Ausgabe Nr.
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J M upload 30.09.2022, Viva Edition 192 | Print article

Die verzwickten Beziehungen zwischen den Kanaren und den Briten, 500 Jahre ...

Die enge Beziehung der Kanarischen Inseln zu Großbritannien reicht Jahrhunderte zurück1) und transformierte sich von einer Hassliebe zu einer Echten. Die Spuren des Einflusses der Briten zeigen sich in sehr vielen Bereichen, wie z. B. Wirtschaft, Sport, Kultur und Gesellschaft. Sie waren für die Entwicklung des internationalen Handels federführend bzw. dominierten diesen über viele Jahre. Auch die Gründung von Banken, Versicherungsunternehmen, Post- und Paketversandunternehmen, Schulen, Kirchen und die Einrichtung regelmäßiger Schiffsverbindungen mit Großbritannien gehen auf sie zurück. Sogar der Tourismus, der wichtigste Wirtschaftsmotor heutzutage, begann mit den BritInnen.

Ihr Einfluss spiegelt sich in der Sprache wider, wenngleich mit leichten phonetischen Anpassungen, wie z. B. ‚nife’, das traditionelle kanarische Messer (abgeleitet von knife), der Kuchen ‚queque‘ (abgeleitet von ‚cake‘) oder die traditionellen Hafenhändler ‚cambullón‘ (von ‚come buy on‘).2)

Nachfolgend wollen wir Ihnen einige Meilensteine dieser 500 Jahre währenden Beziehungen darlegen.

British Town in Las Palmas de Gran Canaria

Viele ließen sich im noblen Villenviertel Ciudad Jardín nieder, welches „British Town“ bezeichnet wurde. Dort lebten die wohlhabendsten Familien, wie z. B. die Dynastie Miller und Elder. In der Kaufmannszone Triana residierten die Winstons. Die Familie Mr. Leacock siedelte sich Ende des 19. Jhdts. in Gáldar sowie Guía an, um Bananen und Wein nach Großbritannien zu exportieren. Selbigem Geschäftszweig kamen John Jervis und Horacio Nelson auf der Nachbarinsel Teneriffa nach. Kanarischer Wein war begehrt und zählte in der britischen Flotte zu den bevorzugten ‚edlen Tröpfchen‘. Angeblich soll sogar Kapitän Cook während seiner Eroberungsfahrten im Pazifik kanarischen Wein getrunken haben.

Heute residieren etwa 30.000 auf dem Archipel, die Hälfte davon jeweils auf Teneriffa und Gran Canaria.

Territorialkämpfe

Zwar landete 1402 das erste britische Schiff auf den damals exotischen ‚Inseln des ewigen Frühlings‘, doch waren es die Spanier, die sich beharrlich um die Unterwerfung dieses entfernt gelegenen Archipels bemühten. Was 1408 mit Lanzarote begann, endete für Gran Canaria als eine der letzten Eroberungen mit der Landung des Hauptmanns Juan Rejón am 24. Juni 1478 und wurde schließlich 1483 besiegelt.

Schon kurz darauf setzte mit der ‚Entdeckung‘ der Neuen Welt im Jahr 1492 ein Wettlauf um neue Territorien ein. Kolonien brachten Reichtum, sei es durch Gold oder durch Ressourcen. Die Hispanisierung führte Spanien ins goldene Zeitalter (ciècle de oro). Für die indigene Bevölkerung in den eroberten Gebieten bedeutete dies jedoch oftmals ihren Untergang oder den Beginn einer grausamen Herrschaft und Ausbeutung durch die Kolonialherrn.

Im Expansionsbestreben der beiden Königshäuser waren die Kanarischen Inseln im Laufe der darauffolgenden zwei Jahrhunderte immer wieder Ziel von Angriffen. Viele davon wurden vom damaligen ‚Erzrivalen‘ Großbritannien unternommen und ‚gefördert‘ (Freibeuter). Die historisch bedeutendsten Angriffe auf die Kanarischen Inseln haben wir im nächsten Bericht chronologisch ausgearbeitet.

