In den größten Kaktusgarten Europas habe ich Sie bereits im Jahr 2012 entführt. Doch dieser bezaubernde und einzigartige ‚Dornenwald‘ mit dem klingenden Namen Cactualdea verdient es, nach fast sieben Jahren, nochmals entdeckt zu werden. Er befindet sich nur zwei Kilometer südlich von San Nicolás de Tolentino und kann entweder über die Küstenstraße im Norden oder vom Süden aus erreicht werden. Mit der Fertigstellung des ca. 20 Kilometer langen Autobahnteilstücks von La Aldea de San Nicolas wurden knapp 200 Kurven liquidiert und ist so schneller zu meistern. Am Ende der Südautobahn GC-1 biegen wir in das entzückende Tal Valle de Mogán ein und folgen auf den Serpentinen nach La Aldea den Hinweisschildern folgend. Auf der gut ausgebauten Straße GC-220 sieht man von Weitem die Zeugnisse der vulkanischen Entstehungsgeschichte.
Farbspiel im Felsen: Los Azulejos
Ein mehrfarbig gestreifter Streifen bestehend aus verschiedenen Gesteinsschichten zieht sich durch die Felswände (siehe Foto li. - Los Azulejos). Für ein kräftiges Türkis sorgt das Eisenhydrat, die dunkleren Bereiche stammen von Basalt, die rötliche Farbe entsteht durch den Gehalt an Eisenoxid und für gelbe Nuancen zeichnet Schwefel verantwortlich. Ein geschäftstüchtiger Kanarier offeriert an der Straße in einer Hütte bzw. Bar Erfrischungen und regionale landwirtschaftliche Produkte, wie z. B. Bananen, Orangen, Honig & Co. Ich empfehle hier einen kurzen Zwischenstopp einzulegen, um dieses wunderbare Farbspiel der Steine gebührend betrachten zu können und auch, um die schöne Aussicht auf das Tal von Veneguera zu genießen.
Der Kaktusgarten von La Aldea de San Nicolás de Tolentino
Kurz vor San Nicolás biegen Sie dem Hinweisschild Cactaldea folgend ab. Eine große Eisenskulptur, die, wie könnte es anders sein, eine Kaktee darstellt, deutet darauf hin, dass Sie am Ziel sind. Eine Entenmama und ihre aufgeweckten Küken kreuzen unseren Weg zum Empfang (Foto re.), wo wir den Eintritt von 6,50 Euro bei einem netten Herrn bezahlen. Die Luft ist frisch und die Ruhe ist herrlich. Die Anlage ist vor über 25 Jahren von einem Deutschen errichtet worden, einem Visionär. Er hat versucht die kanarische Seele einzufangen und das gepaart mit deutscher Gründlichkeit ist ein gelungener Mix. Die Anlage ist ordentlich und schön. Es beginnt mit einer kleinen künstlichen Höhlenformation, in der die Welt der Altkanarier näher gebracht werden soll. Die Temperatur im Inneren ist sehr angenehm. Zu sehen sind Alltagsszenen. Wer sich mehr über diese fast vergessene Kultur informieren möchte, der hat gleich zwei Möglichkeiten. Beide Sehenswürdigkeiten könnte man quasi im Vorbeifahren mitnehmen:
- Archäologiepark von Gáldar 5)
- Gräberfeld von Agaete6)
Zurück zum Kaktusgarten: Der erste Bereich ist dem kanarischen Brauchtum, der Geschichte und dem Wein gewidmet. Sauber und liebevoll arrangiert ist es eine Oase zum Wohlfühlen, umgeben von fantastischen Panoramen. Die urige Bodega war zwar während meines Besuchs geschlossen, doch ist sie zu bestimmten Anlässen oder gebuchte Events geöffnet. Auch in dem Amphitheater finden regelmäßig Vorstellungen von kanarischem Brauchtum, wie Stockkampf oder Ringkampf (Lucha Canaria) statt.
Und nun kommen die stacheligen Protagonisten ins Spiel. Zwar gibt es auch einige wenige „Außenseiter“, wie z. B. Drachenbäume, Aloe Vera Pflanzen, Agaven, Euphorbien oder die Kanarischen Dattelpalmen, doch sind die Kakteen unübersehbar die Protagonisten dieses 15 Hektar umfassenden Areals.
