Egal, ob Sie unter Inselkoller leiden oder einfach zu den Entdeckern zählen, die das Leben als ein Abenteuer betrachten und sich keine Gelegenheit entgehen lassen, um neue Orte zu entdecken. Meiner (unwissenschaftlich betrachteten) Meinung nach sind Erinnerungen ein Jungbrunnen, die uns geistig fit halten und auch unserem Gemüt gut tun. Ein Juwel des kanarischen Archipels ist die kleine Insel La Gomera knapp vierzig Kilometer westlich von Teneriffa. Dank der fantastischen Flugverbindungen, die zudem überaus günstig sind, können sie schnell mal auf dieses entzückende ‚Eiland hüpfen‘ und ihre Sammlung an Reiseerfahrungen mit einem geheimen Schatz erweitern.
Für Residenten ist die Erkundigung, aufgrund der von der Regierung gewährten Flugrabatte, noch günstiger. Bei meinem Trip im vorigen Herbst zahlte ich von Gran Canaria via Teneriffa nach La Gomera 60 Euro inklusive aller Taxen für den Hin- und Rückflug. Dank des Internets sind passende Unterkünfte bequem zu finden und TripAdvisor hilft Ihnen dabei in keine Fallen zu tappen. Die Lage an einer viel befahrenen Hauptstraße oder vor einer Schule senkt den Erholungswert erheblich. Man erwartet sich ja nicht unbedingt goldene Wasserhähne, aber Sauberkeit und Handtücher sind wohl ein Mindestmaß an Ausstattung.
Ab durch die Mitte
La Gomera ist die zweitkleinste Insel und hat lediglich um die 21.000 Einwohner (Stand: Januar 2017). Klarerweise ist auch diese Insel als Folge vulkanischer Aktivitäten entstanden und zwar vor 11 Millionen Jahren. Der letzte Ausbruch fand vor etwa 2 Millionen Jahren statt. Die geologischen Formationen und die Materialien, wie z. B. poröse Lava, gelber und rote Asche- bzw. Lapilli-Tuff sowie schräge Basaltplatten veranschaulichen den Ursprung, wie jene an der Küste von „Los Organos“ (dt. Die Orgelpfeifen). Sie heißen wegen ihrer Form so. Die langen sechseckigen Säulen, die durch Risse des abkühlenden Magmas entstanden sind, bieten einen äußerst faszinierenden Anblick und sind zu einem Touristenmagnet gewoden. Wie ein gotisches Kunstwerk imponieren diese Gesteinsformationen, die als Naturdenkmal nur vom Wasser aus bewundert werden können. Fährdienst von Valle Gran Rey aus.
Die runde Form der Insel mit der höchsten Erhebung in der Mitte erinnert an einen Kegel. Aufgrund der steilen Küsten und teuflisch tiefen Schluchten, die im Laufe der Jahrhunderte durch reißende Flüsse in den Fels gegraben wurden, führen die Straßen in die Inselmitte und von dort verzweigen sie sich sternförmig in die Küstengebiete der verschiedenen Himmelsrichtungen. Eine Umfahrung der Insel als eine Rundtour ist daher nicht möglich. Ungeachtet dessen sind die Straßen durchweg gut ausgebaut. Sie sollten für die Erkundung von La Gomera 2 bis 3 Tage Zeit einplanen.
Im Vergleich zu Fuerteventura oder Gran Canaria sieht die Strandbilanz von La Gomera eher bescheiden aus. Dafür sind die wenigen Badebuchten oft menschenleer und mit den tiefschwarzen Kieseln oder Steinen, sowie den Steilküsten im Rücken oder an den Flanken, bieten sie ein außergewöhnliches Badevergnügen. Zudem heizt sich die dunkle Farbe im Winter wunderbar auf. Individualisten werden begeistert sein.