Handel, fest in britischer Hand

Die Kanarischen Inseln avancierten aufgrund ihrer strategisch optimalen Lage im Schnittpunkt dreier Kontinente sowie dem ganzjährig idealen Klima zur wichtigsten Anlaufstelle für den Schiffsverkehr im Atlantik. Hier wurde Proviant aufgestockt oder Schiffsreparaturen durchgeführt. Im 16. Jhdt. stieg der Schiffsverkehr zunehmend und Waren wurden zwischen alter und neuer Welt hin und her gesendet, wie z. B. Tabak, Salz, Kartoffeln, Gemüse, der Farbstoff der Cochinilla-Läuse und Wein.

Die geografische Lage kam den Kanarischen Inseln zugute, und schon bald avancierten sie zum wichtigsten Dreh- und Angelpunkt des Atlantiks.

... die Dynastien und Pioniere

Zu den Pionieren zählte der Schotte James Swanston Miller, der 1820 in Las Palmas seine erste Schiffshandelsfirma gründete (Swanston & Co) und damit den Grundstein einer der erfolgreichsten Unternehmerdynastien der Kanarischen Inseln legte. Durch die engen Familienbande konnten sie ihre Netzwerke lukrativ nach Übersee und Großbritannien ausbauen. Zudem fanden einige, bisher in ‚good old Europe‘ unbekannte Produkte aus der Neuen Welt, ideale Wachstumsbedingungen auf den Kanaren. Hier konnten sie das ganze Jahr über angebaut und geerntet werden. Ein Beispiel dafür sind Tomaten, die das ganze Jahr über angebaut und geerntet werden konnten. Mr. Blisse aus Telde gründete 1885 die erste Tomaten-Exportfirma und verschiffte im selben Jahr die erste Ladung nach London.

Die Nachfrage an Nahrungsmitteln war enorm, besonders in den Wintermonaten, wo es in Europa schwer war, an frisches Obst und Gemüse zu gelangen. Zudem nahm durch eine bessere medizinische Versorgung auch die Bevölkerung stark zu, was den Nahrungsmittelbedarf noch beflügelte. Im Hafen von London entstand ein eigener Kai, an dem die Waren aus dem Archipel gelöscht wurden, der sogenannte Canary Wharf.

Von dort wurden die Produkte direkt an die Märkte im Covent Garden, Borough, Brentford Market und Spitalfields geliefert bzw. gingen später auch in den Re-Export. Heute stehen in diesem Stadtteil moderne, in den 1980-er Jahren errichtete Bürokomplexe.

... neue lukrative Chancen mit der Industrialisierung

Im 19. Jhdt. lösten mit Dampf betriebene Schiffe die Segelschiffe im Warenhandel und Personenverkehr sukzessive ab. Wieder bewiesen Briten Weitblick und Thomas Miller eröffnete mit seinem Cousin James Swanston Miller im Jahr 1824 das erste Kohlehandelsunternehmen auf den Kanaren (Miller y Cía). Die Entscheidung erwies sich goldrichtig. Im Hafen von Las Palmas de Gran Canaria waren vier der fünf größten Unternehmen in diesem Sektor unter britischer Führung: Blandy Bros & Co., Coaling & Shipping, Cory Brothers, Elder Dempster und General Canaria de Combustibles. Mit einer besseren medizinischen Versorgung wuchsen die Lebenserwartung und die Bevölkerung, sowohl in Europa als auch auf den Kanaren. Auf den Kanarischen Inseln stieg der Bedarf an Produkten, die es hier nicht oder kaum gab: Textilien und Bekleidung, Möbel, Dekorationsgegenstände, Accessoires, Haushaltsgeräte und nicht zuletzt Luxusartikel.

