„Viel wissen macht Kopfweh“ lautet ein altes Bauernsprichwort und erst jetzt verstehe ich allmählich, was damit gemeint ist. Manches muss man einfach wissen, denn nur so kann man (Lebens)Entscheidungen treffen. Die globale Katastrophe, die durch Plastikverschmutzung ausgelöst wurde, halten viele noch immer für ein weit entferntes Problem manch armer Küstenregionen in Asien oder Afrika.
Doch inzwischen hat fast jeder Vogel in der Nordsee Plastik im Magen. Und der globale Müllberg in unseren Ozeanen wächst jährlich unbarmherzig um acht Millionen Tonnen an! Wenngleich die Japan Times schrieb, dass von dieser Menge etwa die Hälfte aus fünf asiatischen Ländern stamme, wirkt sich das Problem durch die Meeresströmungen auf jede Region dieser Erde aus - selbst wenn in den Touristenhochburgen der angspülte Müll fleißig entfernt wird.
Denn wir wissen nicht, was wir tun
Die Auswirkungen sind noch viel drastischer als bisher angenommen und, der Boden des Fasses ist noch nicht in Sicht nachdem Studien aus verschiedensten Forschungsthemen auf der ganzen Welt immer wieder neue, erschreckende Aspekte zu Tage fördern. Die Bemühungen des jungen ambitionierten Boyan Slat mit seinem „Ocean Clean-Up Projekt“1) die Weltmeere vom Müll zu säubern, sind durch technische Designfehler ins Stocken geraten und derzeit wird an technischen Modifizierungen gearbeitet. Das System funktioniert nicht so, wie geplant, nachdem die eingesammelten Plastikteile wieder ins Freie gelangten.
Plastikmüll auf ‚Weltreise‘
Die Folgen der globalen Plastikverschmutzung zeigen sich selbst in weit entlegenen Regionen auf drastische Weise. Die Osterinseln, obwohl sie 3.700 Kilometer vom chilenischen Festland entfernt liegen, versinken im Müll. Neben dem selbst verursachten Wohlstandsmüll kommt das unfreiwillig ‚importierte Plastikproblem’ dazu. Die Inseln liegen in einer Schneise von Meeresströmungen, die sie konsequent mit Plastik ‚versorgt‘. In den Mägen der Fische, Seevögel, Meeressäuger und Meeresschildkröten fand sich eine erschreckend hohe Konzentration von Plastikfragmenten.4) Mithilfe von Schulen wurde begonnen die Menge der Plastikpartikel weltweit zu erfassen.
Gefährliche ‚Liebschaft‘: Plastik und Giftstoffe ziehen sich an
Plastik verschwindet nicht einfach so und treibt über Jahrzehnte herum, wird durch UV-Strahlen spröde und wird durch die Reibung des Wassers zu immer kleineren Teilen. Diese treiben weiterhin im Meer, sofern sie nicht in den Mägen der Meeresbewohner landen. Dr. Hideshige Takada von der Universität Tokyo untersuchte Mikroplastik, kleine Kügelchen von unter 5 mm Länge und fand heraus, dass diese Rückstände von Pestiziden (PCB polychlorierte Biphenyle) aufweisen.
Eine der Schlussfolgerungen sei, dass sich Plastik und Giftstoffe magisch anziehen bzw. diese absorbieren. Zerfällt also Kunststoff im Meer, verwandelt er sich in Zeitbomben, die von Organismen gefressen werden und somit auch die Giftstoffe in den Organismus gelangen. Bisphenol A (BPA) zerfällt beispielsweise bei 30 °C in die giftigen Urbestandteile, die sich mit dem Meer vermischen. (April 2018).
Einlagerung im Körper ...
Angela Köhler von der Universität Bremerhafen untersuchte den Zustand von Miesmuscheln nachdem zuvor Kunststoffschaum in das Wasser gekikippt wurde. Sie fand bei ihrem Experiment heraus und konnte dies bildlich aufzeigen, dass Plastik nicht gänzlich ausgeschieden wird, sondern sich teilweise im Gewebe der Tiere einlagert. Dies könne eine Reihe von Folgen nach sich ziehen, von Entzündungen bis hin zu Krebs.
... und die Kanaren?
Die Mikroplastik-Konzentrationen variieren regional sehr. Die höchsten Konzentrationen finden sich im westlichen Pazifik und im Mittelmeer. Doch wie sieht es auf den Kanarischen Inseln aus? Leider kommen wir auch hier um diese Problematik nicht herum. Forscher des Instituts Ecoaqua5) haben in Zusammenarbeit mit der Universität Delaware (USA), Valencia sowie Las Palmas de Gran Canaria im Februar 2019 einen Artikel publiziert, indem die Ergebnisse ihrer Studie „Einnahme von Mikroplastik durch Thunmakrelen in kanarischen Küstengewässern“ aufgezeigt wurden.
Die Studie auf den Kanaren
Es wurden 120 Thunmakrelen aus kanarischen Gewässern untersucht, die ausschließlich in Fischereigenossenschaften (cofradías) auf Lanzarote und Gran Canaria gekauft wurden. Dabei wurde festgestellt, dass sich in 94 Makrelen (also bei 80 Prozent der Tiere) Mikroplastik in den Mägen befand. Insgesamt wurden 260 Arten an Plastiken identifiziert, 74 % Fasern, 12% Plastikfragmente, 12 % Malreste und 2 % Stücke von Fischernetzen und Filmreste. Interessanterweise waren viele der Plastikteile blau und die Forscher sehen die Ursache dafür, dass sie mit den ebenfalls bläulich gefärbten Ruderfußkrebsen verwechselt werden, der natürlichen Diät der Makrelen.
