Ausgabe Nr.
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M M upload 04.10.2015, Viva Edition 76 | Print article

Rechtstipp Nr. 68 - Verkehrsunfälle in Spanien und Ausfüllhilfe Unfallbericht

1. Schwerwiegendes gesellschaftliches Problem: Verkehrsunfälle

In der heutigen Zeit leben wir alle schnell und gefährlich, manchmal zu schnell und auch zu gefährlich, aber es geht meistens nicht anders. Wir sind jeden Tag entweder als Fußgänger oder als Fahrer einigen Risiken ausgesetzt, die wir in Kauf nehmen müssen. Die Leute brauchen und lieben ihre Autos, denn ohne sie würde nichts mehr gehen, aber sie vergessen meistens, dass sie eine entscheidende Ursache für Todesfälle, Verletzungen und Gefahren darstellen. Immer wenn wir ein Auto fahren, sollten wir uns deshalb daran erinnern, dass wir eine tödliche Waffe in Händen halten. 

Man kann sich selber schwer verletzen oder umkommen, aber wir können auch ein Kind verletzen oder sogar töten... Als Anwalt (der Täter oder der Opfer) erzählt man mir immer wieder von tragischen Verkehrsunfällen; diese Unfälle zerstören manchmal unwiederbringlich das Glück, das Leben, die Gesundheit vieler Menschen, und das jeden Tag. Nach einem Bericht der „Dirección General de Tráfico“ (DGT) kamen im letzten Jahr in Spanien 1.131 Menschen bei einem Verkehrsunfall um (wobei diese Zahl nur diejenige einschließt, die innerhalb der ersten 24 Stunden nach dem Unfall gestorben sind; es gibt darum sicherlich eine hohe Dunkelziffer). 

Unzählige Opfer mussten sich außerdem monatelang oder jahrelang eine schmerzhaften Rehabilitation unterziehen, manchmal mit geringem oder gar keinem Erfolg; viele müssen danach mit schwerwiegenden Folgeschäden weiterleben, die ihr Leben zur Hölle machen, oder mit chronischen Schmerzen, mit hässlichen Narben, usw. Einige werden danach arbeitsunfähig oder benötigen sogar für die einfachsten Tätigkeiten des Lebens Hilfe. 1.131 Tote sind ca. drei Tote pro Tag; zumindest ist aber die Zahl der Toten in Spanien in den letzten Jahren erheblich gesunken (im Jahre 1990 waren es, sage und schreibe, 5.940 Tote, also 16 pro Tag!). 

Bessere Straßen, sicherere Autos, mehr Geschwindigkeitsbegrenzungen, das neue Punktesystem, eine viel intensivere Überwachung der Straßen durch mehr Polizisten, Radaranlagen und Kameras, härtere Verkehrsstrafen (manchmal sogar Freiheitsstrafen), mehr Kontrolle der betrunkenen Fahrer und ähnliche Maßnahmen haben sehr geholfen.

2. Wie soll man sich verhalten, wenn man an einem Verkehrsunfall beteiligt ist?

Nachdem ich also hier schon genug gepredigt habe, werde ich erklären, was man tun sollte, wenn man einen Verkehrsunfall hatte, als Verursacher oder als Opfer. 

a) Sollte es Verletzte geben, versuchen Sie zu helfen und rufen Sie die 112 (Nothilfe) an. Sie sind selbstverständlich dazu verpflichtet, dort zu bleiben und die für Sie mögliche Hilfe zu leisten, sonst drohen strafrechtliche Folgen. 

Beide Parteien sind auch dazu verpflichtet, sich  auszuweisen und ihre Versicherungsnummern auszutauschen; rufen Sie die Polizei an (092, Policía Local), wenn der Gegner sich weigert sich auszuweisen. 

b) Wenn Sie Auto fahren, sorgen Sie bitte dafür, dass Sie ein „parte amistoso de accidente“ bei sich im Auto haben. Das „parte amistoso“ ist ein Formular, auf dem der Unfall beschrieben werden kann, und der von beiden beteiligten Autofahrern unterschrieben werden kann. Jede Versicherungsgesellschaft kann ihnen dieses Formular besorgen, oder Sie können es sich aus dem Internet herunterladen (http://s.seguros.es/download/guias/parte-de-accidente-modelo-europeo.pdf).

