Ausgabe Nr.
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J M upload 21.04.2021, Viva Edition 93 | Print article

Museo Néstor Martín, Symbolismus und homoerotische Malerei

Im Februar 2013 wurde nach umfassenden Renovierungsarbeiten das Pueblo Canario in Las Palmas eröffnet. Dort befindet sich das Museum Néstor. Es ist einem der außergewöhnlichsten kanarischen Künstler gewidmet: Néstor Martín Fernandez de la Torre (1887 - 1938). Er war seiner Zeit weit voraus und viele seiner Werke waren in den renommiertesten Museen der Welt zu sehen wie z. B. in London, Berlin, Paris oder Buenos Aires. Es gibt gleich mehrere Gründe das Museum und das Pueblo Canario, wo es sich befindet, zu besuchen.

Wir verabreden uns mit dem Museumsdirektor Dr. Daniel Montesdeoca García. Er studierte Kunstgeschichte an der Universität Salamanca, danach u. a. Museumskunde in Madrid. Seine aparte Erscheinung und Manieren prädestinieren ihn für diese Position, ebenso wie die große Leidenschaft als Kunstliebhaber und Experte. Einige der Gemälde im Museum stammen sogar aus seinem privaten Fundus. Der Experte führt uns persönlich durch die schönen Räume dieses überschaubaren Museums und gibt interessante und wertvolle Informationen preis, die man als „normaler“ Besucher nicht erfährt und die wir Ihnen natürlich nicht vorenthalten wollen.

Im Erdgeschoss dringt Kinderlachen in unsere Ohren. Eine Schulklasse ist gerade zugegen und die Kleinen im Alter von etwa sieben Jahren malen in einem Raum. Das Museum führt seit 1956 eine pädagogische Abteilung, wie auch das Kolumbushaus, war aber in diesem Gebiet Vorreiter auf Gran Canaria.

Aparte Ausstellungssäle

Das Gebäude ist lichtdurchflutet und hat einen einladenden Charakter. Aufgrund der Größe macht das Erkunden  der einzelnen Räume wirklich Spaß und dabei lohnt sich auch ein Seitenblick auf die Architektur.

Die Säle sind nach Themen strukturiert, wie z. B. Portraits, Pflanzen oder Skizzen von Bühnenkostümen. Dazwischen stehen historische Möbel und Accessoires. Dabei handelt es sich um persönliche Einrichtungsgegenstände des Künstlers. Aus seinen Domizilen in Paris und Madrid ließ er einige Stücke nach Gran Canaria bringen, wo er sie neu arrangierte. Zu sehen sind u. a. Stühle mit edlen Stickereien aus dem 17. Jhdt., riesige Wandspiegel mit aufwändigen Holzschnitzereien, Tische, Bänke, Lampen und ein Wandteppich.

Symbolismus und homoerotische Malerei

Bereichert durch seine Reisen und Auslandsaufenthalte hat dieses facettenreiche Multitalent ein großes kulturelles Erbe hinterlassen. Néstors malerisches Talent ist unumstritten. Seine Technik ist dem Jugendstil bzw. Symbolismus zuzuordnen und zeigt mit großer Detailliebe seinen Tiefgang und sein Können. Er sorgte mit seinen Gemälden schon damals in den großen Kunstmetropolen für Furore und noch heute lassen seine Kunstwerke viele Fragen offen. Geheime Botschaften, die der breiten Öffentlichkeit vorenthalten sind. Nichts ist zufällig platziert, keine Geste, keine Blume, keine Schlange etc. Die Gemälde liefern genügend Stoff für Interpretationen und sind dabei auch noch ästhetisch.

Néstor war zudem Vorreiter der homoerotisch gefärbten Sinnlichkeit in der Malerei. Seine Figuren sind häufig oft nicht eindeutig zuzuordnen. Mal sind sie androgyn, mal gemischt und manchmal erwecken diese den Anschein gleichgeschlechtlicher Liebe, das für die damalige Zeit revolutionär war.

Bei meinen Recherchen konnte ich keinen Hinweis finden, ob jemals eine Frau eine Rolle in seinem Leben gespielt hat. So drängt sich der Gedanke auf, dass seine Gesinnung auch eher gleichgeschlechtlicher Natur war und er dieses in seinen Werken ausdrückte. Aufgrund der Nacktheit in vielen seiner Gemälde waren diese in den 1960-ern und 1970-ern im katholischen Land verboten. Néstors großes Gefühl für Komposition zeigt sich auch in seinen Gemälden. Mit großer Detailgenauigkeit setzte er Strich um Strich wie z. B. ersichtlich bei den Haaren (siehe Fotos). Die Perspektive wirkt dreidimensional und zieht den Betrachter förmlich in das Geschehen.

Im Obergeschoss sind seine Skizzen seiner Bühnenbilder und Opernkostüme (z. B. Salome, Don Giovanni) zu sehen. Bei manchen davon denke ich sofort an die Modekreationen von Jean-Paul Gaultier, der viele Jahre später lebte und Streifen zu seinem Markenzeichen machte.

