Ausgabe Nr.
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J M upload 02.09.2018, Viva Edition 121 | Print article

Sanlúcar de Barrameda (Teil 1) – Andalusien bezaubert

Wenn man ein Leben lang schwer gearbeitet hat, dann ist es umso erstrebenswerter eines Tages etwas kürzer treten zu können. Das gelingt, vorausgesetzt man hat gut gewirtschaftet und ein exzellentes verlässliches Team aufgebaut. Karl und Lelo haben mir ihrem gleichnamigen Restaurant im Yumbo Zentrum vor dreißig Jahren das Kultrestaurant mit feiner deutscher bürgerlicher Küche bzw. auch internationalen Gerichten aufgebaut1). Neun Jahre kein Urlaub, Tag und Nacht in den Aufbau investiert. Umso schöner gönne ich den beiden, dass sie sich dann und wann etwas Auszeit gönnen können und hierzu durch Freunde auf Sanlucar gekommen sind. (Obwohl, gesteuert und im intensiven Kontakt ist man auch von dort aus wie ich feststellen konnte).

Viele Einladungen später entschloss ich mich eines Tages Karl und Lelo tatsächlich in ihrem viel umschwärmten Sanlucar zu besuchen. Nach kurzer Recherche fand ich heraus, dass es sich im Südwesten Spaniens befindet, dort wo der Fluss Guadalquivir in das Meer mündet. Nördlich der Stadt grenzt Spaniens größter Nationalpark, der mit seinen vielfältigen Ökosystemen ein unbeschreibliches und einzigartiges Naturerlebnis darstellt: Der Parque Coto de Doñada verdient auf jeden Fall einen eigenen Bericht. Dort findet man nicht nur mehr als die hälfte aller europäischen Vogelarten … (siehe nächste Viva Canarias Nr. 122 vom 28. Juli 2017).

Die Seele Andalusiens

Die etwa 65.000 Einwohner leben vornehmlich von der Landwirtschaft und vom Fischfang. Kaum wo wird man mit der andalusischen Seele derart konfrontiert. Die Anfahrt (in meinem Fall von Málaga aus, ist aber viel näher und empfehlenswert von Sevilla aus) war ein reiner Genuss und führte auf ei ner gut ausgebauten Straße vorbei an Plantagen aus Sonnenblumen, Wein etc. Je mehr ich mich dem Ziel näherte, desto präsenter waren Pferde, die die Natur mit ausreichend Auslauf in vollen Zügen zu genießen schienen.

Mein Besuch im Juni bot neben den angenehmen Temperaturen weitere Vorteile. Die Stadt war nicht überlaufen und das legendäre Volksfest „Nuestra Señora del Rocio“ lief über die Bühne. Aus allen Gegenden der Region machen sich die Einheimischen für dieses einwöchige Spektakel auf den Weg. Frauen in ihren schönen bunten Flamencokleidern, dem Blumenschmuck im Haar, den großen Ohrringen und den Schultertüchern. Die Männer im weißen Hemd mit den flachen Hüten komplettieren das herrliche Bild andalusischer Traditionen. Viele reiten und folgen den schwer beladenen Wägen, die häufig von Traktoren gezogen werden. Manche davon haben die Größe von einem kleinen Haus. Man nimmt alles mit, was man so eben während dieser „Feria“ brauchen kann. Überall wird gelacht, gesungen, getanzt, geklatscht… es ist schier unbeschreiblich. Diese Lebensfreude und die gute Laune steckt garantiert an. Ich beobachtete die Rückkehrer von einem Boot aus. Irgendwann war es den Damen dann doch zu heiß unter diesen langen Röcken und spontan, unter dem Beifall und Gelächter der Zuschauer, liefen sie in den Fluss und spielten ausgelassen wie Kinder … ich möchte diesen Moment auf ewig festhalten!

