Im Herzen der Altstadt Vegueta befindet sich die Calle Dr. Chil, keinen Steinwurf von der Kathedrale Santa Ana entfernt. Das ist kein Zufall, denn der Namensgeber dieser Gasse war Dr. Gregorio Chil y Naranjo (1831 - 1901, Foto 01) aus Telde, der in eben dieser Calle mit seinem Museo Canario den Grundstein der kanarischen Identitätsfindung legte.
Zeitreise: 1831 ...
Wir drehen die Uhren zurück und blicken in seine Kindheit. Er wurde am 13. März 1831 als Zweitältester einfacher Leute in Telde geboren und seine Eltern schufteten Tag und Nacht, um ihren Kindern eine gute Ausbildung und Zukunft zu ermöglichen.
Anfänglich wurde er Zuhause von seinem Vater unterrichtet, doch intellektuell prägte ihn sein Onkel und Taufpate Gregorio Chil Morales, Domherr in Telde. Er unterrichtete ihn in Philosophie, Geschichte und Religion. Später besuchte er die höhere Schule in Las Palmas de Gran Canaria. Ungewöhnlich für die damalige Zeit war vor allem, dass er zum Studieren sogar ins Ausland durfte bzw. aufgrund des finanziellen Hintergrunds konnte - womit er zur kanarischen „Bourgeoisie“ zählte. Er studierte Medizin in Paris und promovierte 1857 mit 26 Jahren und kehrte noch im selben Jahr nach Las Palmas de Gran Canaria zurück.
Inspiriert von den Pariser Wissenschaftlern begann er sich schon während seines Studiums für Anthropologie zu interessieren und vertiefte sein Wissen.
Sein unstillbares Interesse galt in Wirklichkeit seinen Wurzeln, also allem was mit den Erstsiedlern der Kanarischen Inseln zu tun hatte, von denen bis dahin nichts bis sehr wenig bekannt war. Er verschlang 15 Jahre lang jede bis dahin vorhandene Lektüre, sei es Chroniken oder andere Dokumente. Dr. Chil begann leidenschaftlich Mumien, Skelette und andere archäologische Fundstücke und Objekte zu sammeln.
Abseits der Normen...
Ungewöhnlich war auch seine Ehe für die damalige Zeit, denn der damals 31-jährige Arzt ehelichte Alejandra Jaques Merino, eine um 14 Jahre ältere, zweimalige Wittwe, die ein Kind aus ihrer vorangegangenen Ehe mitbrachte. Sie soll elegant, attraktiv, energisch und unkonventionell gewesen sein. Nach nur sieben Ehejahren verstarb sie allerdings und er konzentrierte sich fortan auf seine Studien über die Geographie, Geschichte und Flora der Kanaren. Mit seinen wissenschaftlichen Freunden und Kollegen in Paris hielt Dr. Chil zeitlebens engen Kontakt und gründete im Jahr 1879 schließlich die Intellektuellenvereinigung „El Museo Canario“ die anfänglich ihren Sitz im Rathaus von Las Palmas hatte.
1876 veröffentlichte Dr. Chil als 45-jähriger und Pionier seiner Zeit das anerkannte Werk „Estudios históricos, climatológicos y patológicos de las Islas Canarias“, das zwar bei der Bevölkerung und Fachwelt wohlwollend und mit großem Interesse aufgenommen, doch beim Bischof José María Urquinaona y Bidot als ketzerisch verteufelt wurde. Chil sah nämlich die Theorien von Darwin und Lamarck gar nicht so abwegig. Der Bischof beantragte am 30. April 1876 sogar die Exkommunikation des Arztes, der damals schon in dem Haus des heutigen Museo Canario lebte. Die wissenschaftliche Arbeit und sein intellektueller Austausch mit einer Reihe an einflußreichen Sinnesgenossen setzte der ambitionierte Forscher Dr. Chil unbeirrt fort.
