Ausgabe Nr.
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J M upload 02.02.2022, Viva Edition 184 | Print article

Heilsame Geräusche: Es lebe die Stille ... und das Naturkonzert!

Wir sehnen uns nach einem langen Leben, idealerweise mit höchstmöglicher Lebensqualität und körperlich fit. Immer mehr Menschen versuchen gesund zu leben und zwar durch ausreichende Bewegung und gesunde Ernährung. Und doch scheint es, als ob wir immer kränker werden, wenn man den Statistiken glaubt, was den Anstieg der Krebsraten und Infarkte betrifft.

Machen wir etwas falsch? Wie sinnvoll ist übermäßiger Sport in überfüllten, lauten Sportzentren? Und welchen negativen Einfluss auf unsere Gesundheit hat Stress und wie können wir ihn tatsächlich abbauen?

Vielleicht zahlt es sich aus, einige weitere Aspekte zu überdenken, wie z. B. das Thema Lärm. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass in Europa jedes Jahr um die 300 Todesfälle auf übermäßigen Lärm zurückzuführen sind. Lärm als ein Folterinstrument einzusetzen, wie in einigen Spionagefilmen demonstriert, kommt nicht von ungefähr. Wohlbefinden hat also auch mit Geräuschen zu tun und bestimmter nervtötender Lärm führt zu Stress und Aggressionen. Dabei wird es immer schwieriger sich dem zu entziehen, insbesondere in dicht besiedelten urbanen Zonen. Wir sind ständig umgeben von Geräuschen, wie z. B. Auto-, Bahn- oder Flugverkehr, Baulärm, Menschen etc. Und als würde das noch nicht reichen, komplettieren wir unsere Reizaufnahme noch mit Medienkonsum à la Radio, TV, Internet.

Oh Lärm, lass nach ...

Unser Hirn ist unermüdlich im Einsatz, aktiv oder passiv. Normalerweise geschieht dies im entspannten Modus. Sobald jedoch Reize auf uns einfließen, schaltet sich dieser sogenannte „Default Mode Network Modus“ aus. Die negativen Auswirkungen von Stress auf unser vegetatives Nervenkostüm zeigten wir bereits auf.1) Manche Menschen versuchen ihren Stress mit Entspannungsmusik abzubauen, aber es gelingt mitunter nicht immer. Warum ist das so? 

Der italienische Arzt Luciano Bernardi untersuchte in einer im Jahr 2006 durchgeführten Studie die psychologische Wirkung von Musik und spielte den Probanden mit einer jeweils 2-minütigen Pause unterschiedliche Werke bzw. Musikstile vor. Dabei entdeckte er zufällig, dass die Erholung während der Pausen - also der musikfreien Zeit - höher war, als während des Hörens der beruhigendsten Melodien. Demnach schien sich Stille auf das Gehirn und den Erholungswert sehr positiv auszuwirken - aber wie?

Hirntraining mit Stille?

In einer 2013 an Mäusen durchgeführten Studie zeigte sich, dass zwei Stunden Stille pro Tag nachweislich die Bildung von Gehirnzellen am Hippocampus (zentrale Schaltstelle) nach sich zogen. Ist Stille also eine Art Hirn-Booster? 

Diese Ergebnisse können natürlich nicht eins zu eins auf den Menschen übertragen werden, doch werfen sie die Frage auf, welche Auswirkungen Stille auf unseren Kopf bzw. Körper tatsächlich hat. 

Wenn wir also regelmäßig und bewußt „Stille tanken“, dann reduzieren wir Stress!  Das Gehirn kann sich in diesen Reizpausen regenerieren und das eigene Wohlbefinden steigert sich. Zwar haben viele Menschen durch die langanhaltenden Reizüberflutungen mitunter verlernt, Stille zu genießen, doch kann dies leicht wieder erlernt werden. 

Wenn keine oder kaum Reize auf unser Hirn einfließen, dann fliegen unsere Gedanken in einer Art Schwerelosigkeit. Bildsequenzen, Erinnerungen, Selbstreflektion und Gefühle tauchen auf. Mitunter kommen neue Ideen und rettende Lösungen von Problemen, an denen wir laboriert haben. Zudem kann sich die Kreativität ideal entfalten und sogar Ängste abbauen.2)

Ruhe: Ein Luxusgut?

