Ausgabe Nr.
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J M upload 02.08.2020, Viva Edition 166 | Print article

Wasserverwaltung seit 1502: Heredad de Aguas de Arucas y Firgas

Im Norden der Insel befindet sich das zauberhafte Städtchen Arucas,1) das mit seiner jahrhundertelangen und höchst interessanten Geschichte einen besonderen Charme versprüht. Es gibt vielerlei Gründe für einen Besuch, sei es die wohl schönste Kirche2) der Insel im neugotischen Stil, der edle Herzoginnenpark3) mit exotischem alten Baumbestand, der größten Rumfabrik Europas4) – nach wie vor Hoflieferant – oder der wunderschönen Altstadt. Die Stadt demonstriert einen Wohlstand, dessen Grundlage lange Zeit zurück reicht.

Arucas widmeten wir schon in unserer ersten Ausgabe im Januar 2012 einen Bericht und schon damals zog ein markantes Gebäude unsere Aufmerksamkeit auf sich: Die Wasserverwaltung „Heredad de Aguas de Arucas y Firgas“, einer bedeutenden Säule des Wohlstands der Einheimischen.

Wir drehen die Zeit zurück …

Bevor wir auf das ehrwürdige Gebäude und die interessante Geschichte der Wasserverwaltung eingehen, machen wir eine Zeitreise in das 15. Jhdt. Gran Canaria war einst eine fruchtbare, wasserreiche Insel mit viel Vegetation – so schreiben es die Chronisten. Schon die Altkanarier versuchten das Wasser für die Bewirtschaftung ihrer Äcker zu lenken, nicht untalentiert, wenngleich mit etwas primitiveren Mitteln, sie schufen einfach kleinere Gräben und legten diese mit Steinplatten aus.

Dann kamen die spanischen Eroberer und unterwarfen offiziell im Jahr 1483 die Insel. All jene, die sich dabei besonders hervorgetan haben, bekamen Land und je ehrwürdiger die Taten waren, desto größer und fruchtbarer waren die Grundstücke. Es erübrigt sich darauf hinzuweisen, dass die wasserreichen Flächen am wertvollsten waren.

Die Bevölkerung wuchs und damit stieg der Bedarf an Lebensmitteln und Unterkünften, aber auch die Wirtschaft forderte ihren Tribut. Unbarmherzig wurde gerodet, sei es für Gebäude, für den Schiffsbau oder später für die Zuckerrohrproduktion. Die Bäume schwanden peu à peu und führten zu Erosionen, was wiederum für großflächige Verödungen ganzer Landstriche sorgte. Zum Glück war der Norden durch den Wasserreichtum in einer besseren Lage, der zusätzlich durch die stetig wehenden Passatwinde gefördert wurde, denn die Wolken sammelten sich und kletterten meist nicht über die  Wetterscheide der hohen Gebirgsmassive im Landesinneren.

Paradox: Grundstücke ohne Wasserrechte

Immer wieder kam es zu paradoxen Situationen, denn der Besitz eines Grundstücks bedeutete keinesfalls, dass man auch über das dort vorhandene Wasser verfügen durfte. Landwirte mussten also für das essenzielle ´Nass´ in die Tasche greifen, um ihre Felder zu bewirtschaften und je vermögender jemand war, desto gesicherter war die Wasserversorgung. Es entwickelte sich immer wieder Unmut, denn manche Landwirte hatten viel Land, aber kein Wasser oder vice versa.

Gründungsjahr: 1502

Vier noble Herren, darunter der Juan Rejón, taten sich zusammen und gründeten im Jahr 1502 die private Wasserversorgung „Heredad de Agua de Arucas y Firgas“ (im Folgenden kurz HDA bezeichnet) . Ihr Anspruch war es von Anfang an, eine faire Wasserverteilung zu ebenfalls fairen Preisen sicherzustellen. Der verantwortungsvolle Umgang mit dieser wichtigen Ressource und die nachvollziehbare Verteilung sollte dem Allgemeinwohl dienen und die friedliche Koexistenz fördern – was es auch­ tat. Dabei orientierte man sich u. a. an den einstigen Wasserwegen der Altkanarier, doch wurden diese natürlich zeitgemäß ausgebaut, um möglichst wenig Wasser zu verlieren. Der erste Bewässerungsgraben führte von Las Madres nach Afurgad (im heutigen Firgas) und nach El Cerrillo in Arucas.

Es sollte allerdings drei Jahre dauern, bis Juan de Zárate mit Beschluss vom 31. August 1505 die entstandene Polemik in den Griff bekam und die Arbeit aufgenommen wurde. Man begann mit der Wasserverteilung nach einem einzigartigen System - dazu später.

