In unserer letzten Ausgabe Viva Canarias Nr. 164 vom 1.6.2020 haben wir gemeinsam mit Renate Arnsteiner von Canarinvest Properties einen Sonderbericht über den spanischen bzw. kanarischen Immobilienmarkt publiziert. Nun, nachdem der Alarmzustand zu Ende ist, der Archipel die Deeskalationsstufen bereits hinter sich gelassen hat und die Landesgrenzen wieder geöffnet sind, ist es eine gute Gelegenheit, die Situation aufgrund der Ereignisse wieder zu betrachten.
Vorweg, die o. a. Zahlen und Schlüsselerkenntnisse sind größtenteils gleich geblieben und aktuellere Daten zum 2. Quartal liegen naturgemäß noch nicht vor. Trotzdem können einige neue Erkenntnisse festgestellt werden.
Der Optimismus des Immobilienbarometers ist seit 14. Mai 2020 auf einer 10-stufigen Skala von 6,73 zum 11. Juni 2020 auf 7,14 gestiegen. Dieser repräsentiert die Meinung aufgrund der Marktbeobachtung und des Feedbacks von Immobilienmaklern in ganz Spanien.
Ansturm auf Objektbesichtigungen
Mit der Aktivierung des Immobiliengeschäfts ist von potenziellen Käufern ein Ansturm auf Besichtigungen festgestellt worden, sowohl für Miet- als auch für Kaufobjekte, wobei die Immobilienmakler die vom Gesundheitsministerium festgelegten Sicherheitsvoschriften eingehalten haben. Das Volumen erreichte knapp 90 % der Anzahl vor Ausrufung des nationalen Alarmzustands (gemäß Daten von Servihabitat vom 11. Juni 2020). Dies ist ein Indikator dafür, dass sich der Immobiliensektor weit schneller erholen wird als ursprünglich angenommen. Die Nachfragen kamen vor allem von Einheimischen und langjährigen Residenten, die aufgrund der Ausrufung des Alarmzustands zwischenzeitlich nicht in ihre Heimatländer zurückreisen konnten oder wollten. In diesem Kontext ist ein Anstieg von 63 % der sog. „Leads“ bei Wohnungen von „Kleininvestoren“ festzustellen, die, aufgrund der aktuellen Situation die Investition in den Wohnungsmarkt als sicherer und weniger den Preisschwankungen unterliegend bewerten, als in andere Investmentbereiche. Diese Argumente, gepaart mit dem gestiegenen Volumen der Besichtigungen stimmen die Experten positiv, dass der Immobiliensektor, der sich bereits jetzt auf ca. 80 % des Vor-Covid-19 Volumens befindet, in nächster Zeit vollständig erholen wird. Auf jeden Fall werden zukünftig E-commerce und Telearbeit in diesem Sektor eine bedeutendere Rolle spielen.
Unverschämte Kaufangebote für Immobilien
Gleichzeitig wurde ein weiterer Trend beobachtet, nämlich, dass finanzkräftige Käufer teilweise unverschämte Kaufangebote abgeben, die weit unter dem Marktwert liegen. Die Verkäufer der Immobilien haben, sofern sie sich nicht in einer außergewöhnlich misslichen Situation befanden, allesamt diese Kaufangebote abgelehnt und maximal Einbußen von 10 bis 12 Prozent in Kauf genommen.
Ausländer in Vormerklisten: Eine große Anzahl hat in den nächsten Wochen/Monaten Besichtigungstermine fixiert, um ihre Haupt- bzw. Zweitwohnsitze auf den Kanarischen Inseln neu auszurichten. Manche wollen überhaupt ihren Wohnsitz verlegen. Eine Motivation könnte sein, dass man „auf Nummer sicher geht“ in Abhängigkeit der Entwicklungen von Covid-19 oder der prognostizierten zweiten Welle, um dann ggfs. Ausweichmöglichkeiten zu haben. Das Gesundheitssystem, die niedrigen Fallzahlen und die Kontrollmöglichkeit, die Ausbreitung in kurzer Zeit unter Kontrolle zu bringen, da die Inseln nur mit Flugzeug oder Schiff erreicht werden können sind u. a. Argumente für den Archipel.