Sollten Sie nach dem Unfall kein „Parte“ haben, dann schreiben Sie auf ein Blatt Papier mindestens Datum, Uhrzeit,  Unfallort, Daten der Opfer, Beschreibung der Schäden, Kontaktdaten der Zeugen, Zustand der Straße, Wetter, Beleuchtung der Straße, Nummer der Versicherungspolicen der Beteiligten, Beschreibung der beiden Autos. 

Machen Sie auch eine Zeichnung des Unfalles und Fotos der Autos und - wenn möglich - der Beteiligten. Beide Beteiligten sollten dieses Formular oder Blatt unterschreiben, falls vorhanden, sollten dies auch Zeugen tun. Ein richtig ausgefülltes Formular kann Ihnen als Beweismittel sehr helfen, später an Ihre Entschädigung zu kommen. Seien Sie aber vorsichtig mit dem was Sie unterschreiben, wenn Sie der spanischen Sprache nicht mächtig sind...

c) Wenn Sie merken, dass der andere Beteiligte betrunken sein oder unter Drogen stehen könnte, oder dieser nicht kooperiert, oder wenn die Ursache des Unfalls unklar ist oder es Verletzte oder Tote geben sollte, rufen Sie die Policía Local (Tel. 092) oder die Guardia Civil (Tel. 069) an, damit diese einen Bericht („atestado“) macht. Die Polizisten haben viel Erfahrung mit Verkehrsunfällen und sind die bestmöglichen Zeugen bei einem eventuellen Prozess. Natürlich wird es Ihnen auch helfen, wenn Sie oder Ihre Begleiter Spanisch sprechen können, damit auch Sie den Polizisten Ihre Version des Unfalles erzählen können (und nicht nur der andere Beteiligte).

d) Teilen Sie Ihrer Versicherung den Unfall so schnell wie möglich mit,  auf jeden Fall innerhalb von 7 Arbeitstagen.

e) Sollte es Probleme geben, rufen Sie den Anwalt Ihres Vertrauens möglichst noch von der Unfallstelle an. 

f) Sollten Sie verletzt sein (auch wenn die Verletzung nicht schlimm ist), gehen Sie sofort zum Notarzt (Urgencias del Centro de Salud). Bei einigen Verletzungen merkt man erst am nächsten Tag die Folgen. Gehen Sie so bald wie möglich zum Arzt und erzählen Sie zu ihm, dass Sie einen Verkehrsunfall hatten. Befolgen Sie die Anweisungen des Arztes und sammeln Sie für Ihren Anwalt die ärztlichen Unterlagen (Arztberichte, Krankmeldungen, Rehabilitationsberichte, psychologische Gutachten...). Sammeln Sie auch alle Ausgabenbelege von Arzneimitteln, Ärzten, Psychologen, Flügen und alle Belege von Ausgaben, die mit dem Unfall zusammenhängen. 

g) Lassen Sie sich von keinem Arzt der gegnerischen Versicherungsgesellschaft untersuchen und akzeptieren Sie keine Entschädigung ohne vorher mit Ihrem eigenen Anwalt gesprochen zu haben. 

3. Welche Entschädigung erhält man nach einem Unfall?

Die Opfer (ob sie Fahrer, Mitfahrer oder Fußgänger waren) haben das Recht auf eine Entschädigung, ebenso die Angehörigen eines verstorbenen Opfers. Diejenigen aber, die die Schuld am Unfall tragen, erhalten keine Entschädigung. Waren beide Fahrer Schuld am Unfall, dann erhalten sie eine kleinere Entschädigung. 

¿Qué procedimientos existen para reclamar la indemnización por los daños sufridos en un accidente de tráfico? ¿Y qué plazo existe para reclamar?

4. Wie erreicht man eine Entschädigung?

a) Durch eine außergerichtliche Vereinbarung; 

b) durch einen strafrechtlichen Prozess (nur möglich wenn es Verletzte oder Tote gibt; dann muss man die Strafanzeige innerhalb von 6 Monaten einreichen); 

c) oder durch einem zivilrechtlichen Prozess (ob es Verletzte gibt oder nicht; die Klage muss  jedoch innerhalb der einjährigen Verjährungsfrist eingereicht werden). 

