In Ausgabe Nr. 163 haben wir bereits über eine Auslegung der Verordnung im Zuge der Coronavirus Pandemie berichtet. Nachdem nun die meisten staatlichen Einschränkungen, wie z. B. Start- und Landeverbote - aufgehoben sind, möchten wir uns noch einmal ausführlich mit dem Thema beschäftigen.
Im Jahr 2004 hat die Europäische Union eine einheitliche Rechtsgrundlage für die Rechte und Entschädigungsansprüche von Fluggästen bei Nichtbeförderung von Passagieren, Annullierung und Verspätung von Flügen verabschiedet: die (EG) 261/2004, kurz „Europäische Fluggastverordnung“.
Wo greift diese Verordnung?
• Zuerst einmal natürlich für alle Flüge innerhalb der EU, für alle Flüge die von einem Flughafen innerhalb der EU angetreten werden und für alle Flüge aus Drittstaaten mit Ziel zu einem Flughafen innerhalb der EU, wenn die Fluglinie ihren Sitz innerhalb der EU hat.
• Sie ist auch nur für jene Flugabschnitte gültig, auf die obige Bedingungen zutreffen. Für einen Direktflug Frankfurt – Melbourne gilt sie, Bei einer Zwischenlandung z.B. in Dubai ist nur die Strecke Frankfurt – Dubai betroffen.
Bei Abflügen in Drittländern ist z.B. ein Flug New York – Frankfurt dann betroffen, wenn er von der Lufthansa durchgeführt wird, nicht jedoch wenn z.B. Delta Air Lines der Operator ist. Dies ist insbesondere bei sogenannten Codesharing Flügen zu beachten.
Beispiel: der Flug LH 4921 (Lufthansa-Flugnummer!) von Tokio nach Frankfurt wird von ANA mit Flugnummer NH 203 durchgeführt und ist, auch wenn er bei Lufthansa gebucht wurde, von den europäischen Fluggastrechten ausgeschlossen.
• Bei mehreren Flugabschnitten, die von verschiedenen Fluglinien durchgeführt werden, ist immer jene Fluglinie zuständig, die den ersten Flugabschnitt durchgeführt hat
Beispiel: Eurowings von Berlin nach Zürich, Edelweiss von Zürich nach Las Palmas. Wenn der Flug in einem Buchungsvorgang durchgeführt wurde, ist bei verspäteter Ankunft in Las Palmas Eurowings dem Fluggast gegenüber verantwortlich.
• Unabhängig von Entschädigungsansprüchen ist es, im Falle einer Verspätung oder eines Flugausfalls, die Pflicht der Fluggesellschaft Sie, ohne Wenn und Aber, über Ihre Rechte unaufgefordert zu informieren.
In der Praxis geschieht dies fast nie und letztlich kommt es meistens zu keinen Beschwerden, weil jemand, der seine Rechte kennt und diese durchsetzen will, eine Entschädigung erwartet und keine Diskussionen mit der Fluggesellschaft.
Wann ist eine Fluggesellschaft zur Leistung verpflichtet?
Generell, wenn ein Flugausfall oder eine Verspätung durch die Fluggesellschaft und nicht durch höhere Gewalt verursacht wurde. Wetter, Streik – aber auch Flugausfälle durch behördliche Anordnungen (Corona…) sind höhere Gewalt. Maschinendefekte, Probleme beim Beladen, verspätete Startfreigabe, weil der Slot versäumt wurde, sind der Fluggesellschaft anzulasten.
Ein Sonderfall sind umgeleitete Flüge wegen schlechten Wetters. Wird ein Flug zum Beispiel wegen Nebels von Frankfurt nach München umgeleitet, gilt das zwar als außergewöhnlicher Umstand und es steht Ihnen keine Entschädigung für eine Verspätung zu, die Fluglinie hat jedoch die Verpflichtung, Sie so schnell wie möglich kostenlos zu Ihrem Zielort zu befördern.
Entschädigung? Nun kommt der spannende Teil: was habe ich bei Verspätung, Ausfall oder Nichtbeförderung (Überbuchung, Doppelbuchung oder ähnliches) zu erwarten?
