Ausgabe Nr.
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J M upload 29.02.2020, Viva Edition 161 | Print article

Rechtstipp Nr. 143 - Die wichtigsten Rechte der Arbeitnehmer/Innen in Spanien

Liebe Leserinnen und Leser, 

wir nutzen heute erneut die Gelegenheit, über ein Rechtsthema zu berichten, das Sie als deutschsprachige Residenten bzw. Urlauber interessieren könnte. Mit unseren Artikeln möchten wir Ihnen nützliche, verständliche und korrekte Informationen zur Verfügung stellen. Heute geht es um:

DIE WICHTIGSTEN RECHTE DER ARBEITNEHMER/INNEN IN SPANIEN

Da wir in Europa im sogenannten „Kapitalismus” leben (oder eigentlich in einer mehr oder weniger „sozialen Marktwirtschaft“), in der der Staat nicht jedem einen Arbeitsplatz besorgen muss, arbeiten die meisten Arbeitnehmer für private Unternehmen. Wie man die Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern regelt, ist in jedem Land eine Angelegenheit von höchster Wichtigkeit, sowohl für die Arbeitnehmer als auch für die Unternehmer, aber auch für den Fortschritt der Wirtschaft. Entgegen einer weit verbreiteten Meinung, ist unsere heutige westliche Gesellschaft weit weg vom wilden Kapitalismus, da der Staat mehr als die Hälfte des Bruttosozialproduktes ausgibt, den Bürgern viele wichtige Dienstleistungen direkt anbietet (Schulen, Universitäten, ärztliche Versorgung, Renten, Pflege, Justiz und Sicherheit…), und ca. die Hälfte der Arbeitnehmer beschäftigt (in Spanien sogar mehr als die Hälfte!), und die meisten Aktivitäten stark reguliert, subventioniert oder interveniert (Banken, Versicherungen, Transport, Landwirtschaft, Energieerzeugung, Wasserlieferung…). Arbeitnehmer sind aber Menschen und nicht lediglich „Produktionsmittel“, und verlangen deshalb zu Recht Schutz, würdige Arbeitsbedingungen, sowie eine gute Bezahlung, aber auch erträgliche Arbeitszeiten, Unterstützung bei Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit, Sicherheit in der Arbeit, usw. Arbeitgeber fordern auf der anderen Seite mehr Flexibilität, um sich den wandelnden Bedingungen des Marktes schnell anpassen zu können, Arbeitskräfte entlassen zu können, die nicht gut arbeiten können oder wollen oder die nicht mehr gebraucht werden. Ebenso ist es ein großes Anliegen auf Arbeitgeberseite, dass Löhne und Lohnnebenkosten sich im für sie erträglichen Rahmen halten, was naturgemäß zu regelmäßigen Konflikten zwischen den Tarifparteien führt. Paradoxerweise führt nicht jede Regelung zur Verbesserung von Arbeitnehmerinteressen dazu, dass diese auch davon am Ende profitieren, da ein übertriebener Arbeitnehmerschutz der Rentabilität und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen schaden und damit Arbeitslosigkeit und Armut verursachen kann. Umgekehrt stärkt aber auch nicht jede Beschränkung der Rechte der Arbeitnehmer automatisch die  Arbeitgeberseite, denn ohne eine gewisse Sicherheit in der Arbeit und ohne ausreichende Löhne können oder wollen Arbeitnehmer weder konsumieren noch investieren noch Familien gründen… und das alles braucht bekannterweise eine funktionierende Wirtschaft. Die feine Kunst und große Verantwortung des Gesetzgebers bestehen also darin, den richtigen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen zu finden. Dabei tendieren Konservative mehr dazu, „wirtschaftsfreundlich“ zu sein, und den Linken liegen in erster Linie die Rechte der Arbeitnehmer am Herzen. 