Märchenwälder und Wanderparadies
Wenn Sie zu den Wanderfreunden zählen, dann kommen sie mit 650 Kilometer gut ausgeschildertem Wegnetz voll auf Ihre Kosten. Wanderkarten erhalten Sie in einem der drei Touristeninformationsbüros.1) Aufgrund der so gut erhaltenen Ökosysteme wurde La Gomera von der UNESCO schon im Jahr 2011 als Biosphärenreservat eingestuft. In Küstennähe finden wir Strandflieder, Wolfsmilchgewächse, Feigenkakteen und Agaven, also Pflanzen, die auf die salzhaltigen Brisen des Meeres angewiesen sind. Im regenarmen Süden dominieren Wacholder und Dickblattgewächse. Die endemische kanarische Dattelpalme (phoenix canariensis) verteilt sich querbeet in den unteren Höhenlagen. Die Inselmitte ist zugleich der höchste Punkt auf La Gomera und dort logiert ein märchenhafter, unbeschreiblich schöner und dichter Wald, der eine herrliche Kulisse für einen Hollywood Blockbuster darstellen könnte. Dieser befindet sich im Nationalpark Garajonay, der zehn Prozent der Inselfläche einnimmt und auf jeden Fall einen eigenen Bericht verdient (siehe nächste Ausgabe, Foto 01).
Nerven gefragt - Mirador Los Abrantes
Wenn ein so ein kleines Inselchen dreißig Aussichtspunkte hat, dann hat das einen Grund. Die tiefen Schluchten, das schwarze Vulkangestein, die bizarren Felsformationen und die pittoresken Dörfer sorgen für eine außergewöhnlich schöne Landschaft, die von den sogenannten „Miradores“ aus jede Menge magische Ausblicke bieten. Der wohl spektakulärste Aussichtspunkt ist „El Mirador de Abrante“ bei Agulo an der Nordküste. Für einen Extrakick sorgt das Glasplateau, das einige Meter über den Hang hinaus gebaut wurde. Normalerweise wäre jeder meiner Schritte zu einer Zitterpartie verkommen, doch dankenswerter Weise war es am Tag meines Besuchs dieser Aussichtsplattform ein wenig bewölkt und das Glas durch die vielen wagemutigen Besucher zum Glück nicht lupenrein sauber. Die Plattform befindet sich in einer Höhe von 620 Metern und gibt den Blick frei auf die darunterliegende Bucht und am Horizont sieht man an Tagen bei klarem Wetter den Teide von Teneriffa, den höchsten Berg Spaniens.
Architekt José Luis Bermejo realisierte diesen Mirador, der inzwischen zu einer Top-Tourismusattraktion von La Gomera geworden ist. Angeschlossen ist ein tolles Restaurant2) mit einer großen Auswahl an Speisen, Weinen und Demonstrationen der Pfeifsprache El Silbo.
D'rauf gepfiffen - Revival der Pfeifsprache
Was das Jodeln in Tirol, ist El Silbo auf La Gomera, und noch ein bisschen mehr. Aufgrund des unwegsamen Geländes der mitunter sehr steilen und tiefen Schluchten erfanden die Altkanarier eine weltweit einzigartige Sprache: El Silbo. Sie verständigten sich mittels Pfeifen. Dabei werden die Finger im Mund platziert und je nach Position kommen verschiedene Tonhöhen und -lagen heraus, die über weite Distanzen gehört werden können. Im offiziellen Alphabet dieser Pfeifsprache gibt es vier Konsonanten und zwei Vokale. Diese, für Eindringlinge unbekannte Kommunikationsform, erwies sich in der Geschichte immer wieder als sehr nützlich, denn die Urbevölkerung verständigte sich so und konnte sich häufig vor Überfällen retten. Bis zu zehn Kilometer breiteten sich die Schallwellen von El Silbo aus und überwanden jeden noch so tiefen Barranco. Sogar während des Spanischen Bürgerkriegs setzten die Einheimischen El Silbo zur Nachrichtenübermittlung ein. Im Jahr 1999 wurde dieses Kulturgut wieder an öffentlichen Schulen als Pflichtfach aufgenommen und zehn Jahre danach von der UNESCO zum immateriellen Weltkulturgut erklärt.
