Ausgabe Nr.
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J M upload 29.08.2018, Viva Edition 123 | Print article

Mythos von San Borondón - Bestseller aus dem Mittelalter

Sie glauben, alle Inseln der Kanaren zu kennen? Sieben sollten es sein. Und wie steht es mit der „Isla de San Borondón“? Man sagt, es sei die achte Insel des Archipels. Die kanarische Bevölkerung glaubt fest an ihre Existenz. Aber wir müssen Sie enttäuschen - eine Reise dorthin wäre ein unmögliches Unterfangen. Ebenso könnten Sie Atlantis buchen. Aber was hat es mit diesem Mysterium auf sich?

Eine Geschichte wie von Jules Verne

Sie faszinieren die Geschichten über Atlantis, dem Bermudadreieck oder die Hesperiden? Dann laden wir Sie ein und entführen Sie in die Welt dieser Phantominsel im Atlantik und überlassen Ihnen das Urteil nach der Lektüre. Begleiten Sie uns auf eine imaginäre Reise, die sich Jules Verne nicht besser hätte ausdenken können. San Borondón ist launisch. Die Insel kommt und geht, wie sie will. Wenn man glaubt, sie gesichtet zu haben, verschwindet die Diva wie von Zauberhand in den Tiefen des Atlantiks. Eine Silhouette, die am Horizont schwebt und sich in wabernden Nebel hüllt. Angeblich sei sie von La Palma, El Hierro und La Gomera aus zu sichten. In der Ebsdorf-Karte aus dem Jahr 1235 sei sie geografisch auf dem 29. nördlichen Breitengrad und 5 Grad des westlichen Meridians angesiedelt. Wir begeben uns in die Zeit der ersten Sichtung im 6. Jhdt. Dem Abt Saint Brendan of Clonfert (484 - 577) berichtet sein Verwandter Barinthus voller Wehmut von einer Seereise, bei der er das Land der Verheißung, die „Terra Repromissionis“, gefunden haben will. Alsbald begibt sich St. Brendan auf die wahnwitzige Reise in die Neue Welt.

Sein Transportmittel ist ein „Curragh“, ein traditionelles irisches Boot aus Holzgerippe, bespannt mit Leder und mit Teer überzogen. Begleitet wird seine Mannschaft von rund einem Dutzend tapferer Mönche (mit dem insgeheimen Missionierungsgedanken und der Hoffnung Eingeborene zum Christentum zu bekehren). Und tatsächlich findet er die wundersame Insel San Borondón, wie aus seinem Reisebericht hervorgeht (512 - 530 n. Chr. „De Fortunatis Insulis“, deutsch: „Inseln der Glückseligen).

Von Ungeheuern und Dämonen

Seine siebenjährige Odyssee ist durchsetzt von Elementen irischer Mythologien und Abenteuern, von Begegnungen mit Dämonen, Ungetümen und Seeungeheuern. Gruselige Illustrationen aus dem Mittelalter zeugen von den Irrungen und Wirrungen des St. Brendan.

Ein Beispiel daraus ist, als die Mönche an Land gehen, um eine Messe zu feiern und ein Feuer entzünden. Plötzlich bewegt sich die ‚Insel‘ und die Klosterbrüder stellen erstaunt fest, dass sie sich auf dem Rücken eines Seemonsters niedergelassen haben. Diesem wurde es offenbar zu heiß. Anderen Überlieferungen nach soll es sich um den Riesenfisch „Jascon“ gehandelt haben. In manchen Abhandlungen ist hier auch von einem Wal, einer Schildkröte, Krake oder Seeschlange die Rede. Weiter wird erzählt, dass St. Brendan auf der Suche nach einem Hafen die Stimme eines alten Mannes hörte, der engelsgleich gekleidet und mit weißen Federn geschmückt war. Er heißt Brendan willkommen im Paradies, das sich nur nebelverhüllt zeigt. Das Happy End vermischt sich im Laufe der Zeit mit anderen Legenden. Angeblich weilen St. Brendan und seine Mönche 15 Tage auf der Insel, um christlichen Ritualen nachzugehen, währenddessen die Mannschaft samt Schiff tatsächlich ein Jahr lang auf deren Rückkehr warteten (siehe „Odysseus“).

Der Mönch Barino berichtet von einer dicht bewaldeten, bergigen Insel, wo die Sonne niemals untergeht. Unbekannte Flora, Bäume reich an seltsamen Früchten, Flüsse mit klarem Wasser und singenden Vögeln (vgl. „Navigatio Sancti Brendan Abbatis“). Beschrieben wird das Eiland im Manuskript „Die Reise des Heiligen Brendan“ wie folgt: „... ein Land, kostbarer als alle anderen wegen seiner Schönheit, wegen der wunderbaren, anmutigen und entzückenden Dinge, die es dort gab ... und es gab soviel Gutes, dass allen, die es mit eigenen Augen sahen, vor Freude das Herz aufging, und es gab zahme und wilde Tiere aller Art, und sie gingen und lebten, wie es ihnen gefiel, und alle lebten friedlich beisammen, ohne einander Böses zu tun oder Verdruss zu bereiten ...“.