1. LOHN. Natürlich arbeiten Arbeitnehmer nur gegen Lohn. Wie hoch die Löhne sind, hängt davon ab, was man mit dem Unternehmer vereinbart hat, wobei auch die Bedingungen der Tarifverträge zu respektieren sind und ebenso die Vorgaben des staatlich festgelegten Mindestlohns. Viele Arbeitnehmer wundern sich, wenn sie in ihren Arbeitsverträgen den Betrag ihrer Löhne nicht finden können. Die Erklärung hierfür besteht darin, dass die Höhe des Gehalts sich aus den bestehenden Tarifverträgen ergibt, auf die im Arbeitsvertrag Bezug genommen wird. Normalerweise erhält jeder Arbeitnehmer in Spanien 14 Monatslöhne im Jahr (im Juli und Dezember erhält man zwei Zahlungen auf einmal (den normalen Lohn und dazu die sogenannte „paga extra“). Manche Firmen verteilen diese zwei Extralöhne auch gleichmäßig auf die zwölf Monate des Jahres. 

Der spanische Mindestlohn im Jahre 2020 beträgt 950 Euro im Monat (brutto, bei 40 Stunden im Monat, 14 Zahlungen im Jahr), oder 1.108,33 Euro brutto im Monat, wenn der Unternehmer 12 Löhne im Jahr zahlt. Für den Fall, dass man nicht Vollzeit arbeitet, erhält man natürlich proportional weniger Lohn. Normalerweise werden die Löhne monatlich im Nachhinein gezahlt, aber manchmal auch wöchentlich oder sogar täglich. In längeren Zeiträumen als monatlich dürfen keine Lohnzahlungen erfolgen. Heutzutage zahlt man fast ausschließlich per Überweisung. Der Arbeitgeber ist dazu verpflichtet, vorab den Abzug der Einkommensteuer und der Sozialversicherung vorzunehmen (retención del IRPF, cuota obrera de la Seguridad Social), die in den Steuergesetzen vorgesehen sind, und von den persönlichen Umständen des Arbeitnehmers abhängen (Höhe des Lohns, Familienstand, Anzahl der Kinder, usw.) und diesen Betrag jeden Monat an das Finanzamt oder an die Sozialversicherung zu zahlen. Arbeitnehmer haben das Recht, ihre Löhne pünktlich zu erhalten. Bei Verzögerungen kann man Zinsen verlangen (10 % jährlich), und wenn die Löhne nicht be

zahlt werden oder immer wieder zu spät bezahlt werden, kann der Arbeitnehmer wegen Nichterfüllung der Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag kündigen und eine Entschädigung wie bei einer nicht begründeten Entlassung verlangen.

Die wiederholte Verzögerung bei Lohnzahlungen kann auch vom Arbeitsamt bestraft werden (Mindeststrafe 6.251 Euro). Arbeitnehmer haben auch das Recht, Vorauszahlungen zu fordern, mindestens in der Lohnhöhe, die der Zeit entspricht, in der sie bereits gearbeitet haben, also, zum Beispiel, Mitte des Monats dürfen sie eine Vorauszahlung von der Hälfte des Monats verlangen. Die Geldforderungen der Arbeitnehmer im Falle einer Insolvenz ihres Arbeitgebers haben absoluten Vorrang vor anderen Gläubigern und dies bis zu einer Höhe von zwei Monatsmindestlöhnen. Die Verjährungsfrist der Lohnforderung beträgt ein Jahr. 

2. DAS RECHT AUF SICHERHEIT AM ARBEITSPLATZ, KÜNDIGUNGSSCHUTZ, RECHTSSCHUTZ

In Spanien gibt es Fälle, in denen man befristete Verträge schließen darf, aber die Regel sollten (theoretisch) unbefristete Verträge sein. Befristete Verträge darf man also nur in den vom Gesetzgeber vorgesehenen Fällen schließen. Das heißt aber nicht, dass, selbst bei unbefristeten Verträgen, dem Arbeiter nicht gekündigt werden kann. Arbeitgeber dürfen prinzipiell jeden Arbeitsvertrag kündigen, müssen dann den betroffenen Arbeitnehmern aber, mit den im Gesetz vorgesehenen Beträgen, entschädigen. Nur wenn Arbeitnehmer schwerwiegend gegen ihre Pflichten verstoßen haben, können sie ohne Abfindung fristlos gekündigt werden. In manchen Fällen verbietet oder beschränkt der Gesetzgeber jedoch die Kündigung (z.B. Mutterschutz, Schwerbehinderung oder Krankheit, Betriebsratszugehörigkeit, Diskriminierung bei Kündigungen oder bei kollektiven Entlassungen). Wenn ein Arbeitnehmer gegen die Nichterfüllung seiner Rechte protestiert oder sogar klagt und der Arbeitgeber ihn daraufhin entlässt, dann kann er gerichtlich die Annullierung der Kündigung erreichen, wenn diese ohne rechtlichen Grund erfolgt ist, also beispielsweise lediglich aus Rache.  