Über eine Treppe gelangt man von der Anlage in den Garten. Mehrere verzweigte Wege, die allerdings für Menschen mit eingeschränkter Bewegungsfreiheit weniger gut zu meistern sind, führen durch uns diesen märchenhaften Dornenwald. Die goldfarbenen Sonnenstrahlen an diesem frühen Nachmittag blinzeln durch die Kronen der Palmen bzw. zwischen den gigantischen Kakteen und der Boden ist übersät von halbkugelförmigen Kakteen, wie Farn im klassischen Wald. Auch das glückselige Zwitschern der Vögel bekundet, dass sie sich hier wohlfühlen. Unvorstellbar und unbeschreiblich schön! Hätte sich mein Hündchen Juan nicht einem derart tiefen Jagdinstinkt verinnerlicht, wäre sogar er im Naturhimmel. Aber so versuchte er sich ständig von der Leine zu lösen, um Pfau, Ente, Küken oder Tauben zu jagen. (Sein Jagdinstinkt hatte an meiner Seite allerdings keine Chance!).
Nun möchten wir Ihnen diese ‚gefährlichen Schönheiten‘ etwas näher bringen, von denen es angeblich 1.200 verschiedene Spezies im Kaktusgarten befinden.
Faszinierende ‚Kratzbürsten‘
Kakteen zählen zu den sogenannten Sukkulenten - also Wasser speichernden Pflanzen. Ihre Haut ist dick und wachsartig, um wertvolles Wasser zu schützen. Sie können dieses in ihren Blätter (z. B. Aloe Vera), Wurzeln oder im Stamm speichern. Wenngleich sie in verschiedenen Klimazonen überleben könnten, ist ihnen eines gemein: Sie können längere Zeiten ohne Wasser überleben. (Das ist mein Glück, denn all meine anderen Pflanzen habe ich ungewollt ‚getötet‘.) Von den weltweit ca. 2.000 Kakteenarten sind 33 vom Aussterben bedroht und 27 weitere stark gefährdet.
Aus der ‚Neuen Welt‘
Abgeschiedene Eilande haben eine Tier- und Pflanzenwelt, die sich von jener auf dem Festland unterscheidet. Genauso wie auf anderen Eilanden vulkanischen Ursprungs, wie z. B. die Galápagos Inseln, Hawaii oder die Kapverden, ist es auf den Kanarischen Inseln. Dafür gibt es mehrere Gründe. Es gibt hier Pflanzen, die auf den Kontinenten durch Klimaveränderungen ausgestorben sind (z. B. Lorbeerwald) . Sie konnten hier durch ‚Klimamigration‘ in höheren Lagen überleben. Selbst die hier vokommenden Drachenbäume oder Euphorbien aus dem benachbarten afrikanischen Kontinent zählten beispielsweise zu den floralen ‚Erstsiedlern‘. Die Zugvögel rasteten oder ließen mit ihrem ‚Geschäft neue Samen vom Himmel regnen‘.
Mit der Entdeckung der Neuen Welt nahm die Seefahrt auf dem Archipel eine immer größere Bedeutung ein und es herrschte reger Handel. Mitunter waren exotische Pflanzen aus der ganzen Welt darunter, die nicht nur an europäischen Höfen höchst begehrt waren, sondern auch auf den Kanaren, wie beispielsweise für die einstige Herzogin von Arucas.2) Zu den vielen Endemismen gesellten sich etliche Pflanzen, die hier ideale Bedingungen vorfanden, denken wir beispielsweise an die ursprünglich aus Asien stammende und nun auf dem Archipel weit verbreitete Hibiskuspflanze oder die Strelitzien, die ursprünglich aus Südafrika stammen. Die Comedian Harmonists besangen ihrem Klassiker ‚Mein kleiner grüner Kaktus‘, dabei gibt es gerade bei dieser Pflanzengattung unzählige abwechslungsreiche Variationen, mehr als klein und mehr als ‚nur grün‘. Ihre Formen, Farbe der Dornen und Blüten sprengen jede Vorstellungskraft.
Herrliche Früchte: Guten Appetit
Ihre Früchte sind ein Festmahl für Mäuse, Vögel, Ziegen, Ameisen, Fledermäuse und sogar für uns Menschen. Besonders begehrt sind die Früchte der Opuntien, deren ‚stachelige Ohren‘ und farbenfrohe Blüten von der kanarischen Landschaft nicht wegzudenken sind (siehe Der Feigenkaktus). Zwar hält die Verarbeitung einige Tücken bereit und sollte nur von Könnern vorgenommen werden, doch gibt es sie vielerorts auch als Fertigprodukte, wie z. B. Smoothie, Saft, Marmelade oder als Likör. Die feine säuerliche Note veredelt als Kaktusfeigenpüree, der Star zur knusprigen Entenbrust .3)
Über lange Zeit hatte diese Wirtspflanze der Cochenilleschildlaus einen enorm hohen Stellenwert auf den Kanarischen Inseln4), denn diese lieferten den begehrten roten Farbstoff. Manche Kakteenarten werden sogar in der Pharmazie verwendet.