Obwohl diese erwähnten Faktoren durchaus positiv stimmen, sind vergleichsweise wenig Abschlüsse erfolgt. Das ist u. a. aufgrund der noch immer überhöhten Mietpreise für Langzeiturlauber geschuldet. Es scheint sich eine wachsende Anfrage für Villlen/Häuser als „Viviendas vacacionales“ als Alternative zu Hotels oder Appartementanlagen für die touristische Vermietung abzuzeichnen. Besonders interessant sind Objekte des „Turismo rural“ (Landhaustourismus), also im Landesinneren und nicht in Touristenhochburgen.
Hingegen werden jetzt viele Appartementanlagen bzw. Objekte, die vor Covid-19 privat an Touristen vermietet wurden, zur Langzeitvermietung angeboten. Die renommierte spanische Tageszeitung El Pais bezifferte das aktuelle Volumen sogar auf 200.000 Immobilien. Viele davon wurden in den einschlägigen Immobilienportalen nun zur Miete angeboten. Nachdem die Reisefreiheit durch die Pandemie unterbunden war, haben viele Kauf-/Mietinteressierte ihre Wunschimmobilie vorweg online reserviert. Damit einhergehend hat sich, in Ermangelung an persönlicher Besuchsmöglichkeiten, die Nachfrage für virtuelle Besichtigungstouren stark erhöht und wird wahrscheinlich auch in der Post-Covid-19 Phase ein wichtiges Instrument bleiben. Viele Menschen haben sich (zwangsläufig) in der Krise mit dem Online-Medium näher angefreundet (Online-Käufe, Hauszustellung etc. und Immobilienbesichtigungen).
Immobilienmakler und -agenturen, die in den letzten Jahren bzw. Monaten nicht mit der Digitalisierung Schritt gehalten haben und nur auf die klassischen „Face-to-Face“-Beratung gesetzt haben, unterliegen jetzt viel größeren Problemen als die „Newcomer“. Auch das Online-Portal „Yaencontre“ berichtet, dass vor dem gegenwärtig leicht rückläufigen Immobilienmarkt bzw. der Preise in Spanien, auch die generellen Preise für Wohnungen keine Rückläufe verzeichnen.
Auch International haben sich einige Investoren vielleicht zu früh gefreut, in dem sie ihr Kapital für „höchst interessante und in Not geratene Immobilien (privat und gewerblich)“ reserviert haben, um zur passenden Gelegenheit zu Schnäppchenpreisen zuzuschlagen.
Zwei wesentliche Faktoren beeinflussen diese Investments.
1. Der Immobilienmarkt erholt sich aktuell schneller als erwartet, da viele Menschen nach den Quarantänezeiten bzw. der Einschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit dem eigenen Zuhause einen weit höheren Stellenwert einräumen und sich (für alle Fälle) zukünftig mit genügend Raum im gemütlichen Zuhause mit seiner Familie eine „Burg“ und „Wohlfühloase“ anschaffen wollen – Stichwort: „Homing“.
2. Die meisten spanischen Eigentümer akzeptieren keine signifikanten „Rebajas“ (Ausverkauf) ihrer Wohnungen und sind bereit entsprechende Wartezeiten in Kauf zu nehmen.
Die Zukunft des Immobilienmarkts: Definitive oder zuverlässige Aussagen können aufgrund der sich durch Covid-19 noch immer dynamischen Situation nicht gefällt werden.
Fake News vs. renommierte Berichterstattung: Auch im Immobilienmarkt verunsichern bzw. leiten unqualifizierte Meldungen in die Irre. Renommierte Medien (Print und Online) stellen nach wie vor die zuverlässigsten Quellen dar, um sich ein reales Bild über die Immobiliensituation machen zu können.
Renate Arnsteiner/Julija Major