183 TAGE, oder ... wie man sich nach einem Aufenthalt im Ferienparadies in der Steuerhölle wiederfinden kann.
Am 17. Juni 2020 hat die spanische Generaldirektion für Steuern (Dirección General de Tributos) eine vielbeachtete, sogenannte consulta vinculante, also verbindliche Auskunft in Steuersachen, mittels Entschlusses, unter dem Aktenzeichen V1983-20 veröffentlicht.
Ausgangspunkt war die Anfrage eines Ehepaares, welches bis dato ihren steuerlichen Wohnsitz im Libanon hatte und im Januar 2020 zu einem zunächst dreimonatigen Aufenthalt nach Spanien aufbrach.
Aufgrund des durch die spanische Regierung ausgerufenen und am 14. März 2020 in Kraft getretenen Alarmzustandes (Estado de Alarma), wurde das Ehepaar an ihrer planmäßigen Rückreise gehindert. Obwohl die Gesuchsteller keinerlei Einnahmen in Spanien erzielen und hier bisher immer weniger als sechs Monate im Jahr verbrachten, hatten sie die Sorge, dass aufgrund der besonderen Umstände während des Jahres 2020 ein längerer Aufenthalt unausweichlich sei, weshalb sie erfahren wollten, ob die hieraus resultierende Situation dazu führen könne, dass das Königreich Spanien von der Begründung eines Steuerwohnsitzes ausgehe.
Die Dirección General de Tributos antwortete, zusammengefaßt, wie folgt:
Gemäß den spanischen Vorschriften wird zur Beurteilung des steuerlichen Wohnsitzes von natürlichen Personen Artikel 9 des Gesetzes 35/2006, vom 28. November, über die Einkommensteuer (Ley 35/2006, de 28 de noviembre, del Impuesto sobre la Renta de las Personas Físicas y de modificación parcial de las leyes de los Impuestos sobre Sociedades, sobre la Renta de no Residentes y sobre el Patrimonio), kurz LIRPF (Ley del Impuesto sobre la Renta de Personas Físicas) herangezogen.
Aus Artikel 9 Absatz 1 dieses Gesetzes ergibt sich, verkürzt und zu Gunsten eines besseren Verständnisses verallgemeinert, Folgendes:
Es wird von der Begründung eines Steuerwohnsitzes in Spanien ausgegangen, wenn während eines bestimmten Besteuerungszeitraums, eine der nachfolgend beschriebenen Voraussetzungen eintritt:
- ein Aufenthalt auf spanischem Hoheitsgebiet, von über 183 Tagen, während eines Kalenderjahres, wobei sporadische Abwesenheiten nicht herausgerechnet werden (d.h. dass beispielsweise mit einer Abwesenheit aufgrund eines Urlaubsaufenthaltes in Portugal so verfahren wird, als hätte während dieses Zeitraums keine Unterbrechung des Aufenthalts in Spanien stattgefunden). Kommt ein gegebenenfalls bestehender Steuerwohnsitz in einem Steuerparadies in Betracht, kann die spanische Steuerverwaltung sogar verlangen, dass der Nachweis über den Aufenthalt in selbigem von 183 Tagen im Kalenderjahr geführt wird.
- dass sich der Hauptkern oder die Grundlage der Aktivitäten oder wirtschaftlichen Interessen des Steuerpflichtigen, in direkter oder indirekter Weise, in Spanien befindet.
Gleichzeitig stellt das spanische Einkommensteuergesetz die widerlegbare Vermutung auf, dass der Steuerpflichtige seinen Steuerwohnsitz in Spanien hat, wenn aufgrund der vorgenannten Kriterien, sein von ihm nicht gesetzlich von Tisch und Bett getrennt lebender Ehegatte (separado legalmente) und die von ihm abhängigen minderjährigen Kinder, in Spanien den gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Wenn auch nur eine dieser Voraussetzungen erfüllt wird, geht das spanische Steuerrecht von einem Steuerwohnsitz in Spanien aus.
In dem Fall, welcher Gegenstand der Anfrage war, erklärte die Dirección General de Tributos daher, dass das libanesische Ehepaar auch dann einen Steuerwohnsitz in Spanien begründen würde, wenn es sich lediglich deshalb mehr als 183 Tage des Kalenderjahres 2020 in Spanien aufhält, weil es sich durch den verhängten Alarmzustand hierzu gezwungen sah.
Doppelbesteuerungsabkommen
Es kann vorkommen, dass eine natürliche Person gleichzeitig gemäß den nationalen Vorschriften verschiedener Länder die Voraussetzungen für die Annahme eines jeweiligen Steuerwohnsitzes erfüllt.
