war Fernando Navarro, der einige Gebäude auf der Calle Triana erbaute.

Start am Parque San Telmo

Wir wandern die Architekturroute in nord-südlicher Richtung und beginnen am Parque San Telmo. Praktischerweise befindet sich dort sowohl ein Busbahnhof als auch ein Parkhaus. Eine große Weihnachtskrippe steht für gewöhnlich auf diesem Platz, doch dieses Jahr wurden dort Weihnachtsmarkthütten aufbegebaut und die Krippe wird etwas kleiner dimensioniert. 

An der nordwestlichen Ecke des Parks befindet sich der markante Jugendstil Kiosk, der aktuell als Kaffeehaus betrieben wird und von Architekt Rafael Massenet im Jahr 1923 errichtet wurde (siehe Lageplan links, Position 12 sowie Foto 01).

Ein Blick lohnt sich übrigens in die kleine Kirche Parroquia Bernardo bzw. Ermita de San Telmo, die am 4. Juli 1599 errichtet wurde. (Geöffnet: Mo. bis Fr. von 12.30 bis 19.30 Uhr). Hier residieren unter den üppigen Holzschnitzerei-Deckenbalken etliche Heiligenfiguren. Manche davon verlassen temporär für wichtigeProzessionen ihren Stammplatz, wie beispielsweise die Jesusfigur auf dem Esel mit dem Palmzweig während der Semana Santa.

Vorbei an den aufgestellten Holzhütten im Parque San Telmo geht der Weg in südliche Richtung zum Beginn der Calle Triana, deren Beginn durch die 10 Meter hohe Eisenskulptur „La espiral“ von Martín Chirino markiert wird und nicht zu übersehen ist (siehe Foto 02).

Neu in diesem Jahr ist die Anbringung von Kiefernzweigen an den Ornamenten der Weihnachtsbeleuchtung, die sich über die gesamte Straße und an den wunderschönen historischen Fassaden entlang der Calle Triana erstreckt.

Calle Triana, Hausnummer 101

Fernando Navarro hat hier im Jahr 1902 zum ersten Mal Bögen im Stil Mudéjar verwendet, die das Zusammentreffen von christlichen, jüdischen und moslemischen Kulturen bezeugen und in Spanien Ende des 19. Jhdts. beliebt waren (siehe Foto 04).

  Calle Triana, Hausnummer 98

Aufgrund der geometrischen Bauweise der Gebäude fokussieren sich Anfang des 20. Jhdts. die Jugendstilelemente an der Fassade, wie bei diesem charakteristischen Beispiel.  Elegante, florale Linienführung der Stuckarbeiten und in Form der Balkone, inspiriert von Großbritannien oder Katalonien (siehe Foto 05).

Calle Triana, Hausnummer 96

Dieses Gebäude repräsentiert ein typisches Wohnhaus im Jugendstil und wurde 1908 von Laureano Arroyo errichtet (siehe Foto 06).

Calle Triana, Hausnummer 82

Architekt Fernando Navarro zeigt bei diesem Gebäude aus dem Jahr 1908 mehr Mut zur Interpretation des Jugendstils, das sich in ausladenden, zwiebelförmigen Fenstern manifestiert, eingefasst mit unübersehbaren, typischen floralen Stuckelementen (siehe Foto 07, grüne Fassade). Ähnlich agierte er auch beim Gebäude auf Hausnummer 76.

Calle Triana, Hausnummer 78

Laureano Arroyo demonstriert mit diesem Gebäude aus dem Jahr 1905 eine hispano-arabische Interpretation des Jugendstils anhand der üppigen, mehrreihigen Rundbögen im Obergeschoss, während der untere Teil zugunsten der Funktion bewußt schlicht gehalten wurde.(siehe Foto 07, gelbe Fassade).

Calle Constantino Nr. 13

Laureano Arroyo realisierte im Jahr 1905 an den Fenstern dieses, in einer Seitengasse befindlichen Gebäudes, wieder eine ausgeprägtere Jugendstil-Dekoration, inspiriert von den angesagten Möbeln der Sezession (siehe Foto 08).

Calle Cano Nr. 29

Über diese hippe Straße haben wir bereits mehrfach berichtet und Architekt Pelayo López kreierte im Jahr 1918 mit der  Casa Bosch Sintes ein wunderschönes und repräsentatives Exemplar der Wiener Sezession. Die sonst geradlinigen Fassaden durchbricht er mit Erkern und typischen Dekoreelementen (siehe Foto 09).In der Calle Cano befinden sich zudem die Bücherei der Inselregierung und einige sehr edle Boutiquen sowie Restaurants und ein Sattler bzw. Schuster, der diesem Handwerk in dritter Generation nachgeht. 

Viel Wir wünschen viel Spaß bei ihrem Müßiggang durch die Triana!

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1)Viva Canarias Nr. 176 „San Juan & Las Palmas de Gran Canaria“

2)Viva Canarias Nr. 77 „Neues Stadtmuseum Las Palmas de Gran Canaria im Castillo de Mata“ - siehe Kasten

3)Viva Canarias Nr. „Ciudad Jardín“