Fragen über Fragen: Schutzpatron der Seeleute

Der Überlieferung nach starb Brendan in Irland im Jahre 576 oder 577 im Kloster zu Enach-Duin. Nach seinem Tode avancierte St. Brendan zum Schutzpatron der Seeleute. Einige Fragen stellen sich dennoch. Wenn er das irdische Paradies gefunden haben sollte - warum blieb er nicht dort? Kehrte er zurück in die Heimat, um der Welt von seinen coolen Abenteuern zu berichten? Warum reiste er nie wieder nach San Borondón? Auf jeden Fall gingen die Neuigkeiten rund um diese ‚Phantominsel‘ über Jahrhunderte rund um die Welt. Viele Menschen trieb die Sehnsucht nach dem Paradies hinaus in die unbegrenzten Ozeane.

San Borondón bleibt also ein unglaubliches Mysterium: Es gibt sie, es gibt sie nicht, … Es gibt kaum einen kanarischen Historiker, der sich nicht schon die Zähne an der wundersamen Insel ausgebissen hätte. Offizielle Seefahrerkarten und Zeitzeugen seit dem Mittelalter ‚belegen‘ ihre Existenz. Ein Kartenausschnitt von Guillaume Delisle aus dem Jahre 1707 zeigt San Borondón westlich des nördlichen Afrikas.  Sie hatte viele Namen im Laufe der Jahrhunderte: „Isla Mágica“ (magische Insel), „Non Trubada“ (die Unerreichbare), „Antilia“ oder auch „Isla de las 7 Ciudades“ (Insel der 7 Städte). Mit dem Einzug der spanischen Konquistadoren auf den Kanaren setzte sich allerdings der Name „San Borondón“ (engl. „Saint Brendan“) durch.

Bestseller aus dem Mittelalter

Heute existieren rund 120 Versionen des Werkes: Ein Bestseller aus dem Mittelalter! Anonym überlieferte Manuskripte, die dem 9. Jhdt. zugeschrieben werden, zusammengefasst in „Navigatio Sancti Brendani“ („Voyage of St. Brendan the Navigator“), machen Brendan zum Titelhelden. Die abenteuerliche Seefahrergeschichte in 29 Kapiteln wird als eine der bekanntesten „Immrama“-Literatur angesehen (Anm.: Eine Erzählart aus Irland, die Seereisen und Abenteuer von Pilgern beschreibt, die auf der Suche nach Gott und seinem Reich sind. So auch die Abenteuer des Brendanus).

• Den Briten Edward Harvey packte das „Borondón“-Fieber. So verkaufte er sein Hab und Gut, stellte sich ein Team zusammen und begab sich im Jahre 1865 auf eine wahnwitzige Suche … und fand sie angeblich sogar. Fünf Tage will er dort geblieben sein.

Auszug aus dem Tagebuch von Harvey vom15. Januar 1865: „... Wir sind auf einer unbekannten, unbewohnten Insel, inmitten des Ozeans. Ich hege die Hoffnung, dass dieses unbekannte Territorium San Borondón ist ... Einigen Matrosen gelang es, ein Reptil mit der Hand zu fangen. Es ist eine völlig unbekannte Art ... Ich weiß nicht, wann ich dieses Eiland voller Geheimnisse wieder betreten werde. Meine Insel San Borondón, für immer hinter Nebel und Dunst verborgen ...“. Seine Illustrationen zeigen gigantische Bäume, Vulkane, Wasserfälle und bizarre Tier- und Fabelwesen, wie z. B. einen Flugsaurier[1]. Bis zu seinem Tod hielt er an der Existenz der Insel fest.

Harvey kehrte schwer krank nach England zurück und nahm, gefangen zwischen Fieberwahn und Halluzinationen, seine Auswertungen vor. Self-fulfilling prophecy? Wahnvorstellungen auf Hoher See?