Bewegtes Leben, die Meilensteine

Der am 7. Februar 1887 in Las Palmas geborene Maler entstammt einer Künstlerfamilie. Sein Talent und seine Kreativität zeigten sich sehr früh und er nahm ersten Malunterricht beim angesehenen Nicolás Massieu. Mit fünfzehn zog er nach Madrid, wo er bei Rafael Hidalgo de Caviedes studierte. Er stellte bereits erste Werke im Prado Museum aus. Wissbegierig und weltoffen zog es ihn zwei Jahre danach nach London, um von den sogenannten „Pre-Rafaelis“ und Symbolisten zu lernen (z. B. Leconte de Lisle und Prudhomme)

Paris war mit 18 Jahren seine nächste Station. Drei Jahre danach eröffnete Nèstor sein erstes eignes Atelier in Barcelona und präsentierte seine „La Dama Blanca“ im Rahmen einer Sammelausstellung. 1908 wagte der Künstler seine erste Einzelausstellung. Diese war ein so großer Erfolg, dass er mit „Epitalamino“ Spanien bei der internationalen Ausstellung in Brüssel vertrat und ein Jahr danach seine erste Auszeichnung in London erhielt. 1912 wurde  Néstor Mitglied der Schönen Künste (Union International des Beaux Arts et des Lettres) in Paris. Zeitgleich waren seine Werke in Madrid und London ausgestellt und 1918 in Buenos Aires zu sehen. Als Bühnenbildner und Kostümdesigner war Néstor erstmals im Jahr 1915 mit seinen Kreationen für die Oper Falla für das Teatro Lara de Madrid tätig.

Künstlergilde, im internationalen Austausch

Mit etwa 36 Jahren freundete sich Néstor mit anderen Künstlergrößen der damaligen Zeit an, wie z. B. Salvador Dalí oder Federico García Lorca. 1924 triumphierte er mit seiner nächsten Ausstellung „Poema del Atlántico“ in Madrid. Im selben Jahr nahm er an der 14. internationalen Ausstellung in Venedig sowie an der 23. Ausgabe des Internacional de Carnegie Institut in Pittsburg (USA) teil.

Mit vierzig Jahren kreierte er wieder ein Bühnenbild und die Kostüme und zwar für Antonio Mercé an der Volksoper Hamburg.

Wachsende Heimatliebe am Lebensabend

Je älter Néstor wurde, desto mehr zog es ihn in seine Heimat. Tiefe Bande verbanden ihn mit seinem Bruder, dem angesehenen Architekten Miguel Martín Fernández de la Torre. Dieser wurde gerade mit der Neugestaltung des ehrwürdigen Teatro Pérez Galdós beauftragt, das nach einem Brand bis auf die Grundmauern zerstört war.

Heute ist es eines der schönsten und prachtvollsten Bauwerke auf Gran Canaria. Im Inneren beeindruckt es mit seinem Jugendstil Charakter. Viele Materialien und Einrichtungsgegenstände wurden eigens aus Großbritannien importiert. Néstor arbeitete mit seinem Bruder und seine wachsende Heimatliebe zeigte sich in der Wahl der Motive, den Farben sowie seiner Maltechnik. Er realisierte riesige Deckengemälde im Festsaal, die wie Fresken anmuten. Er entwarf Tapeten, Glasfenster oder den Bühnenvorhang. Das Theater wurde im Jahr 1928  mit einer Verdi Oper wiedereröffnet.

Noch im selben Jahr begann Néstor Martín mit der Niederschrift seiner Visionen zu Gran Canaria, die später unter dem Titel „Poema de la Tierra“ bekannt wurden. Er wurde nicht müde seine Heimat über die Landesgrenzen hinweg zu bewerben und man könnte sagen, dass er in gewissem Sinn auch Kulturbotschafter war. Denn in den Weltmetropolen kannten nur wenige die Kanaren.

Im Jahr 1932 entwarf Néstor den Festsaal des Casinos in Santa Cruz de Tenerife. Zwei Jahre später zog der 47-jährige Künstler endgültig von Paris wieder in seine Heimatstadt Las Palmas de Gran Canaria. Was er nicht ahnen konnte war, dass er nur vier Jahre danach bereits sterben sollte. Davor allerdings entwarf Néstor beispielsweise das Parador am Cruz de Tejeda. Design hieß für ihn es von von A bis Z durchzuziehen, also vom fertigen Objekt bis hin zum Logo oder den Schildern.

Böse Zungen behaupten dass der große César Manrique, der Jahrzehnte später auf der Nachbarinsel Lanzarote wirkte, sich von Néstor inspirieren ließ (siehe Foto 05 von Néstors Gemälde „Weisses Dorf“ aus dem Jahr 1924). Ein wirklich sehenswerter Besuch für nur 50 Cent Eintrittsgebühr!

Kontakt

Im Pueblo Canario beim Parque Doramas s/n in 35005 Las Palmas (Einfahrt Las Palmas und kurz danach die Abfahrt Juan Carlos XXIII wählen und den Hinweisschildern „Pueblo Canario“ folgen).

Öffnungszeiten: Di. - So. von 10.00 bis 19.00 Uhr, So. und feiertags von 10.30 bis 14.30 Uhr, montags geschlossen. Eintritt: 50 Cent (Kinder, Rentner, Studenten: Gratis). - Aufgrund der Gesundheitskrise variieren die Öffnungszeiten, dzt. geschlossen.

Siehe auch 

Wiedereröffnung Post Covid-19: Folklore und Bodegón wieder im Pueblo Canario ab 3. Aug

Biografie Néstor Martin - Cosmopolit, Visionär, Maler, Bildhauer, Designer ...