Wußten Sie, dass statistisch gesehen die grösste Gefahr für das Leben und die körperliche Unversehrtheit einer verheirateten Frau ihr eigener Mann ist? Frauen werden viel häufiger körperlich von ihren Lebenspartnern oder Ehemännern verletzt als durch Autounfälle, Vergewaltigungen oder Angriffen von fremden Personen zusammen. Durchschnittlich wird in Spanien jede Woche eine Frau von ihrem Mann ermordet, in Deutschland ist die Situation nicht anders.
Der gefährlichste Ort für eine Frau ist oft ihr eigenes Zuhause. Jedoch sind nicht nur Frauen von häuslicher Gewalt betroffen, häufig werden auch Kinder und ältere Menschen von Familienangehörigen misshandelt. Es gibt natürlich auch männliche Betroffene, die Zahl ist jedoch viel geringer.
Die Dunkelziffer der Fälle häuslicher Gewalt ist enorm! Frauen erstatten oft aus vielerlei Gründen keine Anzeige:
- sie ihre Peiniger trotz der Misshandlungen immer noch lieben und ihm verzeihen;
- sie sich schämen;
- sie meinen, diese Bestrafungen „verdient“ zu haben;
- sie (und ihre Kinder) finanziell von ihren Partnern abhängig sind;
- sie psychologisch von ihren Partnern abhängig sind und sich nicht mehr vorstellen können, alleine zu leben;
- sie Angst vor ihren Partnern haben;
- die Familienangehörige oder Freunde Ihres Lebenspartners zu ihren Feinden werden könnten;
- sie durch religiöse oder traditionelle Erziehung zur Unterwürfigkeit erzogen wurden und die Misshandlungen für normal halten;
- sie nicht wollen, dass ihre Partner verhaftet oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden;
- oder weil die Ehe nach einer Verurteilung in der Regel endgültig kaputt ist, auch wenn die Frau ihrem Partner verzeihen sollte.
Privatsache oder Zivilcourage?
Familienangehörige, Freunde und Nachbarn halten sich meistens aus „Eheproblemen“ raus und zeigen diese unsägliche Situation nicht an, weil sie es für „Privatsache“ halten oder schlicht und einfach aus Mangel an Zivilcourage. Darum leiden von Gewalt betroffene Frauen oft jahrelang und halten unerträgliche Beziehungen aus (Beleidigungen, Verachtung, Schläge, Vergewaltigungen in der Ehe, völlige Unkenntnis über die finanzielle Lage der Familie, Freiheitsberaubung, ständige Überwachung usw.).
Ihre Kinder leiden natürlich auch unter dieser Situation: Söhne werden oft zu zukünftigen Schlägern und Frauenverächtern erzogen und Töchter zu zukünftigen Opfern, da sie zu Hause „lernen“, dass Liebe, Unterwerfung und Gewalt zusammengehören - es ist ein regelrechter Teufelskreis. Eine misshandelte Frau muss also schon eine Menge Mut aufbringen, um eine Anzeige gegen ihren Partner/Ehemann zu erstatten, aber es ist die einzige Art und Weise, der Gewalt ein Ende zu setzen. Nach einer gewissen Anpassungsperiode sind die meisten Frauen sehr froh, diesen Schritt getan zu haben.
Anzeigen oder nicht?
In einigen Fällen sind es fremde Personen, Nachbarn oder die Polizei selbst, die Anzeige gegen einen Mann erstatten, der seiner Partnerin gegenüber auf der Strasse oder in einer Bar handgreiflich geworden ist. Nachbarn rufen manchmal die Polizei, weil sie die Schreie einer Frau erschrecken und sie ernsthaft um das Leben der Frau fürchten. In Extremfällen gehen manche Frauen auch von sich aus zur Polizei, weil sie um ihr Leben fürchten.
