Eigentlich wollte ich meine ‚filmische Erfahrung‘ vergangenen Herbst verdrängen. Doch das ist nun nicht mehr möglich, nachdem am 1. März 2018 die Vorpremiere von „La voz al otro lado“ ansteht, in der ich irgendwie tiefere Einblicke Backstage erhalten habe als ich wollte. Dazu muss ich allerdings die Uhr um einige Monate zurückdrehen. Eines Abends war ich mit meinen Freunden Andreas Dacke und Guy Martin im Restaurant Misbah[1] an der herrlichen Promenade von Meloneras indisch Essen. Wir waren ‚pappensatt‘ und genossen die Stimmung des Sonnenuntergangs vor der Kulisse des Meeres bei einem (oder mehreren) Gläsern guten Wein. Sie erwähnten beiläufig, dass derzeit der spanische Regisseur Antonio García Cánovas2) den Film „Carmen“ auf der Finca Montecristo dreht und noch Komparsen fehlen. In meiner redseligen Laune und mit meiner ständig überbordenden Hilfsbereitschaft rutschten mir an diesem stimmungsvollen Abend die unbedachten Worte raus: „Na, dann ich! Wie schwer kann das wohl sein? Ich dachte an Filme, wo im Hintergrund jemand Kaffee trinkt oder eine Straße passiert …“
Die Fantasie: Mutter aller Wünsche
Dass meine erste filmische Erfahrung davon weit weg sein sollte, sollte ich erst eine Woche später erfahren. Am nächsten Tag rief mich Andreas an und bat mich um meine Körpermaße für die Kostüme. Sie können sich vorstellen, dass mir das schon sehr unangenehm war, meine Schuhgröße, den Umfang meiner Taille, Hüfte und Oberweite einfach so mitzuteilen. Und schon wieder machte mir meine Fantasie einen Strich durch die Rechnung. Ich malte mir aus in einem bunten bodenlangen, mit Rüschen besetzten, getupften Kleid, wie aus Andalusien und mit einer großen Blume im Haar zu erscheinen… auch das sollte sich in der Realität ganz anders zeigen.
Zu dumm, dass ich meinen Redaktionsschluss nicht bedacht hatte. Meine engen Freunde wissen, dass ich in den letzten drei Tagen vor Abgabetermin immer kurz vor einem Nervenzusammenbruch stehe und eigentlich nicht wirklich ansprechbar bin. In dieser Zeit bin ich höchst angespannt und fokussiert auf den Feinschliff der letzten ‚eintrudelnden‘ Pressemitteilungen. Es gab aber kein Zurück mehr, denn hängen lassen wollte ich Antonio auch nicht.
Der 1. Drehtag - unterschätzt
Ich musste mich an einem Samstag um 8.00 Uhr morgens einfinden, kam zu spät! Peinlich, aber man hat es mir nicht einmal unter die Nase gerieben (definitiv eine Sonderbehandlung). In der Maske wartete man schon ungeduldig und ich freute mich schon auf ‚mein Kleid‘ und die Verwandlung. Die anderen Damen, waren schon fertig gestylt und angezogen. Der Kostümbildner sah mich prüfend von oben bis unten an und reichte mir mein Kleid, das ich nur mit Müh und Not überstülpen konnte (da rächt es sich, wenn man ein paar Zentimeter weg schummelt). Wegen meiner Verspätung war ‚Speedschminken‘ angesagt. Ich sollte ein wenig „putita“ aussehen. Für meine lieben deutschsprachigen Leser: Damit ist gemeint ‚lasziv‘ oder vielleicht sogar ein wenig ‚vulgär‘. Na bravo. Die ersten Szenen spielten nämlich in einer zweideutigen Bar, wo die Damen sehnsüchtig auf das Eintreffen der Männer warteten und sie bezirzen sollten …
Es war nun bereits 10.30 Uhr und wir befanden uns in der Eventhöhle Chateau d’IF. Und jetzt war Warten angesagt, denn der Regisseur, der Choreograf und der Kameramann besprachen die letzten Details und instruierten jeden einzelnen von uns Komparsen, sie ‚platzierten‘ uns an bestimmte Ecken, Tische, Stufen oder Stühle an der Bar und jeder hatte eine ganz eigene Aufgabe. Lachen, gehen, tanzen, mit dem ‚Popo‘ wackeln etc. Bald hatte ich einen gordischen Knoten im Hirn. Wie war das noch gleich? Die Stufen runter gehen, warten bis jemand von rechts kam, dann weitergehen, die Hüften schwingen, lächeln etc. Verzeihen sie mir, aber wer mich kennt weiß, dass Popo wackeln und ‚putita‘-Look bei mir wirklich unglaubwürdig sind. Ich bin schon wegen meiner körperlichen Attribute eher Olivia von Popeye als eine laszive Dame eines fragwürdigen Nachtclubs.
Und täglich grüßt das Murmeltier...
Weil es beim Film nie beim ersten Mal klappt, schon gar nicht, wenn fast dreißig Menschen koordiniert werden müssen, wurden diese Szenen schier endlos wiederholt. Ich war gerädert und hatte nun auch Kopfweh. Ich verstand bald nicht mal mehr Spanisch, obwohl mir alles so vorkam. Es war nicht zu übersehen, dass die anderen Damen annahmen, ich sei geistig minderbemittelt.
