„Land der Berge, Land am Strome, Land der Äcker …“, schon diese ersten Strophen der österreichischen Bundeshymne scheinen vom Mostviertel inspiriert worden sein, meiner Heimat.
Nach vielen Jahren im Ausland konnte ich sie aus einem neuen Blickwinkel betrachten und war, ob der Schönheit der pittoresken Dörfer sowie der romantischen Landschaften, überwältigt. Die frische, saubere Luft in der Natur animiert zum tiefen Einatmen und zwitschernde Vögel verzaubern mit ihrer Sinfonie, die in der Lage ist, Glückshormone aufkommen zu lassen und Stress abzubauen.
Auch optisch ist das Mostviertel sehr reizvoll. Verschiedenfarbige Grüntöne der Äcker, Wiesen und Wälder vereinen sich zu einer ‚Patchwork-Decke‘, die sich über die sanfte Hügellandschaft legt, die sich bis zur Donau erstreckt. Monokulturen sind hier Fehlanzeige, dafür zeigen viele konsequent umgesetzten Naturschutzmaßnahmen ihre positiven ökologischen Auswirkungen, wie beispielsweise Renaturierungsprojekte à la Wiederherstellung ursprünglicher Flussläufe.
Den Wasserreichtum verdankt das Mostviertel den vielen Bächen und Flüssen, die von den Quellen aus den bergigen Zonen des Alpenvorlands gespeist werden. Die größten Ströme sind die Enns, die Ybbs, die Erlauf, die Pielach und die Traisen.
Die fruchtbaren Böden und das Klima sind prädestiniert, um Agrarwirtschaft zu betreiben. Das wussten die Menschen schon seit sehr langer Zeit und nach wie vor ist sie ein wichtiger Wirtschaftszweig in der Region. Die seit Generationen geführten Familienbetriebe verteilen sich weitläufig auf den sanften Hügellandschaften und prägen das Landschaftsbild des Mostviertels. Typischerweise handelt es sich um stattliche Vierkanthöfe, wo die Wohn- und Betriebsgebäude bzw. die Stallungen um einen Innenhof herum gebaut wurden, wie bei Atriumhäusern, und sind somit nach außen hin geschützt. Dieser Eindruck wird durch den auf allen Seiten gleich hohen Dachfirst noch verstärkt. Manchmal finden sich unverputzte Fassaden, so wie es einst üblich war.
Mitteleuropas größtes Birnbaumgebiet
Namensgebender Protagonist dieser Region ist der Most (lat. mustum), ein alkoholhaltiger Fruchtsaft, meist aus Äpfeln oder Birnen. Über 300.000 Bäume wachsen verstreut über das Mostviertel und prägen als Streuobst das rurale Erscheinungsbild. Im Vergleich zum Intensivobstanbau ist diese Produktionsmethode zwar aufwendiger, allerdings auch umweltverträglicher. Das kommt der Biodiversität und dem schönen Landschaftsbild gleichermaßen zugute.
In dieser Region befindet sich Mitteleuropas größtes geschlossenes Mostbirnbaumgebiet, im Besonderen in der westlichen Zone des Mostviertels.
Und jetzt stellen Sie sich diese Gegend während der Blütezeit vor, wenn die majestätisch anmutenden Birnbäume mit einer üppigen weißen Blütenpracht versehen sind. Es bietet sich ein unvergleichlich schöner Augenschmaus, der vielleicht nicht mit Japans Kirschblüte konkurrieren kann, sich aber hinter der Marillenblüte in der Wachau nicht verstecken muss. Das Naturschauspiel findet alljährlich im April statt und wer es doch versäumt, der kann eben die Blüten der Apfelbäume genießen, die im Anschluss starten. Inzwischen ist die Blütezeit zu einem zusätzlichen Touristenmagneten avanciert.
Ungeachtet der Jahreszeit bietet sich jederzeit ein Ausflug ins Mostviertel an. Tipp: Der Tourismusverband Mostviertel hat in seinem übersichtliche Folder eine detaillierte Landkarte „Die große Moststraße, Genusskarte durch die Birnenmost-Region“ mit den schönsten Radtouren und Panoramaausblicken entlang der 200 km langen Moststraße dargestellt, inklusive Übernachtungsmöglichkeiten, kulinarischen Tipps, Ausflugszielen etc. Sie liegt in den Touristeninformationszentren sowie in regionalen Museen auf.