Schiffseigner bzw. Transportunternehmen konnten sehr effizient wirtschaften, indem sie Leerfahrten vermieden und in beide Richtungen Waren transportierten.

Boost im Handel durch Zollfreizone Kanaren

Ein wichtiger Meilenstein für den Warenverkehr war die Ernennung der Kanarischen Häfen zur Zollfreizone (Free Ports) im Jahr 1852. Das sorgte für einen zusätzlichen Boost vor allem mit Großbritannien, von wo die Kanaren 54 Prozent der gesamten Importe bezogen. Dahinter folgte Deutschland mit 15 Prozent und Frankreich mit 10 Prozent. Der Handel mit Spanien fiel auf unter sechs Prozent (Details siehe Tabelle auf der vorderen Seite).

Nach dem Schiffshandel, -bau und -reparaturen sowie der Bunkerung (z. B. Kohle) entwickelten sich weitere Branchen, wie z. B. Post- und Paketversand, ab 1885 Banken und Versicherungen.

In all diesen assoziierten Branchen waren britische Unternehmen federführend: Elder Dempster Shipping Co. Ltd., Bank of British West Africa, Elders & Fyffes, Imperial Direct West India Mail Service Co. Ltd., Hudson & Co. Ltd., Blandy Brothers, Fyffes, Lion Trade, Wilson Sons & Co.

Ende des 19. Jhdts. eröffneten viele neue Einzelhandelsgeschäfte, um den mannigfaltigen Anforderungen der immer größeren Klientel nachkommen zu können (Kleider-, Hut- und Schuhgeschäfte, Bars, Restaurants, Fotostudios, Frisöre etc.).

Tourismus keimt auf

AbenteurerInnen und EntdeckerInnen brachen die Lanze für diese exotischen Kanarischen Inseln. Ein sprunghafter Anstieg wurde nach der Publikation in Fachmagazinen verzeichnet, wie z. B. „Tenerife and its Six Satellites“ von Olivia Stone im Jahr 1891. Ihr verdanken die KanarierInnen die Rettung eines der bedeutendsten archäologischen Fundstellen auf Gran Canaria, dem Archäologiepark von Gáldar. Sie erkannte den archäologischen Wert der Cueva Pintada und appellierte nachdrücklich an die hiesigen Behörden, diese Fundstelle zu schützen. Parallel wurden regelmäßige Schiffsverbindung zwischen Liverpool und Gran Canaria zum Preis von 15 - 25 £ je Ticket eingerichtet.

Mit dem Bau gehobener Hotels, wie z. B. Hotel Parque Tropical A Royal Hideaway oder Reina Isabel Ende des 19. Jhdts, nahm die Zahl der meist gut betuchten Gäste in der Hauptstadt zu.5)  Die Tourismusunternehmen warben ebenfalls in großen Tageszeitungen in Großbritannien als „chice“ Destination mit dem ‚besten Klima der Welt‘. Die UrlauberInnen zeigten Interesse für Land und Leute und Ausflüge waren an der Tagesordnung. In den 1920-er Jahren waren es um die 3.000 TouristInnen, denen etwa 14 Hotels zur Verfügung standen. Der Besucherstrom nahm sukzessive zu, doch eine Promenade zum Flanieren gab es erst ab den 1940-ern, als der renommierte kanarische Architekt Miguel Marín Fernández de la Torre mit der Planung beauftragt und drei Jahre danach die Promenade in ihrer heutigen Form fertiggestellt wurde.

In den 1960-er Jahren entdeckten weitere Nationen die Inseln für sich, allen voran die Schweden und später die Deutschen. Mit ihnen wurden die sehr strengen Kleidervorschriften an den Stränden ‚über Bord gekippt‘ und plötzlich waren Badegäste ‚top less‘ am Strand zu sehen, was nicht zuletzt den bis dato ‚steifen Briten’ ein Dorn im Auge war.