In einigen touristischen Zentren und bei Volksfesten oder beispielsweise auch im Restaurant der Aussichtsplattform Mirador de Abrante (um die Mittagszeit) können sie El Silbo hören.
Folkloretanz: Baile del Tambor & Chácaras
Während die Timple3), ein gitarrenähnliches Instrument in kleinerer Ausführung, alle kanarischen Inseln erobert hat, gibt es auf La Gomera die Trommel „Tambor Gomero“ (Foto 05). Diese wird aus Holz hergestellt und mit dem Leder von Zicklein bespannt. An einer Seite ist ein Seil oder ein feiner Kupferdraht, der vom Spieler zum Stimmen verwendet wird. In Kombination mit den „Chácaras“ (wie klassische Kastagnetten, nur etwas größer, Foto 05) hat sich auf La Gomera zudem in den 1950er Jahren eine besondere Folklore herausgebildet. Diese uralten Tänze zu Liedern mit epischen Texten, die in Gedichtform vorgetragen werden, handeln zumeist von der Liebe. Die Tänzer formieren sich in Reihen, wie einst an den Höfen, nur viel dynamischer. Ein Paar tritt aus der Formation und tanzt (die Männer mit den erwähnten Kastagnetten) und sukzessive gesellt sich nach jeder Strophe ein weiteres Pärchen dazu bis am Ende alle den „Baile del Tambor y Chácaras“ tanzen.
Liebe geht durch den Magen
Landwirtschaftlich versorgt sich die Insel mit ihren Produkten, die sie aufgrund der Gegebenheiten größtenteils im Terrassenanbau gewinnen, wie z. B. Tomaten, Bananen, Kartoffeln und Wein. Dies erfolgt größtenteils für den Eigenbedarf, denn heutzutage ist, wirtschaftlich betrachtet, der sogenannte sanfte Tourismus die wichtigste Einnahmequelle der Insulaner. In Anbetracht der Größe der Insel ist der Weinanbau beachtlich. Auf 122 Hektar bauen über 250 Weinbauern die begehrten Trauben an5). In unzähligen Bodegas können Sie sich durch das regionale Weinangebot kosten und überzeugen, dass die „Gomeros“ diese jahrhundertelange Tradition zu einer guten Qualität gebracht haben, besonders die Weißweine. Seit 2003 sind die gomerischen Weine ursprungsgeschützt (D.O.P. Denominación de Origen Vinos de Gomera).
Spezialitäten, die ihren Ruf auch außerhalb der Inselgrenzen getragen haben sind der legendäre Palmhonig (Miel de palma) und der Almogrote Käseaufstrich.4) Natürlich ist das kanarische Mehl „Gofio“ auch auf La Gomera sehr präsent sowie Eintöpfe (aus Ziegenfleisch oder mit Brunnenkresse) sowie Käse, Mojosoßen und die Papas arugadas etc.
Ein Rückblick auf die Geschichte
Die Urbevölkerung stammt vermutlich von den Berbern ab, die etwa um 500 v. Chr. auf die Insel kamen und daher leitet sich auch der Name von „Ghomara“ aus einem alten Berberstamm (nicht wissenschaftlich bewiesen) ab. Die kleine Insel war eine der Ersten, die durch den brutalen Normannen Jean de Bethencourt erobert wurde. Er unterwarf die Urbevölkerung im Jahr 1404. Sehr viele wurden getötet und andere in die Sklaverei verkauft, eine schreckliche Zeit, in der es zu vielen Aufständen kam. König Heinrich III. von Kastilien ernannte den Eroberer trotzdem zum König der Kanarischen Inseln. Bestialisch und noch schrecklicher wurde es für die Urbevölkerung als Graf Hernán Peraza die Herrschaft auf La Gomera übernahm.