Vibrierende Stadt: Man is(s)t auf der strasse

Das Mikroklima ergibt sich als Folge einiger Kiterien, wie z. B. der natürlichen Begrenzung der Stadt durch den Fluss Guadalquivir im Norden, dem Atlantik im Westen und dem Flußdelta. Das führt zu etwas milderen Temperaturen im Vergleich zu Südspanien und gleichzeitig zu einer etwas höheren Luftfeuchtigkeit. 

Eine meiner ersten Erkundungstouren führte mich natürlich in die historische Altstadt von Sanlucar. Der Zahn der Zeit ist an den Gebäuden nicht spurlos vorüber gezogen. Einige sind hübsch restauriert, andere leben vom Charme vergangener Zeiten. Man könnte sich in den engen, labyrintartigen Gassen verirren, wäre die Stadt nicht überschaubar in ihrer Größe und gäbe es nicht diese hilfreichen Smartphones.

Las Covachas oder die Schlangentürme im gotischen Stil zählen zu den Sehenswürdigkeiten und wurden zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert erbaut die Steinfassade zieren Ornamente mit Tiermotiven, die allerdings derzeit renoviert werden und so die Sicht nur eingeschränkt darauf vorhanden ist (siehe Foto oben).

Das Castillo de Santo Domingo ist wohl die bedeutendste Sehenswürdigkeit für geschichtsliebende Erkunder2). esskultur: vom meer

Sehr günstig

Für uns Besucher sind die Preise bei der gebotenen Qualität schwer nachvollziehbar. Andalusien hat, wie schon erwähnt, die höchste Arbeitslosenquote Spaniens aber das merkt man nicht. Im Gegenteil. Die Lokale, ‚Tabernas‘, Bars sind (über)voll. Hier vibriert die Stadt unter dem Stimmenwirrwar und dem Gelächter. Aus vielen Bars klingen echte „Gitano“-Gitarrenklänge und die tiefsinnigen bzw. leidenschaftlichen rhythmischen Lieder eines stolzen und überaus herzlichen Volkes. Und die Damen sind ‚echte Frauen‘ (wie es nun Sabine Schuringa formulieren würde). Sie haben Charme und wickeln, wenn sie wollen, wirklich jeden um den Finger. Das scheint irgendwie in die Wiege gelegt worden zu sein.

Essen, die schönste Nebensächlichkeit der Welt, hat hier einen sehr hohen Stellenwert. Fisch, Meeresfrüchte und unbeschreiblich viele Variationen davon dominieren die andalusische Küche und das auch noch leistbar. Unweit von San Lucár befindet sich ein bedeutender Fischmarkt, wo die Händler die fangfrischen Meeresbewohner ersteigern 3). Unbedingt erwähnenswert sind natürlich auch die schmackhaften Schinken, sprich „Serrano“. Man kann sich nicht sattessen. Frischer Käse, Oliven etc. runden das Angebot ab. Stellen Sie sich sicherheitshalber auf eine Diät nach dem Ende ihrers Urlaubs ein (aber bitte, gönnen sie sich während ihres Besuchs diese kulinarischen authentischen Köstlichkeiten. Sie werden es keinesfalls bereuen!).

Die Preise sind mehr als moderat. Es ist ‚normal‘ ein Gläschen Wein samt Tapa für einen Euro zu erstehen oder für 2,50 bis 3,50 Euro in der Altstadt zu frühstücken. Einige regionale Spezialitäten sind beispielsweise Rochen in sauerer Orangensoße (Raya a la Naranja Agria), Suppe mit Heuschreckenkrebs „Sopa de Galeras“ (Squilla Soup), Schneckengerichte (Caracolas) oder Lenguado a la Vendimia (Seezunge in Weinsoße). Zu den traditionellsten Desserts zählen die Tocinos de Cielo (das ist ein sehr süßes Dotter-Zuckergemisch) sowie die Mantecados (ein typisches Weihnachtsgebäck). Der arabische Einfluss macht sich in der süße der Nachspeisen bemerkbar. (Anm.: Wiener Schnitzel suchen Sie in Andalusien vergebenes).

