Ausgabe Nr.
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J M upload 07.11.2023, | Print article

Illegale Migration erreicht Rekordzahlen, El Hierro schwer unter Druck - Status Quo vom 6. November 2023

Seenotrettungsdienst im Sporthafen
von Las Palmas de Gran Canaria

GENERELLE VORGEHENSWEISE BEI AUFGRIFFEN AUF DEN KANAREN (Viva Canarias Online vom 7.11.2023, um 1.17 h MEZ -1.

Die Rettung bzw. Registrierung von illegalen Migranten auf Flüchtlingsbooten vor der kanarischen Küste erfolgt prinzipiell durch folgende Einrichtungen: dem Seenotrettungsdienst (Salvamento Marítimo), dem Roten Kreuz (Cruz Roja), Teams der Inselregierung sowie Einheiten der Nationalpolizei (Policía Nacional). Der Erstkontakt nach dem Aufgriff und die Registrierung liegt im Verantwortungsbereich der Zentralregierung in Madrid.

Die illegalen Migranten werden in temporären Unterkünften bzw. Zelten untergebracht, bis die Formalitäten geklärt werden konnten. Davon hängt die weitere Vorgehensweise ab. Minderjährige bleiben auf den Kanarischen Inseln (derzeit ca. 4.400), denn für sie besteht besondere Obsorgepflicht. Die Erwachsenen werden in Internierungszentren (Centros de Internamiento de Extranjeros, CIE) untergebracht. 

CIE Zentren

Aktuell existierten landesweit sieben CIE Zentren, wovon sich zwei auf den Kanarischen Inseln befinden:
• Gran Canaria: CIE in einer aufgelassenen Militärkaserne im Barranco Seco in der Ctra. del Centro 5A bei Las Palmas de Gran Canaria. Tel.: (+34) 914 326 291
• Teneriffa: Hoya Fría

Datenquelle: FRONTEX, Aufgriffe an EU-Außengrenzen

Spanien verzeichnete im ersten Halbjahr dieses Jahres sogar Rückgänge bei den illegalen Grenzübertritten, doch seit dem Hochsommer hat sich die Situation gedreht.

Beim Großteil der Flüchtlinge auf der Westafrikaroute, zu der die Kanaren im FRONTEX-Bericht zählen, handelt es sich um illegale Migranten bzw. Migrantinnen aus Marokko, der Goldküste und Senegal, die mit kleinen Holzbooten oder auf Flüchtlingsschiffen aufgegriffen wurden.

José Luis Escrivá, der Minister für Inklusion der Seguridad Social y Migraciones, nannte zwei Hauptgründe für die aktuelle Flüchtlingswelle: Die Menschen flüchten hauptsächlich aus Senegal aufgrund der instabileren politischen Situation. Darüber hinaus hat sich durch die untypisch wärmere Temperatur im vergangenen Monat die ‚Flüchtlingssaison’ verlängert.

Illegale Migranten, Aufgriffe auf den Kanaren

Die Zahl der illegalen Migrationen im Vergleichszeitraum des Vorjahrs hat sich zum Stichtag 31. Oktober 2023 mehr als verdoppelt. Siehe auch Entwicklung der letzten Jahre:

  2.168 im Jahr 2019
23.271 im Jahr 2020 (+890 %)
22.316 im Jahr 2021 (-4,1 %)
15.682 im Jahr 2022 (-29,7 %)
30.705 im Jahr 2023** (Achtung: Nur bis zum Stichtag 31.10.2023)**

** Zu diesen 30.705 kamen in der ersten Woche (!) im November weitere 14.976 illegale Migranten dazu, größtenteils aus der Subsahara. Diese sind in der hier aufgelisteten Tabelle noch gar nicht berücksichtigt. Demnach sind es mit heutigem Tag schon über 45.000 und damit mehr als im Rekordjahr 2006, als die Kanaren von der bisher schwersten Flüchtlingswelle betroffen waren.

SITUATION EL HIERRO

Die Ankunft der Flüchtlingsboote variiert auf den einzelnen Inseln. Aktuell ist die Situation auf El Hierro dramatisch, da dieses westlichste Eiland des Archipels nur 11.154 Einwohner zählt und mit der Vielzahl der Ankünfte extrem gefordert ist, was Registrierung, Unterbringung, ärztliche Versorgung und Verpflegung betrifft.

Updates vom spanischen Staatsfernsehen RTVE vom 4.11.2023 um 19.24 h (MEZ -1 h):
- mindestens 9.000 Migranten aus der Subsahara kamen in den letzten Wochen auf El Hierro an, also fast so viele wie die Insel Einwohner zählt (EW: 11.154 zum 1.1.2022).
•  739 Migranten sind beispielsweise am 4.11.2023 auf La Restringa im Inselsüden angekommen.

Davon wurden allerdings 390 mit einem gecharterten Sondertransport bereits nach Teneriffa überführt.

Die restlichen wurden von La Restinga in eines der eingerichteten temporären Flüchtlingszentren auf El Hierro (Centros de Atención Temporal) untergebracht:

•  altes Sportzentrum San Andrés in der Gemeinde Valverde
•  altes Kloster von La Frontera, wo sie unter Polizeiaufsicht bis zum Weitertransport stehen. 

•  Mindestens 13 Personen mussten aufgrund ihres Gesundheitszustands ins Krankenhaus gebracht werden und befinden sich im Hospital Insular Nuestra Señora de los Reyes. Zudem sind vier Tote zu beklagen, die die gefährliche Überfahrt nicht überlebt haben.