Es würde den Rahmen sprengen, die Namen all jener zu nennen, welche sich im Laufe der Jahrhunderte auf die Suche nach der Geisterinsel gemacht haben oder sie gar gesichtet bzw. betreten haben wollen. Hier einige Erwähnungen:

• In den Logbüchern von Christoh Kolumbus findet sich am 9. August 1492 der Eintrag, dass ein Seemann aus Madeira sich Hilfe erbat auf der Suche nach einer Insel, die er jedes Jahr am Horizont erblickt habe. „Viele ehrenhafte Spanier, die auf der Insel Ferro (Anm. d. Red: El Hierro) wohnten und sich gerade auf La Gomera aufhielten, versicherten, Jahr um Jahr im Westen der Kanarischen Inseln ein bestimmtes Land zu sichten“.

• Alexander von Humboldt (deutscher Naturforscher, 1769 - 1859) schreibt darüber in seiner Abhandlung „Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents“ über San Borondón:

„... Oft werden die Früchte mehrerer Bäume der Antillen an die Küsten der Inseln Ferro (Anm. d. Red: El Hierro) und Gomera geworfen. Vor der Entdeckung von Amerika glaubten die Bewohner der Kanarischen Inseln, diese Früchte kämen von der bezauberten Insel St. Borondón, welche nach den Träumereien einiger Schiffahrer und nach einigen Legenden gegen Westen lag und zwar in einem unbekannten Teil des Ozeans, der in ewigem Nebel begraben wäre ...“

„... Wenn der Gipfel des Vulkans von Teneriffa zugänglicher wäre, so würde man daselbst ohne Zweifel bei gewissen Winden die Wirkungen einer außerordentlichen Refrakktion (Anm. d. Red.: Lichtspiegelung) wahrnehmen. Wenn man das durchgeht, was die spanischen und portugiesischen Schriftsteller über das Dasein der fabelhaften Insel San Borondón oder Antilia erzählen, so sieht man, dass es hauptsächlich der feuchte Wind von West-Süd-West ist, der in diesen Gegenden sonderbare Erscheinungen von Spiegelung hervorbringt ...“.

Weitere Theorien ...

• Die Fata Morgana

Die Reflexion einer anderen Insel? Aber welcher? Eine atmosphärische Wasserspiegelung? Ein Zusammenspiel von Sonnenlicht, Nebel und Wolken? Bisher konnte niemand eine Erklärung liefern. Kurioserweise stimmen die Angaben zur Form der Insel alle überein. Aber kein existentes Eiland passt zum Borondón-Profil.

• Von Schatten und Wolken

Manche glauben, es handele sich um nichts anderes als den Schatten, den der Teide von Teneriffa aus Richtung La Gomera projiziert. Andere sprechen von einer Ansammlung, einer speziellen Wolkenformation, welche eine nebelumwobene Insel suggeriert.

• Vulkan und ‚Meeresloch’

Ein naheliegender Gedanke: durch Vulkanaktivitäten steigt die Insel immer wieder auf und ab über einem Loch am Grund des Ozeans, in sechs Kilometer Tiefe. Das „Hoyo Grande“, das tatsächlich nachgewiesen ist. Eine schwimmende Insel? Eine „Isla Flotante“, wie sie auch genannt wird. Wie steht es aber mit dem Nachweis seismischer Aktivität?

• Paranormales Mysterium[2]

Freunde des Paranormalen vermuten in der Region um San Borondón ein zweites Bermuda-Dreieck. In den Jahren 1991 und 1992 sollen Fähren der Trasmediterránea gegen etwas Unsichtbares im Meer gestossen sein. Spötter sagen, es war nur ein Wal. Es wird von verschollenen Fischern berichtet, u. a. vom Schiff „Fausto“. Es lief am 20.7.1968 aus von Puerto Estaca (El Hierro) nach Tazacorte (La Palma) und erreichte nie einen Hafen. Und es sollen außerirdische Mächte dahinter stecken. Wir lassen das so stehen, für alle „Akte X“-Fans und die Freunde der „Wahrheit, die irgendwo da draußen liegt“.

Fazit

Angeblich soll man die ‚Geisterinsel‘ am besten in der kürzesten Nacht des Jahres, der Johannisnacht, sehen. Legen Sie sich doch mal auf die Lauer, werden Sie zum Geisterjäger. Vergessen Sie Ihren Fotoapparat nicht!

Vielleicht befindet sich der Garten Eden direkt vor Ihrer Nase!

Footnotes

  1. ^ „The Story of the naturalist Edward Harvey“ verlinkte Fotostrecke, wird Sie nicht kalt lassen. Atemberaubend und gruselighttp://www.thezurvanclub.com/a_island/a_island.htHYPERLINK „http://www.thezurvanclub.com/a_island/a_island.html“
  2. ^ Tarek Ode und David Olivera stellen den Nachlass des Forschers Harvey in folgendem Buch neu zusammen: „San Borondón - La isla descubierta“, ISBN: 978-84-609-3640-4 - siehe auch Webseite:http://www.laisladescubierta.net/sanbor/portada.htm