Die Welt der Urbevölkerung fasziniert nach wie vor, vielleicht weil sie noch immer so viele Rätsel aufgibt und viele Fragen aufwirft. Nur wenige Kilometer nördlich von Maspalomas befindet sich auf einem 100.000 Quadratmeter großen Areal der archäologische Themenpark „El Mundo Aborigen“, den die resolute Pino erwarb und im August 2016 wiedereröffnet hat.
Wiedereröffnung: In neuem Glanz
Doch das war alles andere als leicht und die Entscheidung war wohl überlegt. Einige Jahren war Pino ohne Arbeit und mit ihrem Alter auch nicht leicht zu vermitteln. Die hohe Arbeitslosigkeit traf auch ihren Sohn und so breitete sich Frust aus. Sie überlegte etwas eigenes zu machen, für sich, für ihren Sohn und ihre Familie. Moralisch ermutigt von ihrem Mann, der schon in Rente ist, fassten sie den mutigen Schritt dieses riesige 125.000 große Areal zu kaufen.
„Der Park war einige Jahre geschlossen und verwahrlost. Wir mussten noch viel Schweiß und harte Arbeit in die Rehabilitierung stecken. Alleine hätten wir das niemals geschafft. Neun LKW-Ladungen Schutt wurden weggebracht und wirklich jedes Familienmitglied, Freunde und auch Bekannte halfen mit. Das hat uns zusammen geschweißt und wir sehen uns als eine große Familie“ sagt Pino mit einem glückselig dankbaren Lächeln auf ihren Lippen. Die Wege wurden mit neuen ausgelegt bzw. Schotterwege angelegt, damit sie leichter begehbar sind.
Mir fällt auf, dass es viel mehr Pflanzen gibt als früher und jetzt im Winter stechen diese mit ihrem satten Grün von dem Rotbraun der Steine hervor. Pino erklärt weiter: „Neben den Pflanzen sind wir dabei, die einzelnen Steinbehausungen des Themenparks zu renovieren. Die Beschilderung haben wir vom Vorbesitzer übernommen und inhaltlich belassen. Für uns ist das alles auch neu, aber wir sind mit vollem Einsatz dabei.“
Es wurde auch ein Bachlauf künstlich angelegt - der Hit schlechthin. Er sorgt mit seinem sonoren Plätschern für eine wunderbar entspannende Atmosphäre. Der sensationelle Ausblick begeistert die Besucher, die ihre Verzückung Ausdruck verleihen, wie z. B. ‚mega’ oder ‚spektakulär‘.
Egal in welche Himmelsrichtung man blickt, die Landschaft beeindruckt. In südlicher Richtung breitet sich am Horizont das Meer vor uns aus und wir überblicken den Großraum Maspalomas samt der Dünenlandschaft. Die Flanken des archäologischen Themenparks geben den Blick frei in die Tiefen der Schluchten „Barranco de Fataga“ und Barranco del Cañizo“.
Die Stille dieser einsamen Gegend wird nur dann und wann von einem krähenden Hahn unterbrochen. Es gibt auch einige andere Tiere, wie z. B. Esel, ein schwarzes Schwein, Ziegen oder Schafe. Pinos Mann gesellt sich zu uns und hat scheinbar immer ein Späßchen parat. Sie zwinkert mir zu und meint „Er ist Supermario, er kann alles. Wir arbeiten jeden Tag an Verbesserungen.“
Brauchtum
Pino und ihr ‚Familienteam‘ lassen sich regelmäßig etwas einfallen und zum Glück haben sie viele musizierende oder tanzende Freunde und Bekannte. So wird (besonders sonntags) beispielsweise kanarische Live-Musik gespielt oder andere Brauchtümer präsentiert, z. B. Hirtensprung, Muschelbläser etc. Hier verschmelzt die Welt der Altkanarier von einst mit der Gegenwart.
Kurzweil für jeden
Ich begebe mich auf Rundgang durch El Mundo Aborigen. Der Weg schlängelt sich vorbei an den möglichst originalgetreu nachgebauten Steinbehausungen der indigenen Bevölkerung. In jedem Haus wird ein Thema aus dem Alltag der Altkanarier veranschaulicht und dazu dienen auch über hundert überlebensgroße menschliche Puppen.