Es ist jedoch erstaunlich, wie oft die Opfer von Misshandlungen anschliessend trotzdem nicht gegen ihren Partner bzw. Ehemann aussagen wollen (als Ehefrauen oder Lebensgefährtinnen haben sie das Recht, nicht gegen ihre Partner/Ehemänner auszusagen) oder sogar lügen (und dabei begehen sie eine Straftat, und zwar Meineid), um ihre Partner/Ehemänner zu beschützen. Oft zeigen sie ihre Partner/Ehemänner an, wollen aber später die Anzeige zurückziehen – oftmals aus Angst, aus Mitleid oder, weil sie dem Versprechen des Mannes, sich zu ändern, Glauben schenken. Demzufolge sagen sie dann vor dem Richter aus, sie hätten möglicherweise etwas „übertrieben“ oder hätten sich alles ausgedacht, um sich „zu rächen“. Oftmals geben sie dann an, sie hätten sich die Verletzungen bei einem Sturz zugezogen. Unglaublich, aber leider wahr. Ich als Rechtsanwalt habe schon mehrmals erlebt, dass eine Frau ihren Ehemann mehrmals angezeigt hat und ihre Aussagen anschließend wieder geändert hat. Somit wurde der Täter immer wieder freigesprochen und er änderte sich natürlich nicht und misshandelte seine Ehefrau weiterhin. Ihre folgenden Anzeigen wurden durch ihr Verhalten aber leider immer unglaubwürdiger.
Was sollte man sich in einer Beziehung nicht gefallen lassen?
A. Beschimpfungen und Beleidigungen: Es ist selbstverständlich, dass es in einer Partnerschaft oder Ehe Diskussionen gibt, aber bestimmte Grenzen dürfen nicht überschritten werden.
B. Bedrohungen: „Ich bringe dich um“, „ich werde mache dich fertig“, „du wirst deine Kinder nie wieder sehen“, „ich stecke das Haus in Brand“, usw.
C. Freiheitsberaubung: Man darf seinen Partner nicht einsperren, ständig überwachen oder seine SMS oder E-Mails lesen, usw.
D. Vergewaltigung bzw. sexuelle Nötigung: In Spanien wird die Vergewaltigung in der Ehe mit hohen Strafen bestraft. Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren werden bei Vergewaltigungen verhängt (so hoch wie bei Totschlag – diese Strafe wird nicht zur Bewährung ausgesetzt). Auch verheiratete Menschen dürfen „nein“ sagen!
E. Nötigungen: Ihr Ehemann bzw. Ehefrau darf Sie nicht mit Gewalt oder Drohungen zwingen, etwas zu tun, was Sie nicht möchten bzw. Ihnen mit Drohungen, etwas verbieten.
F. Schläge oder körperliche Misshandlungen.
Alle diese Handlungen sind nach dem spanischen Recht Straftaten bzw. Ordnungswidrigkeiten und werden strafrechtlich verfolgt – unabhängig davon, ob der Täter ein Mann oder eine Frau ist. Die Strafen sind jedoch härter, wenn das Opfer eine Frau ist, da davon ausgegangen wird, dass sie besonders schutzbedürftig ist.
Ratschläge, wenn Sie von Ihrem Partner(in) bzw. Ehemann/Ehefrau misshandelt werden:
• Hören Sie auf zu glauben, dass er/sie liebt, dass er/sie sich ändern wird, dass er/sie Sie nur misshandelt hat, weil er/sie betrunken war bzw. unter Drogen stand, hören Sie auf an seine/ihre Versprechungen zu glauben oder sich selbst die Schuld für seine/ihre Gewalttätigkeit zu geben.
• Hören Sie auf, sich für ihn/sie verantwortlich zu fühlen. Er/sie wird sich nie ändern und meistens wird es nur noch schlimmer. Entscheiden Sie sich endlich mit Mut und ohne Gewissensbisse, ohne Wenn und Aber, für Freiheit, für ihre Würde und Selbstständigkeit; erlauben Sie sich wieder glücklich zu sein und treffen Sie die feste und endgültige Entscheidung, sich von ihm/ihr zu trennen.