3. RECHT AUF DIE UNVERSEHRTHEIT. Die Arbeitnehmer haben das Recht, dass der Arbeitgeber ihnen an deren Arbeitsplatz ausreichenden Schutz gewährt. Sie müssen ihrerseits die Sicherheits- und Hygieneregelungen befolgen, wohingegen der Arbeitgeber verpflichtet ist, die notwendigen Mittel hierzu zur Verfügung zu stellen und die Befolgung der Schutzregeln zu überwachen. Außerdem muss der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer auch vor möglichen Mobbingvorfällen oder sexueller Belästigung am Arbeitsplatz schützen, sowie dafür sorgen, dass diese mit Würde behandelt werden, sowohl von ihren Vorgesetzten als auch von anderen Kollegen. Da es wichtig ist, dass Arbeitnehmer nicht ausgebeutet werden und dass sie sich auch ausruhen können, gibt es gesetzliche Beschränkungen der Arbeitszeit und von Überstunden. Ebenfalls haben Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaub und arbeitsfreie Feiertage und auf die Einhaltung von Mindestzeiten zwischen einem Arbeitstag und dem nachfolgenden.

4. PFLICHT ZUM SCHUTZ VON PERSÖNLICHKEITSRECHTEN DES ARBEITNEHMERS

Im Laufe des Arbeitsverhältnisses erhält der Arbeitgeber zahlreiche persönliche Daten seiner Arbeitnehmer. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt den Arbeitnehmer gegen die unbegrenzte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung seiner persönlichen Daten. Dem Arbeitgeber ist es untersagt, heimlich private Telefongespräche abzuhören, allerdings darf er private Telefongespräche während der Arbeitszeit untersagen. Die heimliche Videoüberwachung eines Arbeitnehmers ist nur zulässig, wenn ein konkreter Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht. Das Speichern von personenbezogenen Daten ist nur insoweit zulässig, als es der Zweck des Arbeitsverhältnisses unbedingt erfordert. Daten z.B. über Geschlecht, Familienstand, Schule, Ausbildung und Sprachkenntnisse dürfen für die Dauer des Arbeitsverhältnisses gespeichert werden. Den Arbeitgeber trifft auch eine Verschwiegenheitspflicht für Tatsachen, an deren Geheimhaltung der Arbeitnehmer ein berechtigtes Interesse hat, z.B. Einkommen, Gesundheitszustand, persönliche Verhältnisse des Arbeitnehmers, Schwangerschaft, etc. Auch bei nur fahrlässiger Verletzung der Verschwiegenheitspflicht kann sich der Arbeitgeber schadensersatzpflichtig machen.

Beschränkungen der Verschwiegenheitspflicht sind nur insofern erlaubt, wenn die Arbeitnehmer zuvor von Arbeitgeberseite informiert wurden und hierzu ihre Zustimmung gegeben haben. So verhindert z.B. das Recht am eigenen Bild, dass der Arbeitgeber ohne Genehmigung des betroffenen Angestellten dessen Bild für Werbezwecke nutzt.

5. RECHT AUF MEINUNGSÄUßERUNG. Arbeitnehmer haben wie jeder andere Bürger ein Recht auf freie Meinungsäußerung, wobei auch dieses Recht seine Grenzen dort findet, wo Geschäftsgeheimnisse verletzt werden könnten oder der Ruf oder die Interessen der Firma tangiert sind. 

