Ganz schön schmutzig geht es normalerweise in der letzten Septemberwoche beim Volksfest „Traída del Gofio y Agua“ im ansonsten penibel sauberen Hauptstädtchen Agüimes zu.
Eine feucht-fröhliche Karawane gut gelaunter Dorfbewohner zieht von den Mühlen der Lolita y Ananías bis zur Plaza del Rosario im historischen Ortskern. Feucht bezieht sich auch auf das Spektakel, bei dem sich die Teilnehmer gegenseitig mit Mehl bewerfen und später auch mit Wasser bespritzen – ähnlich dem Holi-Fest in Indien – nur statt Farben nehmen sie Gofio. Von diesem Fest bleiben die BewohnerInnen des pittoresken Agüimes in diesem Jahr ‚verschont‘, Dafür bietet die hübsche Altstadt mit den engen Gässchen ein ideales Ausflugsziel für MüßiggängerInnen. Ähnlich einer Zeitreise kann hier, vorbei an bunten, restaurierten Fassaden das authentische kanarische Flair genossen werden. Damit schlagen wir die Brücke zum traditionellsten kanarischen Grundnahrungsmittel, an dem kein echter ‚Canario’ vorbeikommt: das Gofio.
Kein ‚Canario‘ ohne sein Gofio
Hierbei handelt es sich um Mehl, das vor dem Mahlvorgang geröstet wurde. Wichtig ist dabei, dass eine Temperatur von 200 °C nicht überschritten wird. Durch den Röstvorgang erhält es ein spezifisches Aroma und die Röstmeister erschließen diese, um neue Geschmacksintensitäten zu kreieren, ähnlich wie in Kaffeeröstereien.
Bevor die heutigen Mühlen zum Einsatz kamen, wurde das Mehl mittels sogenannter Handmühlen produziert, eine aufwändige und schweißtreibende Arbeit, bei der runde Steine um die eigene Achse gedreht wurden (siehe Foto o. re.).
Auch die indigene Bevölkerung schätzte Gofio als energiereiches, gesundes Lebensmittel, das zudem einfach zu lagern ist. Das war besonders bei Dürrekatastrophen für die Ernährung der Bevölkerung enorm wichtig. Sie verwendeten auch den Begriff „ahorén“, der jedoch nicht mehr üblich ist.
Verwendet wurde ursprünglich Gerste (Gofio de Cebada). Mit der Eroberung der Kanaren kamen weitere Elemente und Variationen zum Tragen und so entstand auch Gofio de Trigo (aus Weizen), Gofio de Millo (aus Mais) bzw. auch Mischungen, wie heutzutage oft üblich.
Ein wesentlicher Unterschied zum klassischen Mehl ist, dass Gofio mit Zusatz von kaltem Wasser oder Milch gleich pur verzehrt werden kann, da es durch den Röstvorgang schon vorgegart ist.
Angeblich soll Gofio sehr gesund sein, so eine Studie der Universität Las Palmas de Gran Canaria.
Revival als Trendfood?
Jährlich werden auf den Kanarischen Inseln ca. 6.300 Tonnen produziert1), das meiste davon aus Gran Canaria und Teneriffa, wobei Mais-Gofio an der Spitze liegt und mit einer Menge von über 3.000 Tonnen jährlich mehr als die Hälfte des kompletten Gofio-Sektors ausmacht. Danach folgen Weizen und Weizenmischungen.1)
Auf den Inseln werden 19 % direkt an Endkonsumenten verkauft und 24 % gehen an Lebensmittelgeschäfte. Der Restwird an weiterverarbeitende Betriebe geliefert, wie z. B. an Käsereien.
Fast drei Viertel der Produktionsmenge wird auf den Inseln konsumiert und der Rest gut ein Viertel wird zum spanischen Festland, nach Frankreich und Argentinien exportiert.
In Zeiten der globalen Erwärmung und des Kampfes gegen den Klimawandel liegt fleischloses Essen im Trend und Gofio ist eine willkommene Alternative.
Heutzutage gibt es unzählige Gerichte, bei denen dieses kanarische Mehl eine kulinarische Hauptrolle spielt, wie z. B. in Brot, Pfannkuchen, Kuchen, Keksen, im beliebten Dessert Mousse de Gofio, als Beilage zu Gerichten, als Einlage in Suppen oder als Vorspeise. Das sogenannte „pella de gofio“ ist eines der traditionellsten kanarischen Speisen, die als eine Art homogene Masse (siehe Foto o.) gerne als Beilage zu mojo rojo, mojo verde oder zum Fischgericht „sancocho canario“ kredenzt wird.
Zwar hat jeder Haushalt seine individuelle Variation, doch besteht das Grundrezept aus Gofio, Wasser, Zucker, Salz und Olivenöl. Diesem Basisrezept können Zutaten, wie z. B. Zwiebeln, Paprika oder geriebener Hartkäse, nach eigenem Gusto beigefügt oder als süße Variante mit Honig, Zucker, Mandeln oder Trockenfrüchten verfeinert werden. Und Banane, sehr lecker!
Die besten der Besten
Das Institut für die Qualität kanarischer Agrarerzeugnisse ICCA (Instituto Canario de Calidad Agroalimentaria) hat im Rahmen eines Wettbewerbs aus 17 Einreichungen die besten Gofiosorten in diversen Klassifizierungen prämiert und am 16. Juli 2021 präsentiert (siehe Tabelle unten).
... und die Größten
Das kanarische Nationalgericht darf am regionalen Feiertag (Día de Canarias) nicht fehlen, tut es auch nicht. Die Hauptstadt Las Palmas de Gran Canaria wartet im Rahmen der großen Romería an diesem Tag mit einem überdimensionalen Gofio-Studel auf, der auf Höhe La Puntilla für die UmzugsteilnehmerInnen und Gäste zur Verfügung steht. Vielleicht wieder 2022?
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