Davon abgesehen bietet die Region überaus abwechslungsreiche Landschaften, von tiefen Schluchten, Wasserfällen, dichten Wäldern bis hin zu den Bergregionen der nördlichen Alpenkette samt spektakulären Panoramaausblicken, die Sie an einem der vielen Aussichtspunkte genießen können (z. B. Mosthöhenstraße ab St. Peter an der Au bis St. Georgen oder dem Sonntagberg).
Das umfassende Freizeitangebot des Mostviertels, von den Netzen an Wander- und Fahrradwegen bis hin zu Ab-Hof-Erlebnissen, Almfesten und Veranstaltungen. Auch Informationen über Vorteilskarten und speziellen Urlaubsangeboten werden auf der offiziellen Webseite des Mostviertler Tourismusverbands übersichtlich präsentiert (mostviertel.at).
Obstkultivierung: Ein Blick zurück
Wie kam es dazu, dass ausgerechnet hier so viele Obstbäume gepflanzt wurden? Wild- oder Holzbirnen schon vor mindestens 6.000 Jahren vom Balkan kommend in den europäischen Urwäldern vorzufinden, doch die Kultivierung war ein „Kulturimport“.
Auf unserer Spurensuche reisen wir gedanklich zurück bis etwa 1.500 v. Chr., wo in Persien und Syrien die Obstkultivierung weit vorangeschritten war. Von dort wurde sie ins antike Griechenland eingeführt und anschließend auch von den Römern übernommen, die schon bald über beträchtliche Kenntnisse über den Obstbau verfügten und durch Veredelungen die Sortenvielfalt bereicherten. Sie brachten schließlich die ersten Kultursorten nach Österreich.
Im Mittelalter waren es vor allem die Klöster, die maßgeblich für die Weiterentwicklung und Verbreitung des Obstanbaus in ganz Europa verantwortlich waren.
Ab dem 14. Jhdt. forcierten die Landesherrn den Anbau und die Zahl der Obstgärten wuchs stetig, was auch zum Fortschritt im Obstanbau führte.
‚Kaiserin’ Maria Theresia soll 1763 die Anpflanzung von Streuobstbäumen entlang sämtlicher Straßen angeordnet haben, denn vor dem Hintergrund der wachsenden Bevölkerung sollte jedes Stück Land produktiv genutzt werden, damit das Volk günstig mit Obst versorgt werden konnte.
Zudem bedeutete dies eine zusätzliche Erwerbsmöglichkeit für die ärmere Landbevölkerung. Interessanterweise lauteten weitere Argumente ‘Schatten spendende Bäume entlang der Straßen zum Schutz des Wanderers‘, die ‚Versorgung durchziehender Truppen‘, die ‚Zierde der Straße“ sowie die ‚Orientierungshilfe bei Schneeverwehungen im Winter‘ waren weitere Aspekte.
Ihr Nachfolger, Joseph II., versprach außerdem jedem Landwirt, der mehr als 100 Obstbäume pflanzte, eine silberne Medaille. Selbst auf Hochzeitsfesten war es später üblich, Bäume zu pflanzen.
Wohlstandsbirne, ein Auf und Ab
Im 19. Jhdt. herrschte eine große Nachfrage nach dem beliebten Getränk Most, das die Städter von den Landwirten auf den Märkten bezogen. Das führte zu großem Wohlstand der Bauern, was in prachtvollen Vierkannthöfen seinen Ausdruck fand und die die Gegend des Mostviertels auch heute prägen, wie schon eingangs erwähnt.
Erst ab den 1960-ern erlebte der Streuobstanbau einen Einbruch, bedingt durch Abwanderung von Arbeitskräften, schwierigeren Wettbewerbsbedingungen des sich immer stärker ausbreitenden Intensivanbaus. Zudem änderte sich das Konsumverhalten durch andere Tafelobstsorten, die den Markt eroberten. Viele Landwirte verwendeten das Streuobst aufgrund des wirtschaftlich uninteressanten Preisniveaus nur noch als Pressobst.
Sortenreich …
Mostbirnbäume übertreffen Apfelbäume hinsichtlich Alter oder Wuchshöhe betrifft, denn sie können bis zu 200 Jahre alt werden und produzieren bis zu 1.000 Kilogramm Früchte pro Baum und Jahr.