Dabei verstand ich nur die Hälfte dieser für mich so schnell gesprochenen spanischen Instruktionen und versuchte in meiner Panik die Mimik des Regisseurs und Choreografen richtig zu interpretieren. Immer wieder wurden die Szenen wiederholt. Stufen runter und wieder rauf, tanzen, lachen, hüpfen und Freude verbreiten. Letzteres war das Allerschwerste, denn inzwischen war es vier Uhr nachmittags und ich sah kein Ende in Sicht. Fast war mir zum Weinen und am liebsten wäre ich weggelaufen und zwar in meine Redaktion, um dort auf meine geliebte Tastatur klopfend das Magazin fertig zu schreiben. Ein bei weitem einfacherer Job und jetzt erst bewundere ich all die Theaterleute, die das alles meistern können. Außerdem habe ich mir ehrlich gesagt das ‚Komparsendasein‘ ganz anders vorgestellt.
„humor hilft“
Am nächsten Tag geht es weiter, dann wechselt die Szene in eine Tabakplantage etc. Wenn ich nun abhauen würde, dann müssten sie alles nochmal machen, weil von der Damenclique plötzlich eine fehlt. Augen zu und durch. Immerhin war meine nächste Aufgabe viel einfacher, denn ich musste für eine Szene lediglich an einem Tisch sitzen und Zigarren rollen. Dafür hat man mir aber auch ein absurdes Kleid verpasst, das an einen Hauskittel erinnerte, so wie ihn meine Oma vor vielen Jahrzehnten trug. Von der fehlenden üppigen Oberweite versuchte der Designer mit einem blauen Halstuch abzulenken. Jetzt fühlte ich mich wie ein weiblicher Wiener Sängerknabe in fortgeschrittenem Alter (siehe Foto rechts oben). Ist auch schon egal, vielleicht sieht es keiner? … Wieder ein Irrtum!
Geteiltes Leid ist halbes Leid und irgendwie munterte es mich auf, dass Andreas sich in seiner Uniform ebenfalls alles andere als wohl fühlte. Nur Guy blühte auf wie eine Rose. Er war nämlich der Chef der Roma, trug ein schwarzes Hemd und war über und über mit Gold behängt. Weil Humor der beste Ratgeber im Leben ist und aus so manchen unangenehmen Lebenssituationen hilft, lächelten Andreas und ich uns immer wieder gegenseitig an, um uns zu motivieren.
Die Handlung
Protagonistin ist die einst gefeierte Operndiva Laura Leoni, deren Stern am Künstlerhimmel an Leuchtkraft verloren hat. Doch das will sie nicht wahrhaben und hofft auf ein Come-Back. Zudem kämpft sie verzweifelt um ihren jungen Liebhaber Fabien, den sie protegiert und finanziert hat, doch der wiederum denkt an seine eigene Karriere als Sänger. Er will sie verlassen und sie bettelt, lacht und lügt am Telefon, nur um ihn davon abzubringen. Fabien hat längst die Fäden zu einem mächtigen Produzenten gesponnen. Nur noch genervt und herablassend hört ihr „Die Stimme auf der anderen Seite“ überhaupt noch zu, bis Laura erkennt, dass es zu spät ist. Schmerzvoll akzeptiert sie ihr Schicksal und wird sich weiter auf die Suche begeben nach einem Anderen, der die Lücke der Einsamkeit in ihrem Leben zu füllen vermag.
Vorpremiere
Der Film „Die Stimme auf der anderen Seite“ wird am 1. März unter Beisein der Regisseure, Produzenten, Schauspieler und einiger Komparsen in der Eventhöhle Chateau d‘If in Montecristo als Vorpremiere gezeigt. Es ist ein Musikfilm, indem Gesang und Sprechsequenzen einander abwechseln und basiert auf dem Theaterstück „La voix humaine“ von Jean Cocteau sowie dem französischen Komponisten Georges Bizet, der leider viel zu früh verstorben ist, um den weltweiten Erfolg seiner Oper Carmen erleben zu können.
Do., 1. März, ab 18.00 Uhr
„La voz al otro lado“ (dt. Die Stimme auf der anderen Seite) von Antonio García Cánovas. Produktion: Hans Ulrich Heiniger (Ulysse) und Antonio García Cánovas.
Wo: Montecristo, Barranco de Ayagaures 85 (10 Min. von Maspalomas)
Eintritt inkl. Finger-Food-Büffet und einem Glas Sekt: 18 Euro, Reservierung unter: 928 144 032
Steckbrief Der 1946 in Cartagena (Murcia) geborene Antonio García Cánovas ist Schriftsteller, Theaterregisseur und Maler. Als 43-jähriger hatte er seine erste Einzelausstellung im angesehenen Real Club Náutico de Las Palmas und es folgten weitere Expositionen in New York, Miami, Las Vegas, Florenz, Barcelona und Tokio. Etwa zu dieser Zeit wurde er zudem Direktor für Bildende Kunst in Maspalomas, wo er einer intensiven Theatertätigkeit nachging und etliche Komödien, Musikspektakel, Zarzuelas und Dramen inszenierte. Sein Buch „Los frutos primeros“ wurde mit dem Odisea Preis für Novellen ausgezeichnet. Im Jahr 1999 begann García auch mit dem Filmen (Dokumentationen, Kurzfilme und Kinofilme).
Footnotes
- ^ Viva Canarias Nr. 128 vom 1.12.2017 „Scharf, Mild, Exotisch: Die indische Küche im Restaurant Misbah, Meloneras“ Der dreh: tag 2