Bei verspätetem Abflug ist die Fluglinie verpflichtet, Snacks und Erfrischungen unentgeltlich anzubieten sowie eine Kontaktaufnahme der Kunden (Mail, Telefon) mit der Airline zu ermöglichen. Sonstige Betreuungsleistungen bei verspätetem Abflug, zum Beispiel Verpflegung und/oder Hotelunterbringung sowie ein notwendiger Transfer zwischen Flughafen und Hotel, richten sich nach dem jeweiligen Einzelfall und müssen in angemessenem Verhältnis zur Wartezeit stehen.
Sollte die Fluglinie diese Leistungen nicht von sich aus anbieten, empfiehlt es sich, sämtliche Rechnungen aufzuheben um sie später geltend zu machen.
- Um entschädigungspflichtige Verspätungen handelt es sich bei Flügen bis zu 1.500 km mit zwei Stunden oder mehr, bei Flügen innerhalb der EU ab 1.500 km mit drei Stunden oder mehr, bei Flügen von 1.500 km bis zu 3.500 km (nicht innerhalb der EU) mit drei Stunden oder mehr und bei Flügen über 3.500 km (nicht innerhalb der EU) mit vier Stunden oder mehr.
PCR-Tests: Aktuell ist ein „Klassiker“ die Nichtbeförderung wegen eines fehlenden COVID-Tests. Fluglinien kontrollieren die Tests schon beim Boarding, weil sie dazu verpflichtet sind, Passagiere, die aufgrund fehlender Dokumente nicht einreisen dürfen, auf ihre Kosten zum Abflugort zurückzufliegen. Sollte beispielsweise bei der Einreise in ein Land ein PCR-Test verlangt werden und Sie haben lediglich einen Antigen-Schnelltest, wird die Fluglinie in der Regel die Beförderung verweigern und ist in diesem Fall nicht schadenersatzpflichtig.
Buchungsportale: Sollten Sie über ein Buchungsportal gebucht haben, wird dieses Sie normalerweise – und zu Recht – an die Fluggesellschaft verweisen. Sehr oft versuchen Fluggesellschaften dann das Buchungsportal als Ansprechpartner zu nennen. Lassen Sie sich nicht abwimmeln, verantwortlich ist die Fluggesellschaft!
Ganz aktuell: ein bekanntes Schweizer Luftfahrtunternehmen wollte die berechtigte Kompensationsforderung eines Passagiers mit der Begründung abweisen, dass „das Reisebüro rechtzeitig (mehr als 14 Tage vor Abflug) informiert wurde und daher laut Fluggastverordnung keine Entschädigung zu leisten sei“.
Diese Aussage ist definitiv falsch, in Art. 5 Abs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 261/2004 heißt es:
„(1) Bei Annullierung eines Fluges [wird] den betroffenen Fluggästen…..
c) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,….
i) sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, …
(4) Die Beweislast dafür, ob und wann der Fluggast über die Annullierung des Fluges unterrichtet wurde, trägt das ausführende Luftfahrtunternehmen.“
Egal, wo Sie gebucht haben, die Fluglinie muss dafür Sorge tragen, dass Sie rechtzeitig informiert werden. Wenn die Airline das nicht nachweisen kann, ist sie zahlungspflichtig.
Wenn Sie Anspruch auf Entschädigung haben, sollten Sie diesen bei der Fluglinie schriftlich und mit einer angemessenen Fristsetzung geltend machen. Wenn Sie die Einschaltung eines Anwalts bei Fristüberschreitung ankündigen, sind die Fluggesellschaften für gewöhnlich eher bereit, Sie schnell zu entschädigen.
Immer wieder liest man, dass Fluggesellschaften erst nach Klage bezahlen. Lassen Sie sich davon nicht abhalten Ihre Rechte durchzusetzen. Manchmal bieten Fluglinien auch Gutschriften für Flüge an, die wesentlich höher als eine Auszahlung der Entschädigung sind. Sie sollten dieses Angebot nur annehmen, wenn Sie einerseits diese Gutschriften zeitnah einlösen und mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen können, ohne dass die Fluglinie vorher insolvent wird. So hat zum Beispiel Air Berlin kurz vor der Pleite Ersatzgutschriften in bis zu dreifacher Höhe der Entschädigung angeboten. Diese Gutschriften waren letztendlich wertlos.
Sollten Sie mit Ihrer Forderung nicht weiterkommen, können Sie sich in Deutschland auch an die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e.V. (https://soep-online.de/das-schlichtungsverfahren) wenden.
Bernhard Knötig