In der Bundesrepublik Deutschland sind gemäß § 1 des deutschen Einkommensteuergesetzes, u.a. diejenigen natürlichen Personen unbeschränkt steuerpflichtig, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland (Deutschland) haben.
Ähnlich lautet das österreichische Einkommensteuergesetz, welches u.a. gemäß seines § 1 Absatz 2 des österreichischen Einkommensteuergesetzes, eine unbeschränkte Steuerpflicht annimmt, wenn die natürliche Person im Inland (Österreich) einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Wie sich unschwer erkennen läßt, kann ein Steuerpflichtiger aufgrund seines Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland oder Österreich, und der gleichzeitigen Erfüllung der durch das Königreich Spanien erlassenen Kriterien, nach den jeweils eigenen Vorschriften beider Länder, einen Steuerwohnsitz begründen.
Mit Hilfe von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA), welche letztlich völkerrechtliche Verträge sind, können Staaten die Voraussetzungen schaffen, damit derselbe Steuerpflichtige, für dieselben Einkünfte innerhalb des gleichen Steuerzeitraums nicht mehrfach besteuert wird.
Im DBA werden hierfür Regelungen getroffen, welche verschiedene Einkunftsarten, und unterschiedliche Fallgestaltungen differenziert behandeln.
Von besonderem Interesse ist hierbei die Definition der ansässigen Person, und die Behandlung derselben, wenn diese aufgrund ihres Wohnsitzes, ihrer ständigen Aufenthalts, des Ortes Ihrer Geschäftsleitung oder eines anderen, ähnlichen Merkmals in einem oder beiden Ländern als steuerpflichtig angesehen wird, denn für die Beurteilung und Zuweisung eines Besteuerungsrechts muß ein Ansässigkeitsstaat im Sinne des DBA bestimmt werden.
Wir wollen die entsprechende Prüfreihenfolge zur Ermittlung der Ansässigkeit, in den einschlägigen DBA (zwischen Spanien und Deutschland bzw. Österreich) betrachten (siehe Kasten rechts).
Artikel 4 des zwischen Deutschland und Spanien geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens einerseits, und des zwischen Österreich und Spanien ratifizierten Doppelbesteuerungsabkommens andererseits, decken sich diesbezüglich weitestgehend.
Sowohl im deutschen wie auch im österreichischen DBA mit Spanien, wird bei gleichzeitiger Einordnung als unbeschränkt Steuerpflichtigem in beiden Ländern, als Ausgangspunkt zur Zuweisung der Ansässigkeit im Sinne der jeweiligen Abkommen, auf die ständige Wohnstätte abgestellt.
Als solche wird im Allgemeinen jede dauerhaft zur Verfügung stehende Form von Wohnstätte verstanden. Es ist gleichgültig, ob diese Wohnstätte z.B. im Eigentum des Steuerpflichtigen steht, lediglich gemietet wurde, oder aufgrund eines Niessbrauchsrechts existiert.
Besteht in beiden Ländern eine derartige Wohnstätte, wird die Ansässigkeit aufgrund der engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen ermittelt. Diese Beurteilungsrundlage wird gemeinhin auch als Mittelpunkt der Lebensinteressen bezeichnet, und orientiert sich u.a. danach, wo und wie der wesentliche Teil der Einkünfte erzielt wird, wo engere familiäre und freundschaftliche Bande existieren, oder der maßgeblichen beruflichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Tätigkeit nachgegangen wird. Problematisch wird es im Einzelfall, wenn es darum geht die entsprechende Gewichtung dieser Faktoren zueinander vorzunehmen.
Verfügt der Steuerpflichtige in keinem der Vertragstaaten über eine ständige Wohnstätte, oder läßt sich nicht bestimmen, in welchem dieser Länder der Mittelpunkt der Lebensinteressen liegt, so gilt er lediglich dort im Sinne des DBA als ansässig, in welchem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Hat der Steuerpflichtige in keinem der beiden Staaten oder in beiden seinen gewöhnlichen Aufenthalt, so gilt er im Sinne des DBA als in dem Staat ansässig, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.
Das deutsche DBA mit Spanien sieht zusätzlich den Fall vor, dass der Steuerpflichtige an diesem Punkt angelangt, auch noch beide Staatsbürgerschaften besitzt. Dann sind die Behörden der Vertragsstaaten dazu aufgerufen, diese Frage im gegenseitigen Einvernehmen zu regeln.