Das Mostviertel kann sich nicht nur über eine Vielzahl an Bäumen, sondern auch über geschätzt mehr als 200 Birnensorten rühmen und durch die traditionelle Kultivierung gelten einige der typischen Sorten als autochthon:
Betzelsbirne, Dorschbirne, Gelbmostler, Grüne Pichelbirne, Grüne Winawitz, (Kleine) Landlbirne, Knollbirne, Luxemburger, Rosenhofbirne, Rote Lederbirne, Grüne und Rote Pichelbirne, Schmotzbirne, Schweizer Wasserbirne, Speckbirne, Stieglbirne, Tollbirne, Rote Kochbirne, Rote Haindlbirne, Pöllauer Hirschbirne etc.
Renaissance eines ‚Superdrinks‘
Angeblich haben schon die Kelten den erfrischenden Most nicht nur aufgrund des Geschmacks zu schätzen gewusst, sondern auch aufgrund der verdauungsfördernden Wirkung. Doch in Wirklichkeit hat Most viel mehr zu bieten, denn er enthält die wertvollen Inhaltsstoffe der verwendeten Obstsorten. Ergo: Er ist reich an Vitamin C, Kalium, Kalzium. Magnesium soll die Cholesterinwerte senken und die Verkalkung der Blutgefäße vermindern. Nicht zuletzt enthält er viele Antioxidantien und kann eine positive Wirkung auf die Verdauung haben.
Pressen, nicht essen
Im Herbst ist die Zeit gekommen, das Obst zu ernten. Maschinell ist dies kaum möglich, da durch den Streuobstanbau die Bäume vereinzelt auf den Hügeln gepflanzt wurden und darüber hinaus die Wuchshöhe ungeeignet dafür sind.
Das bedeutet, dass der Mensch gefordert ist. Von Hand werden die reifen Früchte geklaubt, wie das Pflücken im Mostviertel genannt wird. Im Prinzip ist die Produktion einfach, denn Most wird durch das Pressen (Keltern) von dafür besonders geeignetem und davor gründlich gewaschenem Mostobst gewonnen, vornehmlich Äpfel, Birnen oder Trauben. Der erkelterte, noch süße Saft, wird anschließend einem einige Wochen andauernden Gärungsprozess unterzogen. Dabei wandeln die Hefepilze den Fruchtzucker zu Alkohol um bzw. lassen diesen gären, wodurch von Natur aus Kohlensäure entsteht.
Das leicht erfrischende Getränk hat weniger Alkoholgehalt als Wein. Je nach Gärungsrad liegt der Alkoholgehalt bei 5 - 8 Prozent.
Optisch sollte die Flüssigkeit klar sein bzw. ohne Trübungen und einen fruchtigen Geruch mit einem natürlichen Kohlensäuregehalt, der durch die Gärung entsteht. Der Verband der Mostbauern unterteilt ihn in vier Geschmacksrichtungen, die sich durch Säure, Restzuckergehalt und Gerbstoffen ergeben.
Geschmacksrichtung Säuregehalt
- mild 6,5 Promille
- halbmild 6,5 - 8 Promille
- kräftig niedriger Säuregehalt, hoher Gerbstoffanteil
- resch mehr als 8 Promille
Kulturerhalt. Die Mostbarone
Tradition und Innovation ergänzen sich hervorragend in der Initiative der sogenannten Mostbarone, die sich als Botschafter und Impulsgeber der mostviertler Mostkultur verstehen. Der Titel wird ausgewählten Mostbauern verliehen, die sich aufgrund ihres Engagements für die Tradition, Region und Kultur rund um die Mosbirnen verdient gemacht haben.
Derzeit tragen 21 Personen bzw. Betriebe diesen Titel, seien es Produzenten, Edelbrenner, Gastronomen oder Hoteliers. Sie haben sich zusammengeschlossen und der Veredelung der regionalen Speisen verschrieben. Ihr abgelegter Schwur verpflichtet sie, die Kultur rund um den vergorenen Birnenmost zu pflegen und weiterzuentwickeln.
Jeder der Mostproduzenten hat einen eigenen, ganz individuellen Baronmost im Repertoire, der Lieblingsmost des Barons, der sich durch seine Qualität auszeichnet und mit dem staatlichen Prüfsiegel ausgezeichnet ist.
