Eine Schlucht, zwei Höhlenkomplexe und ganz viel Magie ... Wie ein Schweizer Käse unzählige Löcher aufweist, wartet Gran Canaria mit unendlich vielen Höhlen auf. Dutzende, hunderte, tausende, ach, abertausende Höhlen gibt es auf diesem kleinen Miniaturkontinent: Höhleninsel Gran Canaria. Zwei davon möchte ich Ihnen heute vorstellen.
Erst kürzlich bin ich mit Kind und Kegel und einer befreundeten Familie auf Tour gegangen. Drei plus drei macht sechs plus eins macht sieben. Wir machen das öfter. Jedes Wochenende? Ja! Außer wenn wir nicht auf einer der anderen Kanareninseln herumturnen (jede einzelne einen Besuch wert, auch die aktuell dazugekommene achte La Graciosa, über die ich Ihnen bald berichten werde), im Ausland sind oder irgendein Geburtstag, Familienfest o.Ä. ansteht.
Wobei nicht selten auch das Lernen für die Schule, die Hausaufgaben, das Tanzen und in meinem Fall oft das Schreiben den Vorzug bekommen. Für uns sind das escapadas, also „mal abhauen“.
Adiós Las Palmas, hola Gran Canaria
Raus aus der Stadt und Natur tanken. Vitamin D. Frische Luft (außer, wenn mal wieder die Calima über die Insel herfällt, ein meteorologisches Phänomen, das Saharastaub und diverse andere kleine Partikel herüberbläst). Die Beine bewegen. Den Körper mobilisieren. Den Geist anregen. Reden. Lachen. Familie. Freunde. Orte entdecken. Genießen. Das Leben leben. Leben lassen. Machen. Denken. Fühlen. Sehen. Teilen. Erleben. Horizont. Hoffnung. Träume. Wege. Ziele. Freude. Erinnerungen. Treppenstufen. Fensterblick. Universum. Liebe. LICHT!
Für sechs von den sieben Einheimischen waren die Höhlen unbekannt. Was nicht verwundern mag, oder kennen Sie alle Schätze Ihres Heimatortes? Von der einen Höhle hatten die Erwachsenen bereits gehört. Es handelt sich um eine Höhle, die im Museo Canario (übrigens immer einen Besuch wert. D.E.P. ACS.) behandelt wird: Las Cuevas y los Graneros de la Audiencia. Die von den Temisianern (Temisas ist das Bergdorf unmittelbar in der Nähe der Höhle, das vor allem für seine hochwertige Olivenölproduktion bekannt ist) als die Cuevas del Risco Pintado, die Höhle der bemalten Felsenwand, genannt wird. Von der anderen Höhle, die Cueva del Gigante, die Höhle des Riesen, wussten sie nichts.
Die GC-550 und ihre Schätze
Auf dem Weg dorthin, vom Ort Agüimes im Norden die GC-550 nehmend, machen wir einen ersten Halt an einem der magischsten Orte der Insel: Las Tobas Coloradas del Barranco de las Vacas o de Barafonso: Die farbenprächtigsten Wände der Kanarischen Inseln. Mittlerweile (leider) ein Besucher-Hotspot. Vor allem am Wochenende äußerst überlaufen. Und LEIDER bereits von Menschenhand verschmiert, versprayed und verschandelt, als wären diese imponierenden Zeugnisse einer Millionen Jahre alten Erosion die PVC-Innenwände einer handelsüblichen Toilettenkabine am Hauptbahnhof. (In einer der nächsten Ausgaben erzähle ich Ihnen mehr über diesen grandiosen Ort.)
Weiter auf der GC-550 in Richtung Temisas fährt man etwa bei Kilometer 9 an den Cuevas del Risco Pintado vorbei ohne es zu merken. Sie befinden sich an einer steilen Felsenwand direkt an der Straße auf gut dreißig Metern Höhe. Man parkt am besten noch vor Temisas, und zwar kurz nach der Bushaltestelle auf der Straße, die links nach La Inmaculada abgeht.
Sesam, öffne dich!
Einmal geparkt laufen wir zurück zur Bushaltestelle und am Seitenstreifen ein paar Meter entlang, um dann einen ausgeschilderten Pfad nach oben zu nehmen. Bei der ersten Gabelung orientieren wir uns dann nach rechts. Und nach einem weiteren kleinen Anstieg fängt die große Suche an: Der Höhleneingang ist kaum zu erahnen. Ausgeschrieben ist er auch nicht. Wobei er alles andere als dezent ist, seine Ausmaße sind verhältnismäßig groß und er besteht aus einer großen Einkerbung in den Felsen samt gut zugänglichem Tunnel, der zu den eigentlichen Höhlenräumen führt.
Auf dem kleinen Plateau orientiert man sich am besten mittig vorwärts und folgt einem der mittleren Pfade. Voranschreitend bemerkt man, dass der Hügel eine Kurve macht und erst nach dieser lichtet sich das Geheimnis, auch wenn man weiterhin verdutzt nach dem Eingang sucht. Gute Augen mit etwas Sinn für Fantasie vermuten in annehmlicher Weite die angesprochene Einkerbung. Folgen Sie Ihrem Instinkt.
