„Ich könnte stundenlang nachts in den gestirnten Himmel vertiefen, weil mir diese Unendlichkeit fernher flammender Welten wie ein Band zwischen diesem und dem künftigen Dasein erscheint.“ Dieses Zitat von Wilhelm Freiherr von Humboldt trifft auf viele von uns zu und scheint heutzutage noch mehr zuzutreffen. Seit Galilei das erste Teleskop im Jahr 1608 erfand, hat sich in der modernen Astrophysik unfassbar viel getan und obwohl wir ständig Neues erfahren, scheint das Universum unendlich viele weitere Rätsel zu bieten. Immer größer und technologisch höchst komplex sind die Teleskope geworden, die in einigen abgelegenen Zonen rund um den Globus und ohne die sogenannte Lichtverschmutzung einen klaren Blick in den Kosmos erlauben, wie beispielsweise Chile, Hawaii oder die kleine kanarische Insel La Palma. Dort steht das zweitgrößte Teleskop der Welt ...
Kleine Insel, großer Ausblick: La Palma
Aufgrund der außerordentlich guten ‚Qualität des Himmels‘ ist ‚la isla bonita‘ ein idealer Spot für die Sternenbeobachtung bzw. die Astrophysik, wie wir in Ausgabe Nr. 126 vom 3. November 20171) berichtet haben. Dabei leistete das kleine Eiland hinsichtlich Lichtschutz eine Pionierarbeit und erließ 1988 das weltweit erste einschlägige Lichtschutzgesetz (Ley del cielo). Der Grad der Lichtverschmutzung ist u. a. wesentlich für den Bau und Betrieb von Sternwarten, denn durch die Aufhellung des Nachthimmels durch künstliche Lichtquellen oder andere störende Signale und die Qualität der Atmosphäre negativ beeinflusst und folglich auch den Betrieb der Observatorien. Die UNESCO ernannte La Palma im Jahr 2012 zum sogenannten „Starlight Reserve“.
Zweitgrößtes Teleskop der Welt
Neben der ‚Qualität des Nachthimmels‘ ist die Nähe zu Europa strategisch kein Nachteil, um genau hier Teleskope zu installieren. Das weltweit zweitgrößte Großteleskop (GTC - Gran Telescopio Canarias)2) mit einem Spiegeldurchmesser von 10,4 Metern steht auf einer Höhe von 2.396 Metern auf dem Roque de los Muchachos auf La Palma. Die Anlage umfasst ein Areal von 189 Hektar und wurde auf spanische Initiative unter der Führung des kanarischen Astrophysik Instituts (IAC)4) realisiert.
Beteiligungen aus Mexiko und den USA. Das Gesamtbudget betrug 130 Millionen Euro. Der feierlichen Eröffnungszeremonie der Inbetriebnahme vom 24. Juli 2009 wohnte der damalige König Juan Carlos I und Königin Sofia bei.
10-jähriges Jubiläum: Roque de los Muchachos
In den zehn Jahren seit seinem Bestehen haben Wissenschaftler aus aller Welt von diesem Observatorium über 14.000 Stunden den Weltraum beobachtet und wertvolle Daten geliefert, die in 450 renommierten wissenschaftlichen Fachmagazinen publiziert wurden. Einige davon wurden anlässlich des Jubiläums in einem Sonderprospekt des Kanarischen Astrophysikalischen Instituts (IAC) in Zusammenarbeit mit GTC in einem Sammelprospekt vorgestellt. Bein Beispiel davon ist der entdeckte „Teegarten“.3)
Mit der Zeit gehen: größer, besser ...
Das GTC verfügt über das modernste Infrarot-Optische Spiegelteleskop der Welt. Experten schätzen, dass dieser Technologievorsprung noch bis 2027 anhalten wird, bis eine neue Generation die Bestehende beginnen wird abzulösen. Bis zum Jahr 2022 sieht das GTC vor, die Anlage um sieben weitere hochkomplexe Instrumente zu erweitern, um die wissenschaftliche Wettbewerbsfähigkeit auf internationalem Niveau auch weiterhin zu gewährleisten.
Ein bis zwei Jahre danach ist zudem die Installation eines adaptiven optischen Systems geplant (GTCAO), welches die atmosphärischen Turbulenzen im Sichtfeld kompensiert und nahe dem Infrarotbereich funktionieren wird.
Neues Superteleskop für La Palma? 3 Milliarden Euro Projekt
Vielleicht vor dem Hintergrund der Geschehnisse auf Hawaii5) lud am 16. August 2019 der Kanarenpräsident Ángel Víctor Torres Vertreter verschiedener kanarischer Behörden zu einem Treffen im Observatorium auf dem Roque de Los Muchachos ein. Das Fachgremium bestand aus Vertretern der Kanarenregierung, des astrophysikalischen Instituts der Kanaren, Vertretern der Inselregierung von La Palma sowie der Gemeinden Garafía und Puntagorda, wo das geplante ‚Superteleskop‘ (TMT Telescopio de Treinta Metros) stehen würde.
Dabei ging es um die Abstimmung eines harmonisierten Vorgehens seitens des Archipels, um den Bau eines Superteleskops mit 30 Metern Durchmesser (im Folgenden TMT bezeichnet) mit einer Gesamtinvestitionssumme von 3 Milliarden Euro voranzutreiben (1,4 Milliarden Euro für die Konstruktion und jährlich 25 Millionen Euro laufende Kosten für die nächsten Jahre).
