Ausgabe Nr.
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J M upload 12.12.2018, Viva Edition 102 | Print article

Reise in die Vergangenheit im Geschichtsmuseum in Agüimes

Seitenstraße der Kirche San Sebastián in Agüimes

Ein Geschichtsmuseum in einem ehemaligen Bischofspalast? Ja, das ist in Agüimes der Fall. In jedem von uns steckt ein wenig Entdeckergeist und das Eintauchen in die Vergangenheit übt für mich einen besonderen Reiz aus. Mein Motto lautet: „Wer die Geschichte kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft verändern.“ Agüimes liegt im Osten der Insel und hat eine der schönsten Altstädte auf Gran Canaria. Trotz des stetig anwachsenden Besucherstroms konnte sie sich ihren pittoresken Charme bewahren.

Historische Altstadt mit langer Geschichte

Innenhof: Museo de Historia Agüimes

Die Gegend um Agüimes war eine der Kernzonen der indigenen Ansiedlungen, wie archäologische Funde belegen, wie z. B. Mumien, Knochen, Utensilien und Bekleidungsreste. Diese befinden sich im Museo Canario. (siehe auch Museo Canario - Die Geschichte des Dr. Chil)

Mit der Unterwerfung durch die spanischen Konquistadoren, die im Auftrag der kastilischen Krone nach Fuerteventura und Lanzarote nun auch Gran Canaria erobert hatten, änderte sich alles schlagartig. Offiziell abgeschlossen war diese am 29. April 1483 und das Land und die Wasserrechte wurde den Eroberern und ihren Getreuen zugeteilt. Die fruchtbare Gegend um Agüimes eignete sich hervorragend zur Agrarwirtschaft. Die Bevölkerung nahm schnell zu und bereits 1506 wurde Agüimes zur Stadt ernannt.

Highlight: Kunst in der Stadt

Der Flair der Vergangenheit durch die historischen Bauwerke verschmolzen mit der Gegenwart und locken seit Jahren viele Ausflügler und Touristen an. Schmale verwinkelte, mit Kopfsteinpflaster ausgelegte, Gassen verzweigen sich rund um die stattliche Kirche mit der markanten weißen Kuppel in alle Richtungen. Die Fassaden sind fast allesamt liebevoll restauriert worden. Alles ist sauber und wirkt aufgeräumt, wodurch sich herrliche Fotomotive bieten. Dafür sorgen nicht zuletzt eine Vielzahl an lebensgroßen Bronzeskulpturen, die verschiedene Szenen aus dem kanarischen Alltag und ihre Bewohner darstellen.

Die  Kunst nimmt eine wichtige Rolle ein. Die Schilder der Gewerbetreibenden, beispielsweise der Bäcker, Restaurants, Bars und Friseure sind kunstvoll gestaltet. Sitzbänke laden zum Verweilen ein, besonders am großen Kirchplatz unter den Schattenspendenden Bäumen mit ihren ausladenden und dichten Baumkronen.

Bischofspalast - das Geschichtsmuseum

Seit 2004 hat Agüimes ein eigenes Geschichtsmuseum, das die letzten fünfhundert Jahre aus verschiedenen Perspektiven behandelt. Es liegt auf der Hand, dass es sich in einem historischen Gebäude befindet, das der Bischofspalast war. Daher nennen es die Einheimischen auch „Palacio Episcopal“.

Von 1941 bis 1948 war dort zudem eine Außenstelle des Militärs untergebracht. Man befürchtete während des Zweiten Weltkriegs eine Invasion Marokkos.

Heute ist das „Museo de Historia“ de Agüimes ein Beispiel einer gelungenen Restauration und Rehabilitation in zeitgemäßer Weise. Der Eingang befindet sich an einer Seite eines kleinen Platzes an dem riesige Bäume wohltuend Schatten spenden. Einige Treppen führen zum Eingang und gleich im Empfangsraum finden sich Informationsmaterial und regionaltypische Souvenirs. Durch die gegenüber liegende Tür blickt man auf den Innenhof, in dem einige Kakteen gepflanzt wurden.

Rund um diesen Patio reihen sich die Ausstellungsräumlichkeiten, die verschiedene Themen behandeln. Es beginnt mit dem Sitz des Bischofs, der im Jahr 1491 auf Anordnung der Krone eingerichtet wurde. Einige interessante Highlights wollen wir herausnehmen. Den Rest sehen Sie sich am Besten vor Ort an.

Das Los der Frauen

Frauen waren rechtlich ihren Vätern, Brüdern oder dem Ehemann unterstellt. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts betätigten sie sich vornehmlich auf dem Feld, säten und ernteten. Damen der höheren Gesellschaftsschicht entflohen quasi der harten Feldarbeit und widmeten sich dem Kunsthandwerk, wie z. B. der Stickerei. Agüimes und das angrenzende Ingenio sind für ihre feinen Hohlsaumstickereien bekannt, die höchste Kunstfertigkeit erfordern. Witwen waren häufig im Geldverleih, Handel und bei Immobiliengeschäften tätig.

Eine Zweckgemeinschaft: Die Ehe

So war auch die Ehe zumeist eine Zweckgemeinschaft, besonders wenn beide Partner finanziell gut gestellt waren. Frauen brachten eine Mitgift in die Ehe ein, während der Mann eine zukünftige Erbschaft seiner Eltern oder eigene aufgebaute Güter mitbrachte. Die Mädchen verließen ihr Elternhaus, um in das des Mannes oder das seiner Eltern einzuziehen.

Mit der Zeit betätigten sich immer mehr Frauen in Webereien und Spinnereien. Im 17. Jahrhundert waren in mehr als zehn Prozent der Haushalte Webstühle zu finden und diese Einnahmequelle gewann neben der Landwirtschaft an Bedeutung. Sklaven, Zeitarbeiter, mittellose Frauen, ledige Mütter und Bauern übten diese Tätigkeit aus.