Inzwischen gibt es sogar eine neue Nische - Menschen zahlen für die Abwesenheit von Lärm. Sie suchen die erholsame Stille während einer Meditationswoche, in Klöstern, auf Schweigeseminaren etc. Auch die Individualtouristen, die Landhäuser den überdimensionalen Bettenhochburgen vorziehen, schlagen in diese Kerbe.

Heilsame „Nicht-Stille“

Die Stille der Natur scheint eine besonders wohltuende Wirkung auf uns auszuüben, auch was den Abbau von Stress betrifft. Dabei ist es in der freien Natur alles andere als geräuschfrei. Denken wir an die heiteren Melodien von Vogelgezwitscher, das quirlige Plätschern eines Baches, das Rascheln der Baumkronen im sanften Wind oder an das gleichmäßige tiefe Rauschen von Meereswellen. Ein Widerspruch?

Biologin Rachel Buxton3) analysierte 36 Studien, die sich empirisch mit den Auswirkungen der Naturgeräusche auseinandersetzten und kam zu einigen interessanten Ergebnissen:
• Demnach eignet sich Vogelgezwitscher am Besten, um Ärger und Stress abzubauen. 
• Wassergeräusche haben den besten positiven Effekt auf den Blutdruck, das Schmerzempfinden und auf Emotionen. 
• Ein Spaziergang in der Natur kann unsere Herzfrequenz stabilisieren. 
• Sie steigern die kognitive Leistung

Einige Wissenschaftler4) vermuten einen Zusammenhang mit der Evolution des Menschen, die damit begründbar sein könnten, das eine bestimmte natürliche Geräuschkulisse unterbewusste Signale für Sicherheit sendet. Diese beeinflussen wiederum unsere Psyche und sorgen für die mentale Erholung und psychische Ausgeglichenheit. Die genauen Auswirkungen von Geräuschen bieten noch viel Potenzial für weitere Studien.

Waldbaden ...

Der in Japan geprägte Begriff „Shinrin Yoku“ aus dem Jahr 1982 bedeutet soviel wie „heilsames Waldbaden für die psychische und physische Gesundheit“. Gemeint ist die bewußte Wahrnehmung der Waldatmosphäre mit allen Sinnen. Im Jahr 2004 wurde versucht, den Zusammenhang zwischen menschlicher Gesundheit und Wald empirisch zu erforschen. Die Luft ist sauerstoffreicher, was gut für die Sauerstoffversorgung unseres Organismus ist. Die Duftstoffe in dieser natürlichen Umgebung haben ebenso einen Einfluss wie die Geräusche. „Waldbaden“ kann den Blutdruck und Blutzuckerspiegel senken und gleichzeitig das Immunsystem stärken und für den Stressabbau förderlich sein.

Wandern: „Superfood“ der Gesundheit

Beim Wandern potenziert sich eine gesundheitsfördernde Wirkung aufgrund vieler Faktoren. Die Bewegung an der frischen Luft versorgt unseren Organismus mit viel Sauerstoff, stärkt unseren Bewegungsapparat und die Muskeln und regt die Produktion der T-Zellen an, also die Stresskiller in unserem Organismus. Glückshormone werden freigesetzt, insbesondere aufgrund der besänftigenden Naturgeräusche - wie schon zuvor erwähnt. Aus diesem Grund fühlen wir uns nach einem Aufenthalt in der Natur bzw. einer Wanderung frei, glücklich und entspannt.

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Verweise (www.viva-canarias.es)

1)Viva Canarias Nr. 88 vom 13.12.2018 „Stress lass nach, TCO by Dr. Jung Che“

2)Hirnforscher Dr. Joshua Grant  untersucht die Auswirkungen von Stille auf unser Wohlbefinden.

3)Rachel Buxton, Carleton University in Kanada

4)Hirnforscher am Max-Planck Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig