Die aktuelle Covid-19 Gesundheitskrise führt zu Veränderungen in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben, bei unseren sozialen Kontakten, im Schulbetrieb, bei unseren Freizeitaktivitäten und auch in unseren Arbeitsbeziehungen. Viele in den verschiedenen Dekreten gebilligte Maßnahmen, die den Alarmzustand geregelt haben, haben einen großen Einfluß auf die Arbeitsbeziehungen gehabt. Dabei ist die Tele- bzw. Fernarbeit eine Methode, die es erlaubt, der produktiven Tätigkeit nachzugehen und dabei die höchstmögliche Reduzierung einer Ansteckungsgefahr zu vereinbaren. Bisher betrachtete man die Tele- bzw. Fernarbeit als eine seltene Form der Berufsausübung, vornehmlich in bestimmten Berufsgruppen und fast immer mit Selbstständigen oder Freiberuflern assoziiert. Dieses Konzept hat sich nun grundlegend geändert.
Die Kanarenregierung hat erkannt, dass die Inseln über ein Potenzial für die Entwicklung bzw. den Ausbau von Fernarbeit verfügen. Das ‚Gobierno de Canarias‘ setzt intensiv auf die Bewerbung des Archipels für bis zu 30.000 Telearbeitern/-innen, damit diese ihre ‚Betriebsstützpunkte auf den Archipel verlagern‘. 500.000 Euro wurden in entsprechende Kampagnen bereits investiert.1) Und der Archipel lockt dafür mit geradezu idyllischen Voraussetzungen. Arbeiten ohne starre Zeitpläne und außerhalb der Büros und sich abei auf einer Insel niederzulassen, die über ideale Voraussetzungen verfügt (bestes Klima der Welt, arbeiten in unmittelbarer Nähe zum Meer, paradiesische Strände, freundliches Umfeld, kosmopolitisches Flair, günstigere Lebenshaltungskosten etc.)2) Und es zeigt sich, dass selbstbestimmtes freies Arbeiten eine größere Effizienz und Effektivität bei Profis fördern kann.
Die Realität verändert sich schneller, als die entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen. Die Tarifverträge für Fernarbeit sind bisher in Spanien kaum geregelt, weder aus materiellen Aspekten noch aus Sicht der tarifvertraglichen Konditionen.
Mit Inkraftsetzung der Regelungen RD28/2020 art. 1 bis 22, disp. adic. 1a, disp. trans. 1a und disp. final 1a und 2a, BOE 23-9-20 gehen die Behörden davon aus, dass ausreichende, bereichsübergreifende und integrierte Vorschriften geschaffen sind, u. a. die Grundsätze der Freiwilligkeit und Reversibilität der Fernarbeit, der Grundsatz der Gleichbehandlung bei den Arbeitsbedingungen (insbesondere bei der Entlohnung, einschließlich des Kostenersatzes, des beruflichen Aufstiegs, der Berufsausbildung, der Ausübung kollektiver Rechte, der Höchstarbeitszeit und der Mindestruhezeiten, der Chancengleichzeit und der flexiblen Arbeitszeitverteilung sowie präventive Aspekte).
Was sind die wichtigsten Aspekte dieser neuen Regulierung für die Fernarbeit?
Ad. Definition von Telearbeit
1. Fernarbeit: Darunter versteht man die Arbeitsorganisation oder Durchführung einer Tätigkeit auf regelmäßiger Basis während des ganzen oder eines Teils des Arbeitstags am Wohnort des Arbeitnehmers oder an einem von ihm gewählten Ort.
2. Telearbeit: Darunter versteht man jene Fernarbeit, die unter ausschließlicher oder überwiegender Verwendung von Computer-, Telematik- und Telekommunikationsmitteln und -systemen durchgeführt wird.
3. Persönliche Arbeit: Darunter versteht man jene Arbeit, die an einem vom Unternehmen bzw. Arbeitgeber festgelegten Arbeitsplatz bzw. Ort ausgeführt wird.
Die wichtigsten Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Fernarbeit oder Telearbeit leisten:
1. Personen, die einer Fern- oder Telearbeit nachgehen, dürfen nicht diskriminiert werden gegenüber jenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die ihre Dienstleistungen bzw. Tätigkeit am Arbeitsplatz von Angesicht zu Angesicht erbringen. Sie dürfen in keiner ihrer Arbeitsbedingungen benachteiligt werden, einschließlich Entlohnung, Arbeitsplatzstabilität, Arbeitszeit, Ausbildung und berufliche Aufstiegsmöglichkeiten. Als Mindestbetrag der Entlohnung haben sie Anspruch auf die Gesamtvergütung, die entsprechend ihrer Berufsgruppe, ihres Ausbildungsniveaus, ihrer Position und ihrer Funktion festgelegt wird. Zudem müssen jene Zuschläge angewandt werden, die für jene Personen festgelegt sind, die ihre Dienstleistungen persönlich erbringen, insbesondere solche, die mit den persönlichen Bedingungen, den Ergebnissen des Unternehmens oder den Merkmalen der Tätigkeit zusammenhängen.
2. Die vereinbarten Bedingungen, insbesondere hinsichtlich der Arbeitszeit und des Arbeitsentgelts, dürfen durch etwaige Schwierigkeiten technischer Natur oder sonstiger Art, die nicht dem Arbeitnehmer zuzuschreiben sind, insbesondere bei Telearbeit, weder beeinträchtigt noch geändert werden.
3. Sie haben die selben Rechte auf Anpassung an den Arbeitstag sowie der Schlichtung und Mitverantwortung wie Arbeiterinnen und Arbeiter an Arbeitsplätzen vor Ort (im Unternehmen oder den von ihm zugewiesenen Ort).
Welche Pflichten haben Unternehmen für Arbeitnehmer/-innen in Fern- oder Telearbeit?
1. Vermeidung jeglicher Diskriminierung, direkt oder indirekt, vor allem aufgrund des Geschlechts, gegenüber Arbeiterinnen und Arbeitern an Arbeitsplätzen vor Ort (im Unternehmen oder den von diesem zugewiesenem Ort).
2. Verpflichtung ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Tele- oder Fernarbeit derzeit einzusetzen sowie die Diagnose, Umsetzung, Anwendung, Überwachung und Bewertung der Gleichstellungsmaßnahmen und -plänen zu berücksichtigen, damit es zu keiner Diskriminierung kommt.
3. Es müssen Maßnahmen getroffen werden, um sexuelle Belästigung oder Diskriminierung zu vermeiden, analog den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vor Ort.
Was sind die Hauptcharakteristika für Tele- oder Fernarbeit?
1. Freiwilligkeit: Beide Seiten, Arbeitgeber und -nehmer müssen die Fernarbeit freiwillig eingehen und zu diesem Zweck einen entsprechenden Fernarbeitsvertrag abschließen, ohne dass dieser eine wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen beinhaltet und unbeschadet des Rechts auf Fernarbeit, das durch die Rechtsvorschriften der Tarifverhandlungen anerkannt werden kann.
2. Reversibel:
Sowohl der Arbeitgeber als auch der/die Arbeitnehmer/-in können in Übereinstimmung mit den Tarifverhandlungen und, falls dies nicht möglich ist, in den im Fernarbeitsvertrag festgelegten Fällen, diesen rückgängig machen.
3. Eine schriftliche Vereinbarung muss mindestens folgendes regeln:
• Bestandsaufnahme der Mittel, Ausrüstung und Werkzeuge, die für die Ausübung der Fernarbeit erforderlich sind, einschließlich Verbrauchsmaterialien und beweglicher Güter, samt deren Nutzungsdauer und maximaler Erneuerungsfrist.
• Auflistung der Kosten, die dem/der Arbeitnehmer/-in in Erfüllung der Fernarbeit entstehen können sowie die Art und Weise der Kompensation, die der Arbeitgeber zu zahlen hat sowie die Art und Weise der Zahlung derselben bzw., falls vorhanden, in Anwendung der Regelungen des Tarifvertrags oder einer anderen anwendbaren Vereinbarung.
• Arbeitszeitplan des/der Arbeitnehmers/-nehmerin und, falls zutreffend, die Regeln der Verfügbarkeit
• Prozentsatz und Verteilung zwischen Face-to-Face und Fernarbeit, falls zutreffend
• Arbeitsplatz des Unternehmens, dem der/die Fernarbeiter/-in zugewiesen ist und wo er/sie gegebenenfalls den Teil des persönlichen Arbeitseinsatzes auszuführen hat
• Ort, der zur Fernarbeit durch den/die Arbeitnehmer/-in zur Ausübung der Fernarbeit gewählt wurde
• Kündigungsfristen für das Rückgängigmachen der Fernarbeit, falls zutreffend
• Kontrollmöglichkeiten der Ausübung der Aktivität
• Vertragsdauer der Fernarbeitsvereinbarung
• Definition der Verfahren bei technischen Gebrechen, welche die normale Ausübung der Fernarbeit verhindern. Anweisungen des Unternehmens mit Einbeziehung der gesetzlichen Vertreter der Arbeitnehmer hinsichtlich Datenschutz, die speziell für die Fernarbeit gelten
Wie wir sehen, haben wir es mit einer sehr neuen Verordnung zu tun, die erst am 13. Oktober 2020 in Kraft getreten ist und in den Unternehmen und Organisationen erst implementiert werden muss. Sie dient dazu, die Arbeitsbeziehungen zu flexibilisieren und den Schutz der Arbeitnehmer mit optimaler Effizienz und Effektivität für das Unternehmen zu verbinden. Es ist verfrüht sie zu beurteilen, da sie erst vor kurzem Inkraft getreten sind. Ich möchte gerne die Anpassungsfähigkeit an die neue Realität, mit der wir konfrontiert sind, hervorheben. Diese muss in den Unternehmen und bei den Arbeitnehmern/-innen reifen, und zwar aus der Komfortzone des Bekannten heraus, um andere Formen der Arbeit, der Kommunikation und der Beziehungen zu ermöglichen. Es bleibt die Frage, ob diese Veränderungen uns als Individuen besser, bewußter und solidarischer machen oder, ob sie unsere Individualität vertiefen werden und dadurch die Solidarität leiden könnte.
Der technologische Fortschritt und die unbestreitbaren Verbesserungen implizieren in vielerlei Hinsicht, dass Tele- oder Fernarbeit einen Fortschritt darstellen. Aber, diese bergen auch ihre Risiken. Wir müssen vorsichtig sein, damit sie nicht durch Mangel an Kontrolle und Überwachung der Rechte und Pflichten auf beiden Seiten zu einem „Schandfleck“ werden.
Carmen Castellano Caraballo
Rechtsanwältin - Arbeitsrecht
c/ Alcalde Francisco Hernández González nº 7 in E-35001 Las Palmas de Gran Canaria
Tel.: (0034) 928 333 224
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1)Quelle: El País vom 6. November 2020
2)Viva Canarias Nr. 170 vom 1.12.2020 „Digital Nomades“ (in dieser Ausgabe)