Legendär: die Pferderennen von Sanlúcar

Carreras de Caballos findet in diesem Jahr zum 172. Mal statt. Sanlucár ist für sein jährlich im August stattfindende Pferderennen über die Grenzen hinweg bekannt. Es wurde sogar zum internationalen touristischen Interesse erklärt. Es wird über mehrere Tage hindurch am weitläufigen Sandstrand ausgetragen und zählt zu den ältesten Pferderennen Spaniens bzw. Europas. Traditionell findet es in der ersten Augusthälfte statt und zwar in zwei Rennzyklen, jeweils an drei Tagen. Aber nicht nur die prachtvollen Pferde und das Rennen selbst sind sehenswert, auch die Zuschauer. Man putzt sich raus in sommerlichen feinen Leinenanzügen und die Damen in hübschen Kleidern und viele davon selbstverständlich auch mit Hut.

Manzanilla - die señorita unter den Sherrys

Der weiße „Sherrywein Manzanilla Sanlúcar de Barrameda“3) ist das Nationalgetränk von Andalusien und überall in der Stadt kommen sie um dieses Getränk nicht herum. Davon zeugen auch unzählige riesige Bodegas. Im Jahr 2015 feierte die Region den fünfzigsten Jahrestag der Ursprungsbezeichnung als einer der Pioniere des „D.O.P.“ (Denominación de Origen). Und weil es ein langer, von vielen bürokratischen Hürden gesäumter, Weg war, endlich diese Anerkennung zu erhalten, feiern die Bewohner jedes Jahr am 26. Juni dieses freudige Ereignis im Rahmen der Fiesta de Manzanilla. Dieser Wein spielt auch in einigen Volksliedern eine wichtige Rolle und die Bewohner sind trinkfest. Ihr ‚Lebenselexier‘ genießen sie ohne größere Blessuren schon zur Mittagszeit, natürlich mit den obligatorischen Tapas. Danach geht es zur wohlverdienten Siesta. In den Abendstunden, wenn die Temperaturen sich wieder mildtätig senken, geht es auf zur nächsten Runde. Ich habe versucht das einen Tag mitzumachen, mir mangelt es aber an Übung. Die Manzanillas haben Pfiff … (Sie verstehen was ich meine).

Highlights im Sommer

• Pferderennen 2017: Die erste Runde geht vom 3. bis zum 5. August und der zweite vom 17. bis 19. August. Austragungsort sind die weitläufigen Sandstrände Las Piletas von Sanlúcar.
• Patronatsfest „Nuestra Señora de Caridad“, wo entlang der Hauptstraße der Altstadt bunt bemalte Salzteppiche ausgelegt werden.
• Internationales Musikfestival
• Fiesta de Manzanilla, 24. Juni.
• Feria de Nuestra Señora del Rocio, Anfang Juni.
• Neu: Fiesta de los Langustinos de Sanlúcar (Ende Juni am Strand)

Verweise
1) siehe Interview, nachzulesen im Internet  www.viva-canarias.com unter „Portraits“
2) Castillo de Santo Domingo: Ein ehemaliges Dominikanerkloster im spätgotischen Stil wurde noch vor den Entdeckungsfahrten der ‚Neuen Welt’ erbaut und zwar etwa um 1477. Hier hat die katholische Königin Isabel angeblich zum ersten Mal das Meer erblickt. Das Castillo thront über der Stadt und ist heute ein Museum.
Geöffnet: Do. bis So. von 10.15 bis 21.00 Uhr, Mo. und Di. von 10.15 bis 14.00 und 19.15 bis 21.00 Uhr. Eintritt: 7 Euro (bzw. 4 Euro für Senioren und Kinder). Tel.: 928 923 500
Email: info@castillodesantiago.com
www.castillodesantiago.com
3) Es handelt sich um einen trockenen Weißwein aus den Trauben der Palomini-Rebe. Die Farbe ist sehr hell mit einer glänzenden Färbung. Feine Gaumen schmecken feine Noten von Kamille, Mandel und Brot heraus. Durch die leichte Säure ist er angenehm frisch mit einem leicht bitteren Nachhall.
www.sherry.wine/de/herkunft/geschichte-des-sherrys