Ausgabe Nr.
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J M upload 02.11.2022, Viva Edition 193 | Print article

300 Jahre Tabaktradition Kanaren: Zigarren & Co.

Obwohl das Rauchen heutzutage nicht mehr salonfähig ist, gibt es eine hart gesottene Gemeinschaft, die dem ‚blauen Dunst‘ nicht abschwören kann bzw. möchte. Natürlich will ich nicht den Tabakkonsum bewerben, an dessen Folgen laut Weltgesundheitsorganisation immerhin 6 Mio. Menschen weltweit jedes Jahr sterben.

Nachdem Tabak allerdings in vielen Kulturen schon seit Jahrhunderten konsumiert wurde und nach der Ankunft der Neuen Welt zu einer enorm wirtschaftlichen Bedeutung gelangte, will ich hier einen Blick auf die kanarische Tabaktradition werfen. Wir drehen die Uhren zurück auf die Zeit der (Wieder)Entdeckung der Neuen Welt. Das Klima bot optimale Bedingungen für den Anbau von vielerlei Agrarprodukten, wie z. B. Zuckerrohr und später auch Tabak.  Schon von Anfang an kam es zu einem regen Warenaustausch zwischen den Kolonien und ‚good old Europe‘.

Die Kanarischen Inseln lagen strategisch optimal und hatten zudem ein ähnliches Klima. Nachdem die Landwirtschaft in vielen Bereichen nicht mehr konkurrenzfähig sein konnte, folge eine große Wirtschaftskrise. Es herrschte bittere Armut und durch den Zuzug von Menschen von der iberischen Halbinsel sowie der sinkenden  Kindersterblichkeit stieg die Einwohnerzahl überproportional.

Ende des 16. Jhdts. war die Not überbordend und die erste große Emigrationswelle der KanarierInnen nach Kuba setzte ein.1)

Zwar stammten die meisten aus einfachen Verhältnissen und waren zudem Analphabeten, aber sie hatten das Know-How in der Landwirtschaft. Trotz des heißen Klimas arbeiteten sie mit Ausdauer und Fleiß, wenngleich unter „semi-sklavenähnlichen“ Arbeitsbedingungen. Einige nahmen führende Positionen ein, als Aufseher oder Vorarbeiter auf den Plantagen. Jedoch war ihre Arbeitskraft mit der Liberalisierung des Sklavenhandels im Jahr 1789 bald zu teuer und für viele KanarierInnen verschlimmerte sich die Lebenssituation während Kuba zum weltweit wichtigsten Tabak- bzw. Zigarettenproduzenten avancierte. Sie waren die größte Ausländercommunity. Bei einer Volkszählung im Jahr 1846 lebten 45.814 KanarierInnen in Kuba.

Die permanenten politischen Unruhen und die schwierigen Lebensumstände bewogen viele KanarierInnen wieder in ihre ursprüngliche Heimat zurückzukehren. Die größte Rückwanderungswelle dauerte von 1868 bis 1913. Allerdings verhielten sie sich gegenüber der einfachen, einheimischen Bevölkerung arrogant. Mit ihrer Kleidung, den Leinenanzügen und Strohhüten stachen sie schon optisch heraus. Sie betrachteten sich als mondäne Kosmopoliten, was sie im Vergleich zur einfachen Landbevölkerung, die ihr Leben lang niemals die Inseln verlassen hatten und darüber hinaus oftmals nicht einmal lesen konnten, in einer gehobenen Stellung. Jene Rückwanderer, die über ein gewisses Maß an Wohlstand gewonnen hatten und über Unternehmergeist verfügten, starteten hoffnungsvoll ein eigenes Geschäft. Und nun schlagen wir die Brücke zum Tabak. Den hiesigen Behörden waren sie willkommen, bzw. ihr Geld. Als Gegenleistung für die Wiederbesiedelung erhielten die Rückkehrer eine offizielle Lizenz zum Anbau bzw. zur Produktion von Tabak und taten dies in großem Stil. Ihre profundes Wissen rund um dieses Handwerk machte sich schon bald bezahlt.

Die ersten Anbauflächen entstanden auf La Palma und Teneriffa, wo die klimatischen Bedingungen durch die Orographie ideal waren. Erste kleine Fabriken, die sogenannten „Chinchales“, entstanden. Mit der Qualität der handgedrehten Zigarren punkteten sie und ihre Produkte waren bald auch in Europa höchst begehrt, wenngleich Kuba die Hochburg blieb.

Status Quo

Auch heutzutage werden auf den Kanarischen Inseln Zigarren und Zigaretten produziert. Zirka 4.000 Arbeitsplätze sind in diesem Sektor gemäß ACIT (Asociación Canaria de Industriales Tabaqueros) angesiedelt. Vier Prozent der produzierten Menge wird exportiert, vor allem auf die iberische Halbinsel. Insgesamt werden auf dem spanischen Festland 2,1 Milliarden Einheiten verbraucht, von denen 445 Millionen von den Inseln stammen. Auf dem Archipel macht der Anteil nur ein Fünftel der produzierten Menge aus. Von den 38 Produzenten stechen einige aufgrund ihrer Geschichte heraus, wie z. B. Dos Santos, Tabsa, JTI und Landewyck.               jm

Siehe auch Kanarische Pioniere in der Tabakproduktion - ein Auszug

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Verweise

1)Viva Viva Canarias Nr. 174 vom 2.4.2021 - Kuba & Kanaren: Die Geschichte der Emigrationswellen

ACIT - Asociación Canaria de Industriales Tabaqueros (Kanarische Vereinigung der Tabakindustrie)

Foto: Neue Tabakproduktion Landewyck in Arinaga, Gran Canaria