Auch die Salzproduktion gewann mit den Salinen rund um Arinaga im 17. Jahrhundert an Bedeutung ( Lange Geschichte: Salzgärten auf den Kanaren - Salzmeisterschaften  ). Ansonsten war die Landwirtschaft, so wie heute, ein bedeutender Wirtschaftszweig. Es befand sich im Gemeindegebiet die größte Schneckenfarm Spaniens, die „Caracolas Canarias“ (Anm.: Inzwischen geschlossen). Allerdings zählen Schneckengerichte zu den regionalen Spezialitäten, ebenso wie das autochthone Schwarze Schwein (cochino negro).

Emigrationswellen

Mit der Entdeckung der Neuen Welt wuchs der Schiffsverkehr und Handel, wobei die Kanaren eine strategische Schlüsselposition einnahmen. (siehe 600 Jahre Briten & Kanaren - der Einfluss der Briten auf die Kanaren) Allerdings wuchs auch die Bevölkerung enorm und hunger breitete sich mehr und mehr aus. Aufgrund der bitteren Armut der Landbevölkerung und die Hoffnung auf ein neues, besseres Leben in der Neuen Welt setzte eine Emigrationswelle ein, die vom 15. bis zum 19. Jahrhundert andauern sollte. Die bevorzugten Destinationen waren Mexiko, Venezuela, Florida und vor allem Kuba. Noch heute bestehen besonders intensive Beziehungen zwischen Agüimes und Santa Clara vor.

Altes Gepäck

Fidel Castro schrieb in einem Brief an seinen Freund auf Teneriffa im Jahr 1986: „Der Canario war der bescheidenste der Emigranten. Er ging nicht nach Kuba, um zu unterdrücken oder auszubeuten. Er kam, um zu arbeiten und an unserer Seite zu kämpfen, half mit seiner sprichwörtlichen Arbeitsamkeit das Land zu schmieden, litt mit uns, kämpfte, gründete eine Familie und erwies sich schließlich gemeinsam mit dem ganzen Volk in dem freien und revolutionärem Vaterland von heute als würdig.

Mitte bzw. Ende des 19. Jhdts. setzte eine Rückwanderungswelle ein. Manche kamen in die Heimat, um hier Fuß zu fassen, andere hatten es in der Fremde geschafft und sich ein wohlsituiertes Leben aufgebaut. Sie kamen in den feinen weißen Leinenanzügen mit Hut und sparten nicht mit einer gewissen Note an Arroganz, was den Unmut der hiesigen einfachen Bauern auf sich zog. Angeblich haben Einheimische die arroganten Rückkehrer sogar mit Talgpulver beschmissen und daraus abgeleitet gibt es in einigen Städten des Archipels Volksfeste, die daran erinnern. (siehe Wasser- und Gofioschlacht in Agüimes im September )

Stab für alle Fälle „juego de palo“ und „Macanas“

Juego de Palo (hist. Aufnahme FEDAC)

Der Einsatz von Stäben auf Gran Canaria ist fast so lang wie dessen Bestehen. Die indigene Bevölkerung hüpfte sozusagen von Fels zu Fels. Sie waren zumeist barfüßig und die scharfen Kanten der Vulkangesteins sowie das vielerorts unwegsame Gelände boten sich zum Hirtensprung (span. „Salto de Pastor“) förmlich an. Kam es zum Kampf so kamen Stöcke bei den Bauern ebenfalls zum Einsatz. Diese sogenannten „Macanas“ hatten schon die kleinen Jungen.

Verzierungen an den Stockenden

Stockkämpfe (span. „Juego de Palo“ bzw. auch „Juegos de Carrote Canario“) sieht man heutzutage immer wieder bei Volksfesten. Dabei simulieren zwei Gegner einen Kampf (daher das Wort „Juego“, was soviel wie Spiel bedeutet). Sie versuchen sich gegenseitig mittels Schlägen zu markieren, ohne dass es wirklich zum Kontakt kommt. Man muss reaktionsschnell, flink, gelenkig und nicht zuletzt geschickt mit dem Stab umgehen können, um sich zu behaupten. Den Stockkampf kann man sich so ähnlich wie fechten vorstellen.

Fazit: Ein Besuch des Geschichtsmuseums von Agüimes ist auf alle Fälle lohnend. Es ist ein kleines Museum in einem geschichtsträchtigen Gebäude, das themenmäßig aufbereitet ist (siehe Kasten linke Seite) und somit nicht ermüdet. Neben den mehrsprachigen Informationstafeln veranschaulichen viele liebevoll zusammengetragene Utensilien und Fotografien die Historie der Stadt bzw. der Gemeinde. Ein Rundgang durch die engen Gassen der schönen Altstadt ist ein Muss. Nach dem Müßiggang durch die Stadt sollten Sie unbedingt eines der regionalen Spezialitäten probieren, wie z. B. ein Schneckengericht oder das „Schwarze Schwein“. Ihren Ausflug können Sie beliebig kombinieren. Viel Spaß!   

Kontakt: Museo de Historia

Geschichtsmuseum Agüimes
c/Juan Alvarado y Saz 42 in Agüimes
Öffnungszeiten: Di. bis So. von 9.00 bis 17.00 Uhr.
Eintritt: 3 Euro bzw. 2,50 Euro für Kinder bis 12 Jahre, Senioren: 2 Euro (Residenten zahlen 2,50 Euro bzw. Kinder 2 Euro), Tel.: 928 785 453
Anmerkung: Sonntags ist der Eintritt gratis.

[ Update vom 5.1.2024 ]

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