Das unbeschreibliche Leid der Bevölkerung, ihr Hunger und die Wut auf die Eindringlinge gipfelte in der Ermorderung des Despoten durch den Rebellen namens Hautacuperche im Jahr 1488. In Gedenken an diesen stolzen Aufständischen steht seit 2007 eine Gedenkstatue am Strand von Puntilla de Vueltas in Valle Gran Rey im Südwesten von La Gomera. Aus Angst es könne zu weiteren Aufständen kommen, trennten die Eroberer die Familien und siedelten die einzelnen Mitglieder um. Im 16. Jhdt. etablierte sich ein Feudalsystem mit Zuckerrohr und Wein als wichtigste wirtschaftliche Einnahmequelle, wobei die meisten Gomeros davon am wenigsten zu Gesicht bekamen. Als schlecht bezahlte Tagelöhner standen sie den einheimischen Adeligen gegenüber. Mit der Zeit haben sich die Altkanarier ihrem Schicksal ergeben und nahmen sukzessive die spanische Kultur an, weshalb nurmehr sehr wenig von der Sprache der Guanchen überliefert ist. Christoph Kolumbus machte seine Zwischenstation bei seiner letzten Amerikareise in der Hauptstadt San Sebastián.
Wer sich für das Leben von einst interessiert, den empfehlen wir einen Besuch des Ethnografischen Museums „Molino de Gofio Los Telares“ in Hermigua im Nordwesten der Insel.6)
Mekka der Hippies im 'Tal der Könige'
Valle Gran Rey heißt übersetzt Tal des großen Königs und liegt an der Westküste von La Gomera. Es ist einen Ausflug auf jeden Fall Wert, selbst wenn von der einstigen Ursprünglichkeit etwas verloren gegangen ist. Man kann es nur über eine einzige Straße erreichen und natürlich mit der Fähre. Auf unzähligen Terrassen werden dank des Wasserreichtums Bananen und Wein angebaut. Auf den umgebenden Hügeln thronen majestätisch die kanarischen Palmen. Die hübschen Häuser mit den gepflegten Gärten und schönen Fassaden lassen darauf schließen, dass es den Einheimischen gar nicht so schlecht geht.
Obwohl dieser Küstenort die größte touristische Nutzung der Insel aufweist, merkt man davon wenig. Bettenburgen sucht man vergeblich, dafür gibt es in unmittelbarer Nähe zum Meer einige entzückende bunte Appartementanlagen. Hier herrscht keine Hektik, weder bei den Einheimischen, noch bei den Touristen. Es ist eine ganz eigene Atmosphäre. Damals war die Ansiedlung noch verschlafen und nur abenteuerlich zu erreichen, denn es gab keine asphaltierten Straßen. In den späten 1960-er Jahren haben Aussteiger und Hippies diese Ecke für sich entdeckt. Zuerst waren es die Amerikaner und dann sprang der Funke über den großen Teich nach Großbritannien. Bongo-Trommeln, indische Saris und Tücher, Dreadlocks und bunte luftige Hanfhosen dominierten die Straßen, wo sich der eine oder andere als Straßenmusiker versuchte, um ein paar Cent zu verdienen. Sie lebten fernab jeglicher Konventionen und kampierten in der Schweinebucht oder hausten in zerklüfteten Felswänden. An die legendären Vollmondparties erinnert sich der eine oder andere Ex-Hippie mit Wehmut noch heute. Sie sollen sehr bewusstseinserweiternd gewesen sein, doch dafür sorgte mitunter auch Rauchwerk ...
Wenn man durch das kleine Gässchen dieses Fischerortes flaniert, dann sind noch Spuren dieses ‚Spirits‘ bemerkbar (und sei es durch das Angebot einiger Geschäfte an Räucherstäbchen, Kleider etc.)
Fazit
Romantische Dörfer, herzliche Bewohner, kontrastreiche Landschaften, üppige Vegetation, spektakuläre Felsformationen, verlassene Strände, atemberaubende Ausblicke und eine sehr gute regionale Küche. Was will man mehr? La Gomera ist ein Mekka für Individualisten, ein echter Geheimtipp!
Anm.: In meiner nächsten Ausgabe am 20. April stelle ich Ihnen den märchenhaften Nationalpark Garajonay vor.