Die Jungfrau des Schnees anzubeten erscheint auf den Kanarischen Inseln irgendwie absurd und doch geschieht dies auf der Insel La Palma, deren Inselpatronin sie ist, als auch in der Gemeinde Agaete im Nordwesten von Gran Canaria. Das ist ein guter Grund, sie in den Fokus zu rücken, zumal die Einheimischen zu Ehren der „Virgen de las Nieves“ ihr wichtigstes Fest des Jahres zelebrieren, das sogar zum regionalen touristischen Interesse deklariert wurde.
Die Legenden?
Die Virgen de las Nieves wird übrigens seit dem 4. Jhdt. vielerorts verehrt, vornehmlich in Italien, Spanien, Portugal und den hispanoamerikanischen Ländern und ist die Schutzheilige der Seefahrer, Färber, der Stickerinnen und Spitzenmacher.
Auf den Kanarischen Inseln stechen die Feierlichkeiten „Bajada de la Virgen“ hervor, die seit 1680 alle fünf Jahre zelebriert werden nachdem sie die Bewohner 1676 vor dem Tod aufgrund einer schrecklichen Dürre bewahrt haben soll. Entsprechend ist sie sogar die Inselpatronin von La Palma. Auf Lanzarote sollen sie im 17. Jhdt. die Bewohner auf Lanzarote nach einem Vulkanausbruch angebetet haben und siehe da … ein Schneefall stoppte den Lavafluss kurz vor der Ortschaft.
Auf Gran Canaria soll sie mehrmals in der Höhle „Cueva de la Virgen“ erschienen sein, die sich an der Küste zwischen der Playa de Guayedra und Puerto de Las Nieves befindet.
Es war üblich, dass die spanischen Seefahrer eine Heiligenfigur der Jungfrau mit dem Jesuskind in ihren Armen, meist in einem roten Mantel gehüllt, auf ihren Fahrten zum Schutz mitnahmen. Auch üblich war es, wenn sie neue Territorien erstmals betraten, diesen den Namen des Heiligen zu geben, der an dem besagten Tag geehrt wurde. Nachdem General Pedro de Vera mit seiner Flotte aus Cádiz vermutlich an einem 5. August 1481 in der Bucht von Gayerte bei Agaete an Land ging, dürfte das der Anlass gewesen sein, dass der Hafen nach der Schutzheiligen Las Nieves benannt wurde.
Zwei Monate später verließ de Vera wieder in Richtung der heutigen Hauptstadt Las Palmas4), um in dem neu unterworfenen Territorium den Bau einer Siedlung voranzutreiben und übergab dem damals 25-jährigen jungen Alonso Fernández de Lugo die Befehlsgewalt.
Wie es damals üblich war, musste jedes neuen Territorium über eine Kapelle verfügen und so entstand die Ermita Nuestra Señora de Las Nieves in Puerto de Agaete. Es ist ein sehr einfacher Bau mit simplen Holzgewölben und Schiffsmodellen. Nichtsdestotrotz ist es ein historisches Zeugnis der Hispanisierung der Insel. Der historische Altar des flämischen Künstlers Joos van Cleve aus dem Jahr 1530 wurde nach langjährigen Bemühungen restauriert und brilliert in ‚neuem alten Glanz‘. Der grüne Vogel, den das Jesuskind darauf füttert, übernahm der aus Agaete stammende Grafiker Texiade Santana Montesdeoca als Hauptsujet in das Plakat des diesjährigen Fiestaprogramms, das Tradition und Moderne auf gekonnte Weise verschmelzt.
Agaetes ‚Schätze‘
Das Tal von Agaete (Valle), das gegenwärtig auch unter großem Durst zu leiden hat, wie es die ockerfarbene Landschaft evident macht, ist eine von Landwirtschaft geprägte Gegend. Hier werden vor allem Zitrusfrüchte, wie beispielsweise die größte Orangenproduktion der Insel, angebaut. Hier ist jedoch auch der einzige Kaffeeanbau Europas zu finden, wie beispielsweise in der Finca La Laja.2) Der Familienbetrieb führt regelmäßig Führungen durch seine Finca samt Kaffeeverkostung durch.
Ebenfalls in diesem, im Nordwesten der Insel gelegenen, Gemeindegebiet befindet sich Spaniens schönstes Naturschwimmbad „Las Salinas de Agaete“,3) wo Sie sich in den Wellen des Meeres erfrischen und dabei auch gleich noch eine dezente Körpermassage genießen können. Einstiegshilfen, Treppen, Handläufe, verschiedene Becken samt Mini-Serviceeinrichtungen vervollständigen dieses von Touristen verschonte natürliche Badebecken mit einer Naturkulisse, die mit ihren bizarren bzw. einzigartigen Felsformationen und der Steilküste im Westen der Insel beeindruckt.
Wer vom Tal in Richtung Hafen fährt, kommt an einer der bedeutendsten archäologischen Fundstellen vorbei. Das Gräberfeld „Necropolis del Maipés“1) ist mit seiner fast schwarzen, kargen Oberfläche nicht zu übersehen und hebt sich deutlich von der Umgebung ab. Auf einem Areal von etwa einem Quadratkilometer befinden sich 676, teils gut erhaltene, Gräber der Altkanarier. Es wurde mit einem Informationszentrum erweitert und ist als Archäologiepark für Besucher zugänglich. Sehr interessant und auch für Menschen mit eingeschränkter Bewegungsfreiheit sowie Rollstuhlfahrer perfekt geeignet.