Sobald Sie vor dem Eingang stehen, werden Sie sich wundernd fragen, warum Sie dieses riesige Loch im Felsen nicht von weitem gesehen haben: Magie! Oder ein „Sesam, öffne dich!“.
Bewundernswerte Höhlenarchitektur
Einmal drin fängt das Staunen an. Allzu viel will ich Ihnen aber gar nicht verraten. Viele Löcher und kleine Ausgrabungen prägen die Höhle, die aus drei miteinander verbundenen Teilen besteht. Der erste und zweite Teil sind als Vorratskammern mit Silos angelegt. Der dritte Teil ist entweder von außen zugänglich oder vom zweiten Teil, aber dann mit einer kleinen Kletterübung. Dort befindet sich ein Höhlensegment, das von den Altkanaren für Rituale und Zeremonien entworfen wurde.
Die Höhle ist in ihrer Gesamtheit ein kleines architektonisches Meisterwerk. Und vergessen wir die Aussicht nicht. Das Bergdorf Temisas zu unseren Füßen und ein Blick auf die raue und trockene, aber auch grüne und saftige Berg- und Schluchtlandschaft des Municipio de Agüimes.
Auf den Spuren des Höhlen-Riesen
Zurück im Auto, das an diesem sonnigen Februartag, zum Glutofen geworden ist, geht es mit rhythmischer Radiomusik und bester Laune beherzt auf der GC-550 weiter bis zum Observatorium. Wer mit entsprechendem Auto unterwegs ist, kann direkt bis nach oben fahren, allen anderen würde ich raten unten zu parken und die paar Meter zu Fuß zu gehen. Der Straße nach oben folgen, sich rechts halten und knapp hundert Meter nach dem Observatorium (übrigens immer einen Nachtausflug wert. Saludos al equipo de astrotemisas.) auf linker Seite sind Sie da: das große Suchen fängt wieder an. Erneut keine Beschilderung. Folgen Sie ihrem Instinkt und Sie werden den Eingang zur Cueva del Gigante im Nu finden.
Sie werden ein wenig den Kopf einziehen müssen und durch einen rutschenartigen nach unten führenden Gang kraxeln müssen. Unten in der Höhle angekommen werden Sie einen fulminanten Ausblick genießen dürfen. Selbstverständlich auch ein schönes Fotomotiv, ob mit oder ohne Zweibeiner.
Was wäre die Welt nur ohne Sagen?
Die Geschichte zur Cueva del Gigante geht so: Der aus Rom stammende Riese Gigamonomagig lebte in dieser Höhle und hörte aus der gegenüberliegenden Höhle auf der anderen Seite der Schlucht ein Kind weinen. Am ersten Tag dachte er sich nichts, am zweiten wunderte er sich und am dritten entschloss er sich nach dem Kind zu sehen. Doch Gigamonomagig konnte seine Höhle nicht verlassen, denn er war zu groß.
Er hatte noch nie seine Höhle verlassen, seit er als kleiner Riese dort Zuflucht gefunden hatte, doch nun entschloss er sich ein riesen Loch in die Felswand zu hauen, um nach dem Kind sehen zu können. Seitdem ziert ein großes Fenster die Felswand. Das Kind war alleine, weinte und sah abgemagert aus. Man hatte es ausgesetzt. Gigamonomagig nahm es mit in seine Höhle und zog es groß. Es war ein Mädchen, er gab ihr den Namen Anna.
Am Ende ist es immer die Liebe
Ein aus dieser Sage abgeleiteter Zauberspruch lautet: AMOR VALE ANNE ELAV ROMA. Wenn Sie in der Höhle sind und aus dem Fenster blicken, schmettern Sie diesen Spruch einmal vorwärts und rückwärts aus Ihrer Kehle in die grankanarische Weite hinaus: Ein Liebeszauber wird sich wie ein seidener Schleier über Sie legen.
Wir verbringen noch eine Weile draußen oberhalb der Höhle in unmittelbarer Umgebung und lassen uns die pralle Sonne ins Gesicht strahlen. Wir lachen, wir weinen, wir tanzen. Das Leben ist schön. Nicht nur manchmal. Immer. Nur machen wir es uns leider zu selten bewusst. Zurück im Auto wollen die drei Mädchen mit offenem Verdeck fahren. Zu dritt sitzen sie auf der eigentlich nur für zwei vorgesehenen Rückbank. Eng miteinander verschlungen schlafen sie nach den ersten paar Kurven unter freiem Himmel friedlich ein. Ein schöner Ausflug geht zu Ende. Doch schon bald steht der nächste an. DISFRÚTE!
Rolando G. Suarez
Gewinner aus unserer Verlosung „Mein Lieblingsplatz“
Über jeweils ein Buch „111 Orte auf Gran Canaria, die man gesehen haben muss“ des Autors Rolando G. Suárez dürfen sich freuen (siehe Fotos in der Galerie):
* Saline Bufadero und Bañaderos, Angelo Augusto Mair
* Alte Bauernsiedlung in Veneguera von Helga Vorpahl
* Roque Bentayga von Ute Martina Lorenz