Auf ihrer offiziellen Webseite wird die Geschichte des Mosts auf wunderbare Weise erläutert.
https://www.mostbarone.at/Geschichte
Noch spannender ist der Online-Shop, der mit seinem exquisiten Angebot rund um den Most und assoziierte Erzeugnisse verführerisch lockt, sei es Gourmet-Most, Balsam-Essig, Edelbrände oder Cider etc. Und obwohl es sich um qualitativ hochwertige Produkte handelt, sind die Preise nicht abgehoben.
https://myproduct.at/brand/die-mostbarone/
Die ‚Alchimosten‘. Vom Bauerntrunk zum edlen Tropfen?
Wer sich nun romantische Keller mit alten Holzfässern vorstellt, der ist auf dem Holzweg. Zwar halten die Mostproduzenten die Tradition hoch, doch wird in der Produktion in allen Aspekten mit der Zeit gegangen. Es steckt viel Know-How und Kellereitechnik dahinter. Der Most gärt in fast klinisch anmutenden Edelstahlbehältern, um den Prozess und die Inhaltsstoffe kritisch überwachen zu können. Die Erwartungshaltung an Geschmack und Qualität ist auf beiden Seiten hoch, sei es in der Produktion oder bei der Konsumation.
Da Birnen einen niedrigeren Säuregehalt als Äpfel haben, sind sie milder im Geschmack. Obwohl es sich bei Most um ein Traditionsgetränk handelt, das zu Unrecht in ein Schattendasein gedrängt wurde, erlebt er seit den 1990-er Jahren eine Renaissance, seien es sortenreine Moste oder die fein ‚komponierten‘ Cuvées.
Inzwischen gibt es viele Variationen, wie z. B. die Gourmetmoste Brous, Preh und Exibatur, die für wahre Gaumenfreuden sorgen! Doch auch deftigere ‚g’mischte Moste‘, also Birnen mit einem geringen Anteil an Äpfeln, werden gerne genossen.
Ja, selbst gehobene Gastronomie hat Moste für sich entdeckt! Viel Spaß bei Ihrer kulinarischen Entdeckungsreise!
Julija Major
Vorschau Teil 3. Der Zufall schenkt uns die schönsten Geschichten. Wie eine auf einer Straße aufgemalte Hundepforte mich auf die Spuren der Römer und ihre jahrtausende alten Spuren sich mit der Geschichte von Mauer verbinden beschreibe ich in meinem nächsten Teil.
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STECKBRIEF MOSTVIERTEL
Fläche: 5.500 km2
Lage: 120 km westlich von Wien
Grenzt im Norden an die Donau, im Süden an die Steiermark, im Westen an Oberösterreich (Enns ist die Bundeslandgrenze) und im Osten an den Wienerwald.
Höchster Punkt: Ötscher 1.893 m (weitere sind der Dürnstein 1.878 m und das Hochkar 1.808 m)
Niedrigster Punkt: Ardagger 246 m
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VERWEISE/QUELLEN
- Frankfurter Allgemeinde „Eine Birne für die Ewigkeit“ vom 19.10.2011, siehe faz.net
- Bundesministerium Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft „Traditionelle Kultivierung von lokalen Mostbirnensorten in Österreich“ vom 19.12.2023 - siehe https://info.bml.gv.at/themen/lebensmittel/trad-lebensmittel/obst/oe_mostbirnensorten.html
- ÖKO-L „Die Mostbirne - Kulturgut seit der Kelten-Zeit“, 2005 - siehe Biologiezentrum.at
- Mostviertel Tourismus - www.mostviertel.at
- Mostbarone - https://www.mostbarone.at/Geschichte
- Most for da people - https://www.mostfordapeople.at/was-ist-most/
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Fotos (c) Julija Major 2024 sowie Pixabay
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SEHENSWERTES (EDITOR’S CHOICE)
- Stift Seitenstetten samt Hofgarten des Benediktinerklosters
- Basilika Sonntagberg samt herrlichem Ausblick auf die hügelige Umgebung und Moststraße nördlich sowie die fantastische Alpenkette vom Schneeberg bis Traunstein südlich.
- Moststraße Aussichtspunkte (Highlight: Mosthöhenstraße. Sie verläuft von St. Peter in der Au bis nach St. Michael am Bruckbach bis St. Georgen in der Klaus), siehe www.mostviertel.at
- Mostkeller (demnächst)
- Mostbrauerei (demnächst)