PROBLEM: MINDERJÄHRIGE

Die Altersfeststellung stellt ein Problem dar, denn Minderjährige fallen in den Kompetenzbereich der Autonomieregion der Kanarischen Inseln. Allerdings sollen sich unter den derzeit 4.400 registrierten unbegleiteten Minderjährigen etwa um die Hälfte  Erwachsene befinden. Dies hat die kanarische Regionalregierung am 3. November 2023 bei der Zentralregierung bemängelt und fordert mehr wöchentliche forensische Tests zur Altersbestimmung (z. B. Knochenmessungen). 

Auf Teneriffa wurden jetzt mobile Einsatzteams eingeführt, die in der Lage sind die Tests „pruebas óseas“ unmittelbar nach dem Aufgriff zur Bestimmung des biologischen Alters durchzuführen.

Amnesty International hat jedoch bemängelt, dass es auch umgekehrte Fälle gibt, indem Minderjährige in Unterkünften von Erwachsenen untergebracht wurden.

ZENTRALE KOORDINATION GEFORDERT

• Die Regionalregierung fordert aufgrund der dramatischen Entwicklungen in den letzten beiden Monaten die Einrichtung einer zentralen Koordinationsstelle nach dem Modell von Lampedusa und hat dieses Anliegen bereits Ende September bei der Zentralregierung sowie der EU vorgebracht.

• Darüber hinaus laufen Gespräche mit Marokko über mögliche Rückführungen von illegalen Migranten.

KOMMENTAR GLOBAL HEALTH ZUR RECHTLICHEN SITUATION

Lucila Rodríguez-Alarón, Direktorin der Institution Global Health, warf im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Flüchtlingswelle einige Fakten auf. Darin bemängelt sie den großen Irrtum, dem einige unterliegen indem sie meinen, Flüchtlingsströme können vermieden oder unterbunden werden. Das ist und wird nie möglich sein, so Rodríguez-Alarón in einem Podcast vom 2. November 2023. Die meisten in Spanien lebenden illegalen MigrantInnen sind mit einem temporär ausgestellten Visum via Flugzeug eingereist und dabei handelt es sich hauptsächlich um Frauen aus lateinamerikanischen Ländern.

Grundsätzlich haben Migranten, aus welchem Fluchtgrund immer, das Recht sich zu jeder Zeit auf dem ganzen Staatsgebiet frei zu bewegen bzw. in einigen Fällen auch in ganz Europa. Legal kann demnach kein illegaler Migrant auf den Kanarischen Inseln gezwungen werden, sich auf die Iberische Halbinsel überführen zu lassen.

Die Unterbringung in einem Erstaufnahmezentrum gilt für einen bestimmten Zeitraum und hat mehrere Ziele, wie z. B. die körperliche Erholung der Migranten von den Strapazen oder die formale Antragstellung eines Asylantrags, wie es im Falle einer illegalen Migration normalerweise der Fall ist. Die Bewältigung von Flüchtlingsströmen ist demnach in erster Linie eine administrative Aufgabe eines Staates und kein strafrechtliches Delikt.

Die gegenwärtige Situation wird für politische Zwecke von einigen Parteien ausgenutzt. Natürlich kann eine überproportional große Flüchtlingswelle von einer einzigen Destination nicht alleine gestemmt werden, wie es beispielsweise derzeit auf El Hierro der Fall ist. Werden die Menschen jedoch in kleinere Gruppen aufgeteilt und auf alle verfügbaren Zentren des Landes, je nach deren Kapazität, aufgeteilt, dann ist es möglich, die Herausforderung zu stemmen. Auf diese Weise hat Spanien sich um die 180.000 Flüchtlinge aus der Ukraine gekümmert. 

CONTRA: Auf den Kanaren mehren sich die Stimmen gegen die unkontrollierte Aufnahme der Flüchtlinge, die auf dem Meer aufgegriffenen werden bzw. an den Häfen anlanden. Sie wünschen sich eine sofortige Rückführung in die Herkunftsländer. 

Das ist allerdings ohne eindeutige Feststellung des Status, ob es sich um einen tatsächlichen Fluchtgrund oder eine illegale Migration handelt, nicht möglich.

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Quellen und Verweise

1)Die Daten der illegalen Migrationen stammen vom Innenministerium Spaniens (Ministerio del Interior, Inmigración irregular) und werden 14-tägig publiziert.  https://www.interior.gob.es/opencms/es/prensa/balances-e-informes/

2)FRONTEX Monatliche Berichte;

3)Spanische Seenotrettung. https://viva-canarias.es/blog/spanische-seenotrettung-was-sie-tun-wo-sie-stehen-und-wie-sie-auf-den-kanaren-wirken/

4) Jahresabschlussbericht Migrationszahlen 2022 vs. 2021. https://viva-canarias.es/blog/illegale-migration-jahresabschluss-2022-spanien-kanaren/

5)Spanischer Seenotrettungsdienst CCS (Centro de Coordinación de Salvamento) hat seit 1993 eine Niederlassung auf Las Palmas de Gran Canaria; https://viva-canarias.es/blog/spanische-seenotrettung-was-sie-tun-wo-sie-stehen-und-wie-sie-auf-den-kanaren-wirken/

6)Asylzentren. https://viva-canarias.es/blog/fluechtlingssituation-in-spanien/

7)CIE Centro de Internamiento de Extranjeros; Anm.: Diese stehen landesweit immer wieder in der Kritik, da ‚Migration kein Delikt sei und  daher die Internierung von Personen nicht rechtens ist und das Menschenrecht auf freie Bewegungsfreiheit beschneide.

8)Gobierno de Canarias vom 3.11.2023 hinsichtlich der Situation der Minderjährigen

9)Kanarisches Statistikamt http://www.gobiernodecanarias.org/istac/

10)https://transparencia.gob.es/transparencia/gl/transparencia_Home/index/MasInformacion/Informes-de-interes/Seguridad/InmigracionIrregular.html