Das Wasser stammte und stammt noch heute gänzlich aus dem Gemeindegebiet von Valleseco, konkret aus dem Barranco del Andén, und befindet sich nach wie vor im Privatbesitz der Heredad de Agua de Arucas y Firgas.

1522 gesellten sich die zwei Herren Juan de Ariñez und Miguel de Timagada, die über bedeutende Ländereien verfügten, dazu und es wurden weitere Gräben und Kanäle gebaut, die zu wichtigen Galerien in Palenzuela führten. Während all dieser Zeit wurden die Anlagen durch die HDA gewartet und daher wird auch heute in genau der selben Weise und über die selben Stecken das Wasser verteilt, wie anno dazumal. Unglaublich!

Backstage: Heredad de Aguas de Arucas y Firgas

Dank Sofie Hendrikx, unserem professionellen Touristenguide, durften wir die Direktion der Wasserverwaltung der HDA im historischen Gebäude besuchen. Wir wurden vom Leiter, Sr. Pedro Santiago Henríquez, empfangen. Unkonventionell und sympathisch dürfen wir ihn mit seinem Spitznamen „Mano“ ansprechen. Er schenkte uns dankenswerterweise viel Geduld, um all unsere Fragen kompetent und verständlich zu beantworten, angereichert mit etlichen netten Anekdoten. Der ehrwürdige Bürger aus Arucas begann schon mit 17 Jahren in der HDA zu arbeiten und ist stolz darauf es seinem Vater, Großvater und sogar Urgroßvater gleich getan zu haben.

Im Jahr 1912 wurde die neue Wasserverwaltung nach drei Jahren Bauzeit unter der Leitung des Architekten Fernando Navarro schließlich eröffnet. Das Budget betrug  50.120 Peseten, was heute etwa 370 Euro entsprechen würde. Das Gebäude ist eine architektonisch interessante Mischung verschiedener Stile, vom klassischen kanarischen Element der Holzvertäfelungen und Geländer, den maurisch anmutenden Fliesen bis hin zu Jugendstil-Ornamenten. Da die Zeit bei der Wasserverteilung eine besondere Rolle einnimmt, befindet sich an einem Turm über dem Haupteingang seit 1913 eine Uhr. Diese wurde für 450 Mark in Leipzig erworben und leistet nach wie vor gute Dienste.

Königliche Wasserverteilung à la anno dazumal ...

Sr. Mano führt uns herum und zeigt uns einen „Sala de Actos“, der nach wie vor für diverse Veranstaltungen genutzt wird und das Flair einer historisch elitärer Gesellschaft vermittelt. Danach führt er uns in einen kleinen Raum, wo sich mehrere Modelle der Wasserverteilung befinden, um uns diese zu veranschaulichen und erklärt uns: „Wir haben etwa 700 Mitglieder in der Heredad de Agua de Arucas y Firgas. Diese melden ihren Bedarf an und am Folgetag wird das Wasser zugestellt, indem die jeweiligen Schleusen der „Cantonera real“ für die entsprechende Dauer geöffnet werden. Das  Wasser fließt dann in die Zwischenbecken ‚Hijas de la sequía’ und gelangt von dort weiter zu den ‚Rancheros‘. Ausgeliefert wird immer dienstags, donnerstags und freitags. Eingekauft wird in Tranchen von 176 Kubikmetern in zwölf Stunden. Eine dieser sogenannte ´dula´ kostet 120 Euro. Die maximale Kapazität der HDA beträgt derzeit 4.150 Kubikmeter pro Tag.“

Wir lernen, dass die Auslieferung nur nach verfügbarer Wassermenge erfolgt, die als natürliche Ressource sehr variieren kann. Früher, bevor der Grundwasserspiegel zurückgegangen und es im Winter noch regelmäßig ausreichend geregnet hat, stand viel mehr Wasser zur Verfügung. Sr. Mano erläutert: „Wir sehen uns als Verwalter des Wassers und achten stets darauf, nur soviel Wasser auszuliefern, wie es unbedingt notwendig ist, damit die Natur im Gleichgewicht bleibt. Die beste Qualität gelangt zu den Feldern, denn die Pflanzen mögen kein schlechtes Wasser. Bei uns auf Gran Canaria sind wir es gewohnt Trinkwasser zu kaufen und daher ist historisch betrachtet das Wasser in den Haushalten von schlechterer Qualität.“ vernehmen wir mit Staunen. Er schmunzelt und ergänzt: „Wir sind eine private Organisation ‚sin ánimo‘ und müssen mit dem Verkauf des Wassers nicht reich werden sondern nur so viel einnehmen, dass sich alle Kosten decken, wie z. B. Personalkosten, Betrieb, Pumpen, Wartung der Leitungen. Wir haben eine enorm hohe Verantwortung für dieses wertvolle Gut.“