Überraschenderweise entsprachen die gefundenen Mengen jenen anderer hochgradig verschmutzter Gebiete, wie z. B. dem Mittelmeerraum, den asiatischen Küsten oder Zonen mit großen Ansiedlungen in Küstennähe. Eine mögliche Erklärung für das Ausmaß des Verschmutzungsgrades auf den Kanaren könnte in den Abwässern liegen, die teilweise ungefiltert ins Meer geleitet werden. Geplant sind Folgestudien, um die Ursprünge der Plastikverschmutzung zu identifizieren. Nachdem die Innereien der Makrelen nicht konsumiert werden, sei ein Verzehr des Plastiks durch Menschen unwahrscheinlich.
Allerdings seien die nicht ausreichend erforschten Folgen und Effekte möglicher toxischer Stoffe, die durch Mikroplastiken transportiert werden, für die Forscher besorgniserregend.
Chemisch absorbiert: die organische Verschmutzung
Am 29. Dezember 2019 wurden die Ergebnisse aus einer weiteren wissenschaftlichen Arbeit7) veröffentlicht, die sich mit der organischen Verschmutzung des kanarischen Gewässers befaßt.
Hier einige Fakten daraus:
• Die höchste Kontamination wurde auf den Küsten von Gran Canaria gefunden, der meist besiedelte Insel mit dem größten Industrialisierungsgrad des Archipels;
• Kunststoffgranulate präsentieren eine höhere Kontamination als jene von Plastikfragmenten;
• Höhere toxisch relevante DDT Insektiziden an den Küsten der Kanarischen Inseln gefunden;
• Ein Teil der Plastikschadstoffe scheint von den Küsten absorbiert zu werden.
Aufgrund der Kapazität chemische Schadstoffe zu absorbieren stellt Mikroplastik eine steigende Umweltbedrohung dar.
Die Analysen aus der Studie auf den Kanarischen Inseln ergab zwei Typen and Plastik (Kunststofffragmente sowie Mikroplastik) mit 81 chemische n Komponenten.
• Die UV-Strahlung ist in den von Touristen stark frequentierten Stränden (z. B. Las Canteras und Famara) weit höher als jene, die wenig frequentiert wurden (wie z. B. Cuervitos, Lambra). Das spiegelte sich auch im Aufkommen von Mikroplastik wider (0 bis 37.740 ng/g bzw. 3,7 bis 2.169,3 ng/g).
• Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (chem. PAK) machen die höchste Konzentration aus.
• Flammschutzmittel (Organophosphorus Flame Retardants OPFR): 20 bis 378 ng/g bzw. 22,6 bis 7.013,9 ng/g. Der Wert vom Las Canteras Strand lag bei weitem höher als jener in urbanen Zonen der Studie.
• Polychloriertes Biphenyl (PCB) lag bei 0,9 bis 2.285,8 bei Granulaten bzw. bei 1,6 bis 772,5 bei Mikroplastik vor. Die Werte von den Küsten auf Gran Canaria waren signifikant höher als auf anderen Inseln. Dies traf auch auf chlorierte Pestizide zu.
• Organochlorine Pesticide (OCP): 0,4 bis 13.488,7 bzw. 0,4 bis 3.778,8 ng/g
• Polybromierte Diphenylether (BDE): 0 bis 180,58 ng/g bzw. 0,06 bis 3.923.9 ng/g)
Am 26. November fand auf Lanzarote die internationale Konferenz zum Thema „Schicksal und Auswirkung von Microplastik: Wissen, Aktionen und Sonne“ statt.
Don Quijote - der einsame Kampf der Forscher
Die wertvolle Arbeit der Wissenschaftler zeigt die Tragweite des Problems auf, die sich zu langsam in einem Gesellschaftsbewusstsein niederschlägt. Nachhaltige und dringend notwendige Änderungen in Industrie und Wirtschaft dürfen kein einsamer Kampf bleiben. Jeder von uns kann mit seinem Handeln die Zukunft verändern. Es beginnt beim Strohhalm, der Plastiktüte und Gemüse, dass nicht in Plastik verpackt wird.
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Quellverweise:
1)Viva Canarias Nr. 141 (Anm.: Es gibt Verzögerungen im Projekt „Ocean Clean-Up“ von Boyan Slat. Ein technisches Redesign ist erforderlich, nachdem Plastikteile nach dem Einsammeln wieder in das offene Meer entwichen sind).
3)Arte „Plastik: Fluch der Meere“, TV Sendung vom 2.3.2019 und Spiegel Online
4)Martin Thiel, Meeresbiologe der Universität Chile
6)Originaltitel der Veröffentlichung im Wissenschaftsmagazin Pollution Bulletin: Ingestión de microplásticos en caballas ‚Scomber colias’ de aguas costeras de Canarias, publiziert im Februar 2019.
7)Organic pollutants in marine plastic debris from Canary Islands beaches, ISBN 978-84-09-06477-9
7)Konferenz Micro 2018 auf Lanzarote: „Fate and Impact of Microplastics: Knowledge, Actions and Solutions“ 414 pp. MSFS-RBLZ., ISBN 978-84-09-06477-9 . CC-BY-NC-SA.