Sollten die Schäden oder Verletzungen groß sein, oder sollte es Probleme geben, lassen Sie sich schnell von einem Anwalt helfen, entweder von demjenigen, der Ihre eigene Versicherung Ihnen zur Verfügung stellt, oder von einem selbst ausgewählten Rechtsanwalt. Fast jede Versicherungspolice schließt Ihre Vertretung von einem selbst ausgewählten Anwalt bis zu einem gewissen maximalen Honorarbetrag (von 600 bis 6.000 € in der Regel) ein. Ein durch Sie ausgewählter Anwalt hat neben der Tatsache, dass Sie ihn gegebenenfalls kennen und schätzen, natürlich den Vorteil, dass er sich nur Ihnen (und nicht auch Ihrer Versicherungsgesellschaft) gegenüber verpflichtet fühlt (es kommt vor, dass beide Autos bei derselben Gesellschaft versichert sind, oder dass sie untereinander Abkommen haben...). Sollte es keine Versicherung geben, die die Anwaltskosten übernimmt (z.B. weil das Opfer ein Fußgänger oder Radfahrer war), kann man sich in der Regel mit dem Anwalt dahingehend einigen, dass er im Erfolgsfall als Honorar einen gewisse Prozentsatz der Entschädigung erhält. 

5. Wie hoch wird die Entschädigung sein?

Der Schuldige bzw. seine Versicherung muss folgende Zahlungen übernehmen: 

a) die Reparaturkosten des Autos oder Fahrrads; oder in manchen Fällen, z.B. wenn es sich nicht mehr lohnt, das Auto reparieren zu lassen, den Restwert ( Zeitwert abzüglich Restwert ?) des Autos/Fahrrads; 

b) die Transportkosten, Arzneimittel, Reha, usw., wenn das Opfer sie tatsächlich getragen hat; 

c) den Einkommensverlust des Opfers; 

d) eine Entschädigung für körperliche oder psychische Verletzungen;

e) Schmerzensgeld für die im Krankenhaus verbrachte Zeit, für die Zeit nach der Entlassung, in der man nicht arbeiten konnte, und für die Zeit, in der man schon arbeiten konnte, der Heilungsprozess der heilbaren Verletzungen aber noch nicht abgeschlossen war. 

Um Rechtssicherheit zu schaffen und eine Erhöhung der Versicherungsbeiträge zu vermeiden (was den Fahrern und der Wirtschaft schaden würde), müssen sich die Richter an eine Entschädigungstabelle („baremo de accidentes de tráfico“) halten, die jedes Jahr im Staatsanzeiger BOE (Boletín Oficial del Estado) veröffentlicht wird. Die letzte Tabelle der geltenden Entschädigungen wurde im BOE vom 15/3/2014 veröffentlicht (die für dieses Jahr ist noch nicht erschienen, da die Regierung angeblich gerade an einigen grundlegenden Veränderungen des Systems arbeitet). Dort ist z.B. festgelegt, was eine verlorene Hand wert ist, was ein Tag im Krankenhaus wert ist, was ein toter Sohn wert ist, usw... . Die  Entschädigungen hängen vom Alter des Opfers ab (mehr Geld je jünger man ist), von seinem Einkommen (mehr je mehr Einkommen), davon ob er nach dem Unfall noch arbeiten kann oder nicht, oder ob er eine Pflege braucht u.s.w. Es ist sicherlich grausam, aber irgendwie muss man eine Entscheidung treffen können und die Richter brauchen gewisse Richtlinien, damit nicht jeder das willkürlich entscheiden kann. Die Entschädigungen sind meines Erachtens manchmal etwas zu niedrig bemessen und die Opfer sind zuweilen unzufrieden, aber keine Entschädigungszahlung dieser Welt kann einen wirklich für ständige Schmerzen, anhaltende Angstzustände oder dauernde  Schlaflosigkeit  verbunden mit chronischer Müdigkeit entschädigen.