Bingo, die Lösung

Immer wieder kam es durch Trockenzeiten auch zu Engpässen und das in Folge zu Unruhen unter der Bevölkerung. Unter den Mitgliedern wurde das Wasser verteilt und was nicht benötigt wurde, das wurde an den Meistbietenden an die HDA zurückgegeben per „subasta“. Damit sich nicht nur Wohlhabende leisten können, das benötigte Wasser zu kaufen, fand die HDA eine ungewöhnlich kreative Lösung. Sie setzte einen fairen Preis fest und ein Bingo-Spiel entschied an welchen Antragsteller das Wasser ausgeliefert wurde. Also entschied Göttin Fortuna über die Zuweisung und nicht die Dicke des Portemonnaies.

Sr. Mano plaudert einige weitere Details aus, die das HDA immer wieder vor Herausforderungen stellte bzw. stellt: „Diebstahl und Vandalismus sind immer wieder ein Problem genauso wie die Umweltverschmutzung durch achtlos weggeworfenem Müll, weshalb das im Privatbesitz befindliche Areal nicht für die Öffentlichkeit zugänglich ist und nur auf Petition betreten werden darf. Die Menschen waren schon immer findig, wenn es darum ging, geltende Gesetze zu beugen oder zu umgehen. Anfang des 20. Jhdts. wurde festgelegt, dass nur Grundstücke über 100 qm und mit einem entsprechenden Mindestabstand zum Nachbargrundstück Brunnen graben durften. Also gruben manche listige Landwirte Brunnen und dann vertikale Verbindungen zum nächsten Wasserreservoir, um nur ein Beispiel zu nennen. Wenn jedoch zu viele Brunnen gebaut werden und die Übersicht über die verfügbare Wassermenge nicht mehr vorhanden ist, besteht die Gefahr, dass keine faire Verteilung sichergestellt werden kann. Wasser soll jedem zur Verfügung stehen, nicht nur einigen wenigen Reichen und immer im Einklang mit den vorhandenen Ressourcen.“

Spare in der Not ...

Wir erfuhren, dass die HDA daraufhin alle Grundstücke im Barranco de Anden für teilweise extrem überhöhte Preise - von bis zum 10-fachen des damaligen Werts  - aufgekauft hat. Nur so konnten sie vermeiden, dass zu viele Brunnen gebaut wurden und werden. Daher umfasst das Areal über 400 Hektar Fläche. Verteilt wird nur die absolut notwendige Menge. Sr. Mano ergänzt an dieser Stelle: „Dann überlegten wir uns, wie wir dieses wichtige Gut, das in manchen Zeiten im Überfluss vorhanden ist, lagern können und das ist u. a. der Grund für die 20 Galerías im Barranco de Anden sowie die Idee zum ersten Stausee auf Gran Canaria. Im Jahr 1899 dieser erste Stausee ohne jegliche finanzielle Mittel von öffentlicher Hand fertiggestellt: Presa de Pinto I mit einer Tiefe von 15 Metern, der dank starker Regenfälle im Winter bereits 1901 zum Einsatz kam. Der zweite folgte im Jahr 1910. Zusammen beträgt das Fassungsvermögen etwa 750.000 Kubikmeter. Zudem existieren auch etliche Galerien und Zwischenspeicher, die an das Wassernetz angeschlossen sin

Die Arbeit ist viel komplexer, als ein Laie auf den ersten Blick vermutet. Auf Gran Canaria gibt es zahlreiche, teils sehr tiefe Brunnen mit bis zu 287 Metern. Die Wartung ist in diesem Fall sehr aufwändig und auch gefährlich, z. B. wegen losen Gesteinsmaterials an den Schächten, zu wenig Sauerstoff etc. Heutzutage werden daher die Pumpen an der Oberfläche oder von oben gewartet.

Akribisch und ästhetisch dokumentiert

Dass auf Ästhetik Wert gelegt wurde, scheint mitunter an dem schönen Gebäude der Wasserverwaltung evident zu werden. Im Saal für die jährlichen Generalversammlungen (Sala de junta) befindet sich eine Garderobe für Hut und Mantel für die Herren, aber auch ein Spiegel. Es war ´usus´ sich vor dem Platznehmen am Tisch noch die Haare zu kämmen - ein wenig Eitelkeit hat noch niemandem geschadet.