Sport „Import“

Der älteste Golfclub Spaniens wurde auf Initiative einer Gruppe von Briten im Jahr 1891 gegründet. Der Real Club de Golf de Las Palmas ist auch heute noch aktiv und versprüht ein wenig koloniales Flair am Rande des Vulkankraters Caldera de Bandama. Designed wurde dieser schöne Platz vom Briten Mackenzie Ross.5)

Der im Jahr 1890 gegründete Cricket Club zwischen Santa Catalina und La Casa del Caminero war auch bei den Einheimischen beliebt. Gespielt wurde in allen erdenklichen Teamkonstellationen, wie z. B. Verheiratete gegen Singles oder Residenten gegen Touristen (Foto re.).

Tennis, anfänglich der Elite vorbehalten, begann weltweit populär zu werden nachdem sich 1874 Major Walter Wingfield die Patentrechte für das Equipment und die Spielregeln gesichert hatte. 1895 fand sich eine Gruppe Briten zusammen, um den Grundstein dafür auf den Kanaren zu legen. Anfänglich waren es gehobene Hotels (z. B. The Metropole, Hotel Santa Catalina), die die Möglichkeit zum Tennisspielen anboten und nachdem sich langsam ein Bürgertum in der Hauptstadt entwickelte, fanden auch immer mehr Einheimische Gefallen an diesem neuen Sport. Nachdem Sydney Montague den All-Spain Championship im Jahr 1907 gewonnen hatte, trat Tennis auch in den nationalen Fokus.

Queen Victoria Hospital

Das Queen Victoria Hospital in der c/Sagasta n° 52 in Las Palmas de Gran Canaria wurde 1891 errichtet und war landläufig unter dem Namen „El Hospital Inglés“ bekannt. Die Initialzündung ging auf eine britische Krankenschwester zurück, die sich in aufopfernder Weise um kranke Matrosen und Schiffsbesatzung kümmerte, die aufgrund ihrer Krankheit hier von Bord mussten. Die Stadt unterstützte das Hospital mit kostenlosem Strom und Wasser, während es sich bei der Belegschaft um freiwillige HelferInnen handelte (Ärzte, Schwestern etc.).

Holy Trinity Kirche

Mit dem Bau der ersten protestantischen Kirche „Holy Trinity Church“ im Jahr 1887 war auch für das seelische Wohl der britischen Residenten gesorgt.

Persönlichkeiten

Auch Agatha Christie, die weltweit erfolgreichste Schriftstellerin, mit geschätzten 2 Milliarden verkauften Büchern (!), wurde durch ihren Aufenthalt im Februar 1927 auf den Kanaren zum Schreiben inspiriert. Zuerst buchte sie eine Unterkunft in La Orotava auf Teneriffa, doch sagte es ihr dort nicht zu und so buchte sie nach einer Woche um und ging nach Gran Canaria. Dort nächtigte sie mit ihrer Entourage im damals angesagten The Metropole Hotel nahe dem Las Canteras Strand und schrieb an „The Companion“.

Weitere Persönlichkeiten

- Sir Winston Churchill, 1959
- Gregory Peck, 1955
- Prinz George, Duke of York, 1890
- König Alfonso XIII, 1906
- Duke und Duchesse of Connaught, 1910

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Verweise

1)Viva Canarias Nr. 173 vom 1.2.2021 - 500 Jahre Großbritannien und Kanaren

2)Viva Canarias Nr. 191 vom 1.9.2022 - Cambulloneros, die Hafen-Händler von Puerto de la Luz

3)Viva Canarias Volksfeste in Memoriam historischer Schlachten, Fiesta Naval von La Isleta

4)Viva Canarias Online vom 2.3.2021 - Edificio Miller: Vom Handels- und Kohlelager zum Kulturzentrum

5)Viva Canarias Nr. 186 vom 1.4.2022 - Tourismus anno dazumal, wie alles begann