An diesem kleinen Exkurs, läßt sich erkennen, wie schnell die Anwendung der spanischen 183 Tage Regel zu der unerwarteten Begründung eines spanischen Steuerwohnsitzes führen, und wie kompliziert die Bestimmung der Ansässigkeit im Sinne des DBA in Anbetracht der oben beschriebenen, auslegungsbedürftigen Rechtsbegriffe werden kann.
Interessanterweise hat das Sekretariat der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Kenntnis der weitreichenden Auswirkungen der COVID-19 Krise auf verschiedene Besteuerungssituationen, am 3. April 2020, unter dem Titel Analysis of Tax Treaties and the Impact of the COVID-19 crisis, eine Notiz veröffentlicht, welche letztlich die Empfehlung ausspricht, die durch die Pandemie geschaffene Ausnahmesituation gebührend zu berücksichtigen.
Die Dirección General de Tributos des Königreichs Spanien hat nichtsdestotrotz den hier dargelegten Entschluß (V1983-20) getroffen, und besagte Empfehlung der OECD ignoriert, weshalb das 183 Tage Kriterium auch dann aufrecht erhalten wird, wenn der verlängerte Aufenthalt alleine pandemiebedingt eintritt.
Im Zusammenhang mit den soeben vorgestellten Regeln zur Ermittlung der Ansässigkeit gemäß DBA Kriterien muß weiter hervorgehoben werden, dass deren Anwendung nicht dazu führt, dass der Steuerpflichtige nur noch nach dem Recht eines der Vertragsstaaten die Einordnung als unbeschränkt Steuerpflichtiger erfährt.
Vielmehr ist festzustellen, dass sich z.B. die Frage nach der Einordnung einer natürlichen Person als unbeschränkt Steuerpflichtigem, weiterhin nach den jeweils inländischen steuerrechtlichen Vorschriften beantwortet. Im Zusammenspiel mit dem DBA werden jedoch nach Ermittlung der Ansässigkeit im Sinne desselben, dem einen oder anderen Vertragsstaat Besteuerungsrechte zugewiesen oder eingeschränkt. Das DBA regelt insbesondere die Besteuerungsrechte der Vertragsstaaten untereinander sowie die Zusammenarbeit dieser Staaten.
Aufgrund der Fülle an Ausnahmeregelungen, und denkbaren Sonderfällen (deren Darstellung hier aus Platzgründen unterbleiben muß), sowie der weitreichenden Folgen einer fehlerhaften Einschätzung, kann nur die Empfehlung ausgesprochen werden, sich frühzeitig der eigenen Situation zu vergewissern, sich qualifiziert beraten zu lassen, und sorgfältig zu planen. Wer sich regelmäßig im Bereich der 183 Tage tummelt, und alleine hiernach einen spanischen Steuerwohnsitz begründen könnte, sollte besonders achtsam sein, und nach Möglichkeit Klarheit schaffen.
Oftmals verbringen Ausländer die Hälfte des Jahres in Spanien und die andere Hälfte in ihrem Ursprungsland, ohne sich tiefere Gedanken hierüber zu machen. Man findet dann in der Praxis Situationen vor, in denen sich der im Ruhestand befindliche Ausländer z.B. 185 Tage eines Jahres in seiner Spanienimmobilie aufhielt. Eine um wenige Tage vorgezogene Abreise ins Ursprungsland wäre dann geeignet gewesen die Problematik des spanischen Steuerwohnsitzes überhaupt nicht erst aufkommen zu lassen (da die übrigen Voraussetzungen für die Annahme eines spanischen Steuerwohnsitzes ohnehin nicht vorlagen), ohne zu einer merklichen Einbusse an Lebensqualität und Freiheit zu führen.
Siehe Doppelbesteuerungsabkommen - Vergleich Spanien - Deutschland und Österreich
Ingmar Hessler, LL.M., M.B.A.
Abogado und Rechtsanwalt
Hessler & del Cuerpo
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Anm. d. Red.: Der Autor ist als Rechtsanwalt und Abogado Partner der internationalen Rechtsanwaltskanzlei Hessler & del Cuerpo, welche ihre Mandanten spanienweit berät und vertritt. Dieser Artikel wurde für Viva Canarias erarbeitet und wir freuen uns auf weitere interessante und kompetente Rechtsberatungen für unsere Leser. Die Anwaltskanzlei berät seit 15 Jahren in deutscher Sprache im spanischen Recht und ist u. a. spezialisiert auf Immobilienrecht, Familien- und Erbrecht, Zivil- und Gesellschaftsrecht.