Am 24. Mai 1880 eröffnete der Arzt schließlich in der ersten Etage des heutigen Museo Canario das erste „Zentrum zur wissenschaftlichen und kulturellen Erforschung der kanarischen Geschichte“, das er bis zu seinem Tod im Jahr 1901 als Direktor persönlich führte. In dieser Zeit veröffentlichte er zudem das eigene Museumsmagazin mit neuen Erkenntnissen. Er verfügte in seinem Testament, dass nach dem Ableben seiner zweiten Gattin (Sie verstarb 1913) das Gebäude samt seiner kompletten Sammlung in eine Stiftung überführt und der Stadt Las Palmas de Gran Canaria übergeben werden sollte, damit seine Arbeit in einem Museum erhalten bzw. fortgesetzt werden sollte/könnte.
Dr. Chil verstarb am 4. Juli 1901. Aufgrund der Folgen des Ersten Weltkriegs und der damit verbundenen Krise verzögerte sich die (Wieder)Eröffnung des Museo Canario bis 1930.Im Jahr 1962 wurde das Museum zum „Monumento Histórico-Artístico“ erklärt und zudem erhielt es die Ehrenauszeichnung der Schönen Künste im Jahr 1980. Die erste Modernisierungsoffensive des Betriebs fand 1984 statt, in der der museumspädagogische Inhalt neu geordnet wurde und wofür es 1993 abermals die Ehrenauszeichnung „Medalla de Oro“ der Stadt Las Palmas de Gran Canaria gab.
Heute ist ...
Heute ist dieses Zentrum das bedeutendste Geschichtsmuseum auf Gran Canaria und eines der wichtigsten des Archipels. Dort thront auch die berühmte Terracotta Figur „Tara“ (Foto 04), Symbolfigur, die für Fruchtbarkeitsriten verwendet wurde.
- Erläutert wird die praehispanische Welt, die neu sortiert, modern und verständlich aufbereitet, nun in neuem Glanz erscheint und eine wirklich interessante Quelle der Wurzeln der ursprünglichen Bevölkerung auf den Kanarischen Inseln darstellt.
- Fast tausend Skelette und etliche Mumien (Foto 02) befinden sich in zum Teil gut erhaltenen Zustand in der ersten Etage. Im selben Stockwerk sind etliche, zum Teil ebenfalls gut erhaltene Töpferwaren (Funde aus allen Inseln), klar erläutert dargestellt und getrennt nach Inseln zu sehen.
- Auch geologische sowie zoologische Relikte befinden sich dort, ebenso wie die wohl größte Sammlung der sogenannten Pintaderas (214 Exemplare dieser Besitzmarken der Altkanarier, katalogisiert und detailliert beschrieben, Foto 03)
- Beinhaltet ist auch eine umfassende Bibliothek
Fazit
Besuchen Sie dieses kurzweilige Museum, wenn Sie mehr über ihre geliebten Kanaren und seine Bewohner erfahren möchten. Es ist sehr empfehlenswert!
IN MEMORIAM: Angélica Castellano Suárez
Am 7. März 2019 verstarb Angélica Castellano Suárez, die Direktorin der Wissenschaftlichen Gesellschaft des Museo Canario, überraschend im Alter von nur 48 Jahren. Sie studierte Unternehmensführung an der Universität von Saint Louis in Missouri (USA) und spezialisierte sich auf internationale Wirtschaft und Marketing. Sie übernahm am 1. Oktober 2016 die Führung des Museums. In kurzer Zeit hat sie es unübersehbar geschafft, die Welt der Altkanarier zeitgemäß aufarbeiten zu lassen und auf verständliche Weise neu zu ordnen. Sie hat den Weg für eine erfolgreiche Zukunft des Museumsbetriebs in der kurzen, aber intensiven Zeit, geebnet. Respekt vor einer großen Persönlichkeit, die viel zu früh von uns gegangen ist.