Puerto de Agaete ist vor allem als Fährhafen bekannt, wer gerne Inselhopping betreibt. Die Ansiedlung dominiert mit weißen Fassaden und blauen Fenster- und Türeinfassungen. Es wurde einiges in Verschönerungsarbeiten investiert und auch in der Nicht-Ferienzeit, ist es ein beliebtes Wochenendausflugsziel. Dass ist u. a. den vielen Restaurants geschuldet, die sich vornehmlich auf Meeresfrüchte und Fischgerichte spezialisiert haben. Wie wäre es wieder einmal mit einem Paella Mix?
Die Strände hier, bar jeglicher Annehmlichkeiten, wie z. B. Sonnenschirme oder bequemer Liegestühle, sind jedoch keinesfalls leer. Im Gegenteil. Die Einheimischen genießen ihr Sonnenbad auf den steinigen Stränden, quasi natürliche Rückenmassage inklusive, oder sie liegen auf einer der Holzterrassen die errichtet wurden. Ihnen kann nichts ihre Freude trüben, weder die gleißende Sonne, das Motorengeräusch der Fähre, noch der mangelnde Komfort - einfach beneidenswert!
Kurioses Brauchtum Bajada de la Rama
Auch in diesem Jahr wartet die Gemeinde wieder mit einem dicht gedrängten, fulminant arrangierten Fiestaprogramm auf. Eines der absoluten Höhepunkte ist die Bajada de la Rama am 4. August, an dem auch ein regionaler Feiertag ist. Die echten ‚Agaetenses‘ marschieren hoch ins Bergmassiv, um dort die begehrten Zweige zu holen und bringen sie in einem fröhlichen Umzug hinab zum Meer, um damit auf das Meer einzuschlagen und die ‚Regengötter milde zu stimmen‘, sprich um das begehrte Nass zu bitten. Das passiert nicht ohne Gaudium. Mitten in dieser ausgelassenen Stimmung der Umzugsteilnehmer schwänzeln gigantische Pappmascheefiguren herum, ein weiteres spezielles, kurioses Brauchtum.
Fröhliche Giganten ...
Schon Ende Juli starten die Workshops, bei denen das Erstellen von diesen Pappmascheefiguren erlernt werden soll und die Freude daran ist ungebrochen, bei Jung und Alt.
Die Anfänge gehen auf das 19. Jhdt. zurück, wo Juan de Armas Merino erstmals diese Figuren für das wichtige Volksfest von Agaete kreierte. Aufgrund des fragilen ‚Baumaterials‘ sind diese in der Hitze des Gefechts der ausgelassenen Umzugswirren kaputt gegangen. So war er gezwungen im Jahr darauf neue zu machen und bald waren die frechen und beliebten Papahuevos bzw. Gigantes von der Fiesta de la Rama zu Ehren der Schneejungfrau einfach nicht mehr wegzudenken.
Am 19. Juni 1948 berappte der damalige Bürgermeister Pepito Armas Galván schließlich dreihundert Peseten für die Erstellung von sechs neuen Köpfen, die Don Quijote de la Mancha, Sancho Panza, einen Teufel, einen Farbigen, einen Chinesen und eine Chinesin darstellten. Seitdem sind die Pappmascheefiguren inzwischen ein fester Bestandteil des Umzugs. Bald gab es welche mit Gesichtern von prominenten lebenden Persönlichkeiten aus Politik oder Kunst.
Die Figuren überragen die ‚normalen Umzugsteilnehmer‘ um Kopflängen und tanzen bzw. tänzeln zwischen ihnen fröhlich umher. Die riesigen Köpfe, die darunter auf einem ausgeklügelten Gestell von leidenschaftlichen agaedenses ‚dirigiert werden´, sind von der Bajada de la Rama nicht mehr wegzudenken. Wenngleich Agaete die Hochburg der Papaagüevos, wie sie auch noch genannt werden, ist, so hat sich dieser Brauch in den letzten Jahrzehnten auch in die Nachbargemeinden Gáldar, Santa María de Guía und Tunte ausgebreitet.
Und so weiter ...
Die traditionelle Romería-Ofrenda, also der Festzug mit den Gabendarbringungen, bei dem kanarische Trachten par excellence genossen werden können, findet am 12. August 2023 statt.
Fast jeden Tag findet ein Konzert, meist im kleinen Hafen von Agaete, statt und bietet Musik für jeden Geschmack, wie z. B. Latino, Volksmusik, Seemannslieder, Pop, Rock, Blasmusik etc. Details im Programmkasten links.
__________________
Verweise
1)Viva Canarias Nr. 89 vom 16.5.2018 „Necropolis del Maipés, Königsgräber in Agaete“
2)Viva Canarias Nr. 76 vom 15.12.2018 „Valle de Agaete, wo Kaffee produziert wird“
3)Viva Canarias Nr. 167 vom 1.9.2020 „Naturschwimmbad Las Salinas de Agaete“
4)Viva Canarias Nr. 200 vom 1.6.2023 „Fiestas Fundacionales Las Palmas de Gran Canaria, 542 Jahre Stadtgründungsfeiern“
5)Viva Canarias Nr. 154 vom 4.8.2018 „Agaete und die Bajada de la Rama, nicht ohne Giganten und Papahüevos“
__________________