Bei der ersten Eröffnung dieses Parks vor über zehn Jahren kam es zu kontrovers geführten Diskussionen, denn man reklamierte, dass nicht alles wissenschaftlich belegt sei. Das mag so sein, aber auch unter den Wissenschaftlern und Archäologen gibt es nach wie vor viele unterschiedliche Meinungen. Ungeachtet dessen, gibt dieser Themenpark einen guten Einblick in das einstige Leben der Altkanarier.
Einige Themen
Die Altkanarier waren Meister in der Verwendung von Steinen. Sie verwendeten sie für alles, zum Häuten, zum Bauen oder Kämpfen. Zudem kannten sie kein Metall, das kam erst nach der Eroberung auf die Inseln. Neben Stein spielte Holz eine große Rolle. In der Landwirschaft bereiteten Männer die Böden vor, während Frauen und Kinder für die Aussaat und Ernte zuständig waren. Jeder zehnte Teil der Produkte wurde in zentral verwalteten Gemeinschaftslagern deponiert.
• Aus der endemischen kanarischen Dattelpalme (Phoenix canariensis) stellten die Altkanarier Stoffe her und färbte sie sogar ein. Diese Kleidung war jedoch der höchsten Gesellschaftsschicht vorbehalten. Binsen waren aufgrund ihrer Biegsamkeit sehr beliebt und wurden zur Herstellung von Korbwaren, Matten, Fischernetzen und sogar für Kleidung verwendet. Die Altkanarier fabrizierten ausgesucht schöne und vielfältige Muster mit unterschiedlichen Knüpftechniken, je nach Motiv. Dieses Handwerk wurde ausschließlich von Frauen ausgeübt.
• Wie in vielen anderen Kulturen gab es auch bei der indigenen Bevölkerung des Archipels zwei Gesellschaftsschichten: Die Adeligen und das gemeine Volk („Plebejer“). Letztere wurden auch als Bauern oder Haarlose bezeichnet. Die Länge der Haare war nämlich das wesentliche Unterscheidungsmerkmal ebenso, wie der Bart, sofern überhaupt vorhanden. In der hierarchisch strukturierten Gesellschaft war der sogenannte Guanarteme die höchste Instanz und entsprach in etwa dem Rang eines Königs.Der Titel wurde vererbt. Falls jedoch kein direkter Nachkomme existierte, dann wurde auf die Erblinie der Mutter zurückgegriffen. In diesem Fall traten die Schwester oder der Bruder des verstorbenen Königs die Thronfolge an. Ihm war das Recht der ersten Nacht vorbehalten (Lat. „ius primae noctis“) oder auf sein Geheiß hin, einem seiner Adeligen.
• Die Altkanarier verfügten über ein ausgesprochen tief verankertes Rechtsempfinden. Die Rechtsprechung war die Aufgabe eines Senats, der sich aus dem Herrscher (Guanarteme), dem Faycan und den Adeligen oder sechs Vertretern des Adelsstands zusammensetzte. Bestraft wurde Raub, außer wenn es sich um Mundraub handelte. Sie wendeten das Prinzip „Aug um Aug, Zahn um Zahn“ an, wenn ein Altkanarier einem anderen körperlichen Schaden zufügte. Angriffe auf Frauen wurden besonders hart bestraft. Bei besonders schweren Fällen, die die Todesstrafe zur Folge hatten, wurde der Verdächtige vor der Verhandlung in eine Art Gefängnis gesperrt. Die Verurteilung selbst erfolgte im Justizpalast (siehe Foto 04).
• Priesterinnen „Harmiguadas“, die sich dem religiösen Leben verschrieben hatten, kam eine besondere Rolle zu und sie entstammten ausschließlich aus den feinsten Familien, die für den Lebensunterhalt aufkamen. Sie trugen als Einzige bodenlange Kleidung und nachdem sie sich gar nicht im Freien aufhielten, war ihre Haut zumeist sehr hell. Adelige vertrauten ihre heiratsfähigen Töchter den Priesterinnen an, damit diese sie auf das Eheleben vorbereiteten. Eine wichtige Aufgabe der Mädchen bestand darin, Fett anzusetzen. Ausladende Hüften, große Brüste und gute Polster galten als Schönheitssymbol, um gesunde und starke Nachkommen zu gebären.
Fazit
Der Besuch ist selbst für die größten Museumsmuffel ein Genuß, alleine schon wegen dem einzigartigen Ausblick.