Die Giganten
Während der kleinste Kaktus mit etwa zwei Zentimetern Höhe leicht übersehen werden kann, verhält es sich beim Carnegiea gigantea gerade anders. Dieser von uns mit Westernfilme assoziierte Vertreter kann bis zu 200 Jahre alt werden und dabei eine Wuchshöhe von bis zu 15 Meter erreichen. Einige dieser Giganten sind im Cactaldea Park vertreten. Der Größte misst sechs Meter und wurde mit einer Eisenschelle gesichert, um nicht durch Windböen abbrechen zu können. Er wurde von der Deutschen Kakteen-Gesellschaft, den Österreichischen Kakteenfreunden sowie von der Schweizerischen Kakteen-Gesellschaft zum „Kaktus des Jahres 2017“ gekürt.
Der Cereus (Cactaceae) kann ebenfalls sehr groß werden und das auch noch schnell. Bis zu einem Meter pro Jahr können diese Kakteen an Masse zulegen. Hier reihen sich kerzengerade längliche ‚Sprossen‘ aneinander, wobei diese verzweigt sind und am Ende eine Krone tragen. Diese besteht aus drei bis zehn sogenannten weit auseinander stehenden Rippen auf denen filzartige behaarte kurze kräftige Dornen sind. Auch diese Art stammt ursprünglich aus der Neuen Welt und kam mit den Seefahrern auf den Archipel.
Die Azteken und der Schwiegermuttersessel: Auf dem Kakteenpark verteilen sich unzählige Echinocactus grusonii, bei uns umgangssprachlich als Schwiegermuttersessel bezeichnet.
Bestechend
Die Dornen und ihre Funktionen
Warum hat der Kaktus Dornen, gemeinhin als Stachel bezeichnet. Im Laufe der Evolution haben sich Blätter in Dornen umgewandelt, um ihre Oberfläche zu reduzieren und dadurch so wenig wie möglich vom wertvollen Nass durch Verdunstung zu verlieren und andererseits, schützen sie sich davor gefressen zu werden. Manche Kakteenarten haben sogar giftige Dornen. Bei manchen Arten dienen die extrem dichten Dornen sogar als Schutz vor den starken UV-Strahlen in über 3.000 Metern Höhe oder vor starken Winden. Andere, wie beispielsweise die in küstennahen Wüsten wachsende Eulychnia in Chile, gewinnt mithilfe der überaus langen Dornen Wasser, indem sie dieses damit aus dem Nebel kondensieren.
Fazit
Den Kaktusgarten muss man einmal im Leben gesehen haben. Eingebettet in eine zauberhafte Landschaft in absoluter Ruhe können Sie hier die wunderbare und beeindruckende Vielfalt der Natur erleben. Ihr Vierbeiner ist willkommen (Leinenpflicht). In dem Bistro werden regionale kanarische Gerichte in üppigen Portionen kredenzt. Viel Spaß!
Kontakt
Cactualdea Kakteenpark
Carretera GC-200 auf Höhe Tocodomán (2 km südlich von La Aldea de San Nicolás de Tolentino)
35017 Las Palmas de Gran Canaria
Tel.: (+34) 928 89 12 28
Eintritt: 6,00 Euro Erwachsene, Kinder von 9 bis 14 Jahren 3,50 Euro, darunter 2,00 Euro. (verifiziert am 8.4.2021)
Geöffnet: 10.00 bis 17.00 Uhr
Anfahrt: Den Park Cactualdea erreichen Sie am besten mit dem Auto. Von Mogan aus fahren Sie in Richtung La Aldea de San Nicolás. Von dort aus ist der Park sehr gut ausgeschildert. Parkplätze vorhanden.
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Verweise
1)Viva Canarias Nr. 75 vom 27. März 2015 Wilde Wälder - Ausflug in das Naturreservat Los Tilos in Moya
2)Viva Canarias Nr. 115 vom 10. März 2017 Charmanter 'Park der Herzogin' in Arucas
3)Viva Canarias Nr. 89 vom 18. Dezember 2015 Kaktusfeigenpüree, der Star zur knusprigen Entenbrust
4)Viva Canarias Nr. 89 vom 18. Dezember 2015 Exportgut - Ökofarbe der Cochinilla-Laus
5)Cueva Pintada – Versunkenes Reich der Altkanarier (Teil 1 und Teil 2), Viva Canarias Nr. 70 vom 16. Januar 2015
6)Viva Canarias Nr. 114 vom 24. Februar 2017 Necropolis del Maipés, Königsgräber in Agaete