7. DAS RECHT AUF VERTRAGSGEMÄßE BESCHÄFTIGUNG

Als Arbeitnehmer ist man dazu verpflichtet zu arbeiten und dabei den Anweisungen des Chefs zu folgen. Allerdings muss er nur die Aufgaben erledigen, die vertraglich vereinbart sind: z.B. kann die Putzfrau der Fabrik nicht dazu gezwungen werden, die Wohnung des Chefs zu putzen oder ist die Buchhalterin nicht dazu eingestellt worden, um für den Chef Kaffee zuzubereiten oder die Sekretärin ist nicht dazu da, die Toiletten zu putzen, usw. Natürlich ist in vielen Fällen die Realität etwas lockerer und man will ja nützlich und flexibel für die Firma sein, aber das darf nur freiwillig geschehen. Selbstverständlich müssen im Notfall alle helfen, um Schäden zu verhindern (z.B., wenn es eine Überschwemmung in der Toilette des Büros gibt, müssen gegebenenfalls alle Mitarbeiter ihr Möglichstes tun, damit die Akten der Kunden nicht nass werden usw.). 

Ein Arbeitnehmer hat aber nicht nur die Pflicht zu arbeiten, sondern auch das Recht zu arbeiten, also das Recht beschäftigt zu werden, und zwar mit Aufgaben der Art, zu denen er eingestellt worden ist. Sollte ein Arbeitnehmer einfach am Tisch sitzen müssen, ohne eine effektive Beschäftigung zu bekommen, kann er klagen oder die Situation anzeigen. Sollte ich beispielsweise einem meiner angestellten Anwälte keine seiner Ausbildung entsprechende Beschäftigung zuweisen und von ihm nur erwarten, dass er die Mandanten empfängt und ihnen Kaffee anbietet, so wäre das nicht nur wirtschaftlich unklug, sondern auch rechtlich unzulässig! 

8. DAS RECHT AUF GLEICHBEHANDLUNG UND DAS VERBOT DER DISKRIMINIERUNG

Wenn der Arbeitgeber neue Mitarbeiter sucht, oder wenn er sie bereits eingestellt hat, darf er sie nicht diskriminieren wegen ihres Geschlechts, Familienstands, Alters, Rasse, sozialer Herkunft, wegen ihrer Religion oder persönlicher Überzeugungen, wegen Ihrer Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft oder wegen ihrer sexuellen Orientierung. Die Diskriminierung kann im Moment der Einstellung stattfinden oder danach bei der Bezahlung, bei der Wahl der Angestellten, die entlassen werden sollen oder allgemein bei deren Behandlung. 

Natürlich, wenn man für eine bestimmte Stelle eine körperlich starke Person braucht, darf man das berücksichtigen. Wenn man eine Schauspielerin für eine Frauenrolle in einem Film benötigt, dann kann man nur nach einer Frau suchen, ohne männliche Bewerber berücksichtigen zu müssen. Wenn man einen Busfahrer sucht, kann ein Blinder ausgeschlossen werden, usw. Wenn man einen dreisprachige Sekretärin bzw. Sekretär braucht, dann ist es legitim, dass man nach diesen Fähigkeiten verlangt. Wir reden hier also von unbegründeten Ungleichbehandlungen, die Diskriminierungen darstellen. Begründete Ungleichbehandlungen stellen also keine Diskriminierungen dar. 

Besonders gravierend sind Diskriminierungen von Menschen, wegen ihres Geschlechts, wegen einer bestehenden Schwangerschaft, weil sie Kinder haben, weil sie krank sind, weil sie schwul oder lesbisch oder transsexuell sind, weil sie HIV haben, weil sie Mitglied einer Gewerkschaft sind oder an einer angemeldeten Demonstration oder an einem Streik teilgenommen haben. 

Gegen solche Diskriminierungen können sich Arbeitnehmer gerichtlich verteidigen und das Arbeitsamt kann auch drakonische Strafen verhängen. Ich erinnere mich noch an eine Geldstrafe in Höhe von 6.000 €, die ein Mandant von mir erhielt, nur weil er als Unternehmer eine Annonce veröffentlichte, in der er nach „Putzfrauen“ (anstatt nach „Putzhilfen“) suchte…. Wenn der Richter oder das Amt meinen, dass es den Anschein einer Diskriminierung gibt, dann hat der Arbeitgeber die Last nachzuweisen, dass der Anschein trügt, ansonsten gilt die Diskriminierung als bewiesen.

Mit freundlichen Grüssen, 

José Antonio Pérez Alonso
Abogado/Rechtsanwalt
www.kanzleiperezalonso.com