Torres unterstrich die enorme Bedeutung dieses Projekts und, dass La Palma ideale Voraussetzungen dafür biete. Die Insel verfüge bereits über die wichtigste diesbezügliche technologische Infrastruktur Spaniens und zählt zu den zehn besten Europas. Es wäre eines der weltweit modernsten terrestrischen Teleskope, die über das zehnfache der Kapazität der existierenden Infrarotobservatorien verfügt. Die Bauzeit wird auf zehn Jahre eingeschätzt, in der hunderte direkte und indirekte Arbeitsplätze geschaffen würden und viele davon auch nach Fertigstellung bestehen blieben.
Das Projekt biete viele weitere Vorteile und eine große Chance für die Zukunft der Jugend. Durch ein Bildungszentrum hätten sie die Möglichkeit junge kompetente Ingenieure hervorzubringen, die ihr Wissen in die Welt tragen und dadurch einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Bekanntheit der Inseln beitragen würden. Zudem sei ein Teleskop von diesen Dimensionen eine Bereicherung für das touristische Angebot.
Astrotourismus - eine interessante Nische für den Tourismus
Abgesehen von der wissenschaftlichen Arbeit ist Bildungsarbeit eine der Aufgaben des Zentrums. Aus diesem Grund werden Führungen angeboten. Die optimale Lage des Areals und der nahe gelegene Aussichtspunkt Mirador de Los Andenes bilden eine ideale Kombinationsform für einen Ausflug.
In den letzten Jahren hat man auf den Kanarischen Inseln im Tourismus vermehrt auf diese einzigartige Nische der Sternenbeobachtung gesetzt, denn diese richtet sich besonders an die Individualtouristen des sogenannten „Qualitätstourismus“. Geboten werden beispielsweise professionelle Nachtwanderungen und Führungen in die Observatorien. Auf Gran Canaria zählt die Nachtwanderung beim jährlichen Walking Festival (siehe Bericht in dieser Ausgabe) zum fixen Programmpunkt- Die Inselregierung von La Palma setzt offiziell auf den „Astrotourismus“ auf ihrer Webseite. Einige Unternehmen haben sich inzwischen in dieser Nische etabliert – siehe Kasten links „Kontakt & Führungen“.
Kontakt
Observatorio Astrofísico del Roque de Los Muchachos (ORM)
Apartado de Correos 36
E-38712 Breña Baja, La Palma, Canarias
Tel.: (+34)922 405 500, 622 805 618
Email: adminorm@iac.es
visitasorm@iac.es
www.iac.es
Führungen
Sofern es die operative Arbeit und die meteorologischen Konditionen erlauben, ist ein geführter Besuch auf Terminvereinbarung auch für Privatpersonen bei „AdAstra La Palma“ möglich. Die Touren dauern etwa 90 Minuten und finden für gewöhnlich donnerstags vormittags statt, für Einzelpersonen oder Gruppen bis 15 Personen, allerdings aus Sicherheitsgründen erst ab 6 Jahren. Preis: 9 Euro pro Person
Anfragen via Email: info@adastralapalma.com
www.turismodeestrellas.com
www.cielos-lapalma.es/productos/
Nachtführungen
Juan Antonio González Hernández ist seit 2007 Mitglied von Cielos La Palma in Kooperation mit Starlight, eine interdisziplinäre Gruppe von Personen aus dem Bereich Natur, Wandern, Geschichte etc., die die Affinität der Astronomie teilen und sich hier ein profundes Fachwissen angeignet haben. Er bietet regelmäßig astronomische Nachtwanderungen, Radtouren und als autorisierter Führer auch Führungen zum Observatorium von La Palma an.
www.facebook.com/astrojagh
Bildunterschriften:
01: „Lichtverschmutzung“, Kompositaufnahme der NASA/Imhoff, 1994/1995.
02: Observatorium Roque de los Muchachos auf La Palma
03: Expertengremium vom 16. August 2019 auf Einladung von Kanarenpräsident Torres im Observatorium La Palma
4)Astrophysik auf den Kanaren
Die Astrophysik befasst sich mit den physikalischen Grundlagen der Erforschung von Himmelserscheinungen und ist ein Teilgebiet der Astronomie. Auf den Kanaren wurde 1982 das IAC (Instituto de Astrofísica de Canarias) als Konsortium mit Beteiligung der spanischen und der kanarischen Regierung sowie der Universität von La Laguna und dem spanischen Forschungszentrum CSIC gegründet. Zum IAC zählen zwei Observatorien: Teide auf Teneriffa und Roque de los Muchachos auf La Palma.
5)Hawaii vs. La Palma
Das kanarische Institut für Astrophysik unterzeichnete im März 2017 eine Vereinbarung mit der internationalen Vereinigung für Weltraumforschung (TMT), in dem die prinzipiellen Konditionen für einen möglichen Bau eines noch viel größeren, 30 Meter Druchmesser Teleskops als Alternative zu Hawaii festgehalten wurden. Darin sind also Nutzung, Zugang, benötigte Infrastrukturen etc. geregelt und im Gegenzug würden den Archipel bestimmte Kapazitäten der Beobachtungszeiten zur Verfügung stehen. Hintergrund dafür ist, dass sich das geplante Superteleskop auf Hawaii auf dem ‚heiligen Berg Mauna Kea‘ befinden wird und der Widerstand der indigenen Bevölkerung gestiegen ist. Sie konnten ihre Klage in den letzten zehn Jahren nicht durchsetzen. Es wird scheinbar trotz enormen Widerstand gebaut werden. Erst am 17. Juli 2019 wurden die Demonstranten verhaftet, darunter höchst angesehene Persönlichkeiten im Alter von 70 und 80 Jahren.