• Erstatten Sie ohne Verzögerung eine Anzeige bei der Policía Nacional. Wenn möglich, gehen Sie mit ihrem eigenen Anwalt und einem Übersetzer zur Polizei. Wenn Sie keine finanziellen Mittel haben, beantragen Sie einen Pflichtverteidiger und Übersetzer bei der Polizeistelle. Wenn möglich, nehmen Sie Zeugen der Misshandlung direkt mit zur Polizei. Wurden sie körperlich misshandelt, gehen Sie vorher zum Arzt (Centro de Salud, kostenlos) auch wenn Sie keine schweren Verletzungen haben, und schildern Sie dem Arzt, was passiert ist. Dies ist wichtig, damit ein Arztbericht über die Körperverletzungen an das zuständige Amtsgericht weitergeleitet werden kann. Verlangen Sie entschlossen bei der Polizei sofortige Schutzmassnahmen (dass der Partner/Partnerin verhaftet wird, dass er ein Annäherungs- und Kontaktverbot bekommt oder ggfs. bei Lebensgefahr sogar Polizeischutz).
• Die spanischen Gesetze für den Schutz von misshandelten Frauen sind sehr fortschrittlich. Sowohl die auf Frauenmisshandlung spezialisierte Abteilung der Polizei als auch das „Gericht für Gewalt gegen Frauen“ (Juzgado de Violencia contra la Mujer) handeln schnell, taktvoll und effizient. Bei offensichtlicher Misshandlung wird der Partner/Ehemann in der Regel zum Schutz der Frau sofort verhaftet, und die Frau erhält das provisorische Nutzungsrecht der gemeinsamen Wohnung. Der Mann muss sofort mit einem Koffer ausziehen und muss provisorisch Unterhalt zahlen. Er darf sich der Frau nicht nähern und sich auch nicht mit ihr in Verbindung setzen (weder persönlich noch per Telefon, SMS oder E-Mail). Der Staat gibt mittellosen Frauen finanzielle Unterstützung und ggfs. eine sichere und geheime Unterkunft (Frauenhäuser). Hat die Frau keine Aufenthaltsgenehmigung in Spanien, wird ihr eine erteilt. Die Polizei weist der Frau einen spezialisierten Polizisten zu, der die Einhaltung der Kontaktverbote überwacht und die Frau regelmässig anruft und unterstützt. Meistens findet ein Schnellverfahren statt, in dem nach zwei bis drei Tagen ein Urteil ergeht. Meistens vereinbart der Anwalt des Täters mit dem Staatsanwalt und dem Anwalt des Opfers eine niedrigere Freiheitsstrafe, damit sie zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Auch während des Prozesses wird das Opfer mit richterlichen einstweiligen Verfügungen geschützt. Wird der Mann für schuldig befunden, wird eine Freiheitsstrafe (nur zur Bewährung aussetzbar, wenn der Täter nicht vorbestraft ist) sowie ein Kontaktverbot zur Ehefrau/Partnerin beschlossen. Hält der verurteilte Ehemann/Partner dieses Verbot nicht ein, begeht er eine zweite Straftat und wird ins Gefängnis eingewiesen. Das zweijährige Kontaktverbot gilt sogar dann weiter, wenn die Frau ihrem Mann verziehen hat und sie sich wieder versöhnen will. Bisher hatte das angeordnete Kontaktverbot nur in Spanien Gültigkeit. Dies wird sich jedoch bald ändern, da es auf EU-Ebene wirksam werden soll. Aus diesem Grund sind bisher manche verurteilte Täter wieder zurück in ihr Heimatland mit ihren armen Frauen gezogen.
Schwarze Schafe
Bei so einem heiklen Thema wie der häuslichen Gewalt gibt es jedoch leider auch Frauen, die sich sogar selbst verletzen, ihre Partner/Ehemänner falsch beschuldigen und Falschanzeigen erstatten...
Ihr José Antonio Pérez Alonso, Abogado-Rechtsanwalt