Ende Januar 2016 eröffnete in der Bucht von Bahía de Las Colorados an der Playa Blanca vor Lanzarote Europas erstes Unterwassermuseum Museo Atlántico.1) Auf einer Fläche von 2.500 Quadratmetern in einer Tiefe von 14 Metern wurden zehn prägnante und aufsehenerregende Skulpturengruppen mit über 200 Einzelfiguren des weltberühmten britischen Künstlers Jason de Caires Taylor installiert, dessen weltweit erster Unterwasserpark in Grenada im Jahr 2006 von National Geographic in die Top 25 Liste der Weltwunder aufgenommen wurde (siehe Fotos aus der Sonderausstellung in Istanbul, feat. National Geographic).
Das internationale Medienecho war dementsprechend groß. Der Werbewert allein durch die Eröffnung wurde von der kanarischen Tourismus Vermarktungsagentur auf knapp 70 Mio. Euro beziffert.2)
Die Kanaren öffneten mit diesem genialen Clou die Pforte für eine neue Tourismusnische und Taylor gelang es die kanarische Seele in sein künstlerisches Schaffen einfließen zu lassen. Demnach sind die Motive der Menschen und Pflanzen im „Museo Atlántico“ von Lanzarote inspiriert worden.
Umwelt, Kunst und Aktivismus
Der Brite ist ein Künstler, der mit seiner Kreativität und Kunstfertigkeit gleichermaßen beeindruckt. Die Erkundung der Ozeane faszinierte ihn bereits als Achtjährigen. Die Unterwasserwelt, wie er es formulierte, ist ein Ort der unendlichen Vielfalt, der physisch und mental eine Fluchtmöglichkeit bietet. In den letzten Dekaden sind allerdings über 40 Prozent der weltweiten natürlichen Korallenriffe verschwunden.
Ozeane sind ein Ort der unendlichen Vielfalt
Die Biodiversität zu schützen und zu erhalten ist Taylor daher ein großes Anliegen und das macht der leidenschaftliche Taucher auf einzigartige Weise. Schon während seinem Studium an der Universität in London suchte der Künstler eine Möglichkeit Kunst unter Wasser zu realisieren. Vielleicht wäre ein größerer Fokus auf Zusammenarbeit anstelle Abschottung in Kunstuniversitäten von Vorteil gewesen, reüssiert Taylor auf seine Studienzeit.
Das Los eines Künstlers ereilte auch ihn während den Anfängen und so musste er sich jahrelang mit allerlei Nebenjobs über Wasser halten, was peu à peu seinen Frust steigerte. Eines Tages warf er alles ‚über Bord‘ und fokussierte seine ganze Energie und Aufmerksamkeit in seinen Herzenswunsch. Doch es war nicht nur sein Talent und sein Intellekt, der die idealen Voraussetzungen für den Erfolg seiner Kunstkonzepte boten, sondern teilweise auch diese frustrierenden ‚Nebentätigkeiten‘, wie beispielsweise Backstage Installationen in Theatern oder seine Tätigkeit als Tauchlehrer oder in der Logistik. Letztendlich konnte er all seine ‚unerwünschten‘ Skills optimal nutzen.
Heute ist er ein international anerkannter und renommierter Unterwasser-Art-Künstler.
Reale Kunst mit realen Themen und ...
De Caires beginnt seine Projekte normalerweise mit einem Casting von Personen aus der Region, wo die Unterwasserinstallation realisiert wird, um dadurch ein lokales Kolorit einzuflechten. Dabei macht er eine Art Negativschablone der Modelle und füllt diese anschließend mit ph-neutralem Marinezement. Korallen lieben die poröse Oberflächenstruktur und nach kurzer Zeit beginnen sie sich an den Skulpturen festzusetzen. Der logistische Aufwand der bis zu 10 Tonnen schweren Figuren ist enorm und erfordert Know-How und Geduld. Es bleibt wenig Spielraum für Fehler und daher bereitet sich de Caires gründlich mit einem eingehenden Studium des Meeresbodens, der Strömungen, der Sicht, der Atmosphäre sowie allfälliger existierender Kolonisierung vor. Danach erstellt er das Konzept und platziert jede individuelle Skulptur, die sich im Gesamtkonzept ideal einfügt. Ein Gesamtkunstwerk, das die Natur einlädt es zu vereinnahmen.
... realen Problemen
Die Installationen fordert nicht nur künstlerisches und kreatives Talent, sondern auch administratives Know-How und viel Geduld. Ozeane sind ein volatiles Umfeld und zugleich können Strömungen gewaltige Kräfte freisetzen. Die Wahl des Standorts ist folglich kritisch und dieser liegt idealerweise in einer bereits natürlich geschützten Bucht. Zudem befinden sich die Zonen innerhalb des Staatsgebiets und es dauert mitunter Jahre, bis alle Lizenzen, Umweltverträglichkeitsprüfungen, Analysen und Unterwasserkarten erstellt bzw. erteilt werden.
(Lebensretter)Kunst
De Caires hat 25 Jahre Taucherfahrung und wird von der Natur immer wieder überrascht. Wie diese auf die Skulpturen in Folge einwirken bzw. wie sich die Fauna und Flora dadurch entwickeln und ausbreiten wird kann selbst er schwer vorherzusehen. Trotzdem ist es immer wieder faszinierend zu beobachten, wie Feuerwürmer, Korallen, Krebstiere, Korallenbandgarnelen, Algen, Seesterne, Seeigel & Co. sich ihr Lebensraum wieder erobern.
Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Schlagwort für Taylor, der die Bedeutung und den immensen Einfluss digitaler Medien begriffen hat. Er erreichte mit seinem künstlerischen Wirken bis zu einer Milliarde Menschen und legt daher heute seinen Fokus auch darauf. Er investiert in etwa gleich viel Zeit für die Dokumentation (‚Making of‘), wie für die Realisation.
Mit Hirn und Herz
1968 wurde in der Galerie Virginia Dawn in New York die Exposition „Earh Works“ gezeigt, die man auch als Pionier für Kunst als Aktivismus bezeichnen könnte indem diese Umweltthemen adressierte. Taylors’ künstlerisches Wirken wurde davon inspiriert, allerdings entführt er die Betrachter unter Wasser mit seinen außergewöhnlichen Installationen.
Taylor adressiert die Themen unserer Zeit, wie Verschwendung und Knappheit natürlicher Ressourcen, Migration, soziale Gerechtigkeit, Verrohung der Gesellschaft, Umwelt etc. Das macht ihn jedoch nicht mit erhobenem Zeigefinger sondern subtil und auf hoffnungsspendende Weise. Seine Skulpturen, die stummen Wächter in den Ozeanen, sind die Gegenwart und Zukunft zugleich. Sie sind ein beliebtes Ausflugsziel für „Tauchtouristen“ und begehrte Fotomotive, die viele Likes und Follower garantieren. Gleichzeitig stehen sie für die Zukunft als neuer Lebensraum der Unterwasserfauna und -flora und sichern den Erhalt der Biodiversität.
Wenn Taylor die Menschen erreichen kann, um ihren Horizont mit aktuellen Themen zu erweitern und dadurch die Welt dadurch ein wenig besser wird, dann hat Taylor sein Lebensziel erreicht.3) Mit seiner unerschöpflichen Kreativität stehen dafür die Chancen dafür gut - wie ich meine. Julija Major