Gewissenhaft und ästhetisch wurden auch die Bücher geführt, die akribisch jeden eingenommene und ausgegebene Peseta in den sog. „diarios“ dokumentierten. Dafür wurden die besten Schreiber des Landes angeheuert und ihre Gehälter lagen weit über den damals üblichen. Während ein Bankangestellter beispielsweise 16 pts. erhielt, zahlte die HDA sogar 20 pts. Mit elegantem Schwung wirkt jede dieser Einträge bzw. Seiten wie ein Einzelkunstwerk, kaum zu glauben, dass diese mit Feder geschrieben wurden, denn keine Korrektur oder Tintenflecke verunzieren die Seiten (siehe Foto oben).Das Geld wurde physisch in einem riesigen begehbaren Tresor verwaltet und von drei Schlüsselwärtern strengstens bewacht. Nur gemeinsam konnte dieser Safe geöffnet bzw. geschlossen werden, um auszuschließen, dass etwas abhanden kommt.

Edelmütig & karitativ

Viel Geld floß direkt an die Bevölkerung bzw. Gesellschaft zurück und zwar neben dem karitativen Charakter auch in Projekte für die Allgemeinheit. Es gab praktisch kaum eine Behörde, auch auf anderen Inseln, die sich nicht zumindest einmal an die Heredad de Agua de Arucas y Firgas wandten, und um Geld baten. Auch in Not geratene Personen wurden regelmäßig unterstützt. Zudem finanzierte man die in den Süden der Insel führenden Straßen, man beteiligte sich an den Kosten für den Bau des ehrwürdigen Teatro Pérez Galdós (1867), dem Hafen von Las Palmas de Gran Canaria (1858), dem Rathaus der Hauptstadt und der Beleuchtung von Vegueta (1895), der Iglesia de San Juan, dem Friedhof in Firgas (1854, 1898 und 1904) und dem Mercado Municipal von Arucas (1879). Zudem wurden viele in Not geratene Familien, besonders während des Bürgerkriegs sowie den kriegerischen Auseinandersetzungen in Kuba und Afrika, unterstützt.

Obwohl bedauerlicherweise einige Dokumente aus den Jahren 1866 bis 1875 einem Feuer zum Opfer fielen, sind viele überliefert. Das Älteste befindet sich im Gemeindearchiv von Arucas, dieses ist auf das Jahr 1710 datiert und die schriftlichen Notizen bieten neben den Daten der Wasserverteilung auch wertvolle ethnografische und geschichtliches Informationen über Arucas und die sozioökonomische Bedeutung der HDA.  Dort sind indirekt die Geschehnisse rund um die Elektrifizierung der Stauseen, der hyrdogeologischen Projekte und Studien, der Rechtsprechungen rund um die Wasserbewirtschaftung etc. dokumentiert. Ein unbezahlbares Kulturgut. Leider schenkt man von offizieller Seite durch die Behörden diesem Thema bisher zu wenig Aufmerksamkeit. Erst jetzt beginnt man sich dieses unbezahlbaren Werts, der innig mit der hiesigen Geschichte verflochten ist, zu besinnen. Die Inselregierung initiierte ein Projekt und begann im Jahr  2015 mit dem Scannen von 1.176 Dokumenten, 5.701 Zeichnungen und Skizzen. Jedes einzelne wird wissenschaftlich beschrieben.

Derzeit laufen die Vorbereitungen für die Antragstellung zur Erklärung der Heredad de Aguas de Arucas y Firgas als Bien de Interés Cultural – zum kanarischen Kulturgut. Bravo!

Siehe auch

Wanderung Barranco del Andén, dem längsten Wasserfall auf Gran Canaria

Verweie nachzulesen: www.viva-canarias.es

1)Viva Canarias Nr. 77 vom 24.4.2015 „Arucas, die schöne Altstadt lockt“

2)Viva Canarias Nr. 138 vom 19.8.2018 „Lebende Mauern – 100 Jahre „Kathedrale“ in Arucas“

3)Viva Canarias Nr. 116 vom 2.2.2019 „Herzoginnenpark mit langer Geschichte“

4)Viva Canarias Nr. 160 vom 30.1.2020 „Europas größte Rumfabrikant, 135 Jahre Destilerías Arehucas“

Quellen: Jahreszahlen zur Gründung um dem Bau der HDA stammen von der Universität Las Palmas de Gran Canaria, Kollektion MDC/178722.