Wie berichtet, fand vom 4. bis zum 8. März 2020 das bedeutendste Sportgroßereignis von Gran Canaria statt. Bei dieser 21. Ausgabe hatten sich über 4.000 Profi- und Hobbyathleten zu diesem Trail in den verschiedenen Kategorien angemeldet. Im Vorjahr stellten wir den Erfahrungsbericht der drei jungen Athleten aus Deutschland1) vor, die ihre Erlebnis wie folgt formulierten: „Gran Canaria hat alle Erwartungen übertroffen“. Dieses Mal lassen wir Bernhard Knötig zu Wort kommen, der sich aus einer ganz anderen Motivation heraus entschlossen hat, am Marathon teilzunehmen.
Was macht man(n), wenn man seit Jahren vergeblich versucht abzunehmen und es einfach nicht gelingen will? Es braucht eine spezielle Motivation, die über den regelmäßig betriebenen Sport (Tennis, Radfahren, gelegentlich laufen) hinausgeht. Halbmarathons hatte ich schon einige hinter mir, das musste ich mir nicht mehr beweisen. Ein Post auf Facebook über den neuen Termin des „Gran Canaria Trail 2020“ kam da gerade recht. Zwischen 17 und 262(!!) Kilometer stehen zur Auswahl. Ich habe mich für die 30 Kilometer entschieden, ein wenig Herausforderung sollte es schon sein.
Projektstart
Projektstart am 30. November mit 114 kg Ausgangsgewicht (was selbst bei 1,86 Körpergröße etwas zu viel ist). Erste Etappe: täglich laufen am Strand, kein Alkohol, intensive Beschäftigung mit Stoffwechsel. Und jetzt wird auch klar, warum Abnehmen ab 50 einfach nicht so funktioniert wie früher. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, das hat auch mit Hormonen zu tun.
Zwischenbilanz zum Jahreswechsel
Die ersten 5 kg sind runter, 30 min laufen am Stück geht problemlos. Dazwischen jedoch immer wieder kleine Einbrüche, nach 3 Minuten laufen tun schon die Beine weh. Was soll ich tun? Aufgeben? Sicher nicht – dann halt das Erfolgsrezept von Jan Frodeno (Gewinner des Hawaii-Ironman): zwischendurch flott gehen, Kräfte sammeln und weiterlaufen. Niemals aufgeben!
Für Nachahmer: aber bitte NUR, wenn der Körper keine ernsten Alarmsignale setzt, schmerzende Beine sind es definitiv nicht. Dann ging’s einen Tag besser und einen Tag schlechter. Ich habe es angenommen und festgestellt dass die Kurve trotzdem nach oben zeigt. Das war die Hauptsache und hat die Motivation hoch gehalten. Jetzt mussten nur noch Kilos purzeln und nach ersten Erfolgen wurde es immer zäher. Klar, ich habe Muskel aufgebaut und die sind bekanntlich schwerer als Fett. Trotzdem: ich wollte unter hundert Kilogramm Körpergewicht, wenn ich an den Start gehe. Durchschlagenden Erfolg brachte mir da Intervall-Fasten. Das heißt – ganz schnell erklärt – 16 Stunden am Tag nichts essen. Und dann am besten 2 vernünftige Mahlzeiten und nichts dazwischen. Konnte ich mir anfangs nicht vorstellen, aber wenn man will, ist alles zu schaffen. Und, ehrlich gesagt, ich habe mich sehr gut dabei gefühlt. Um es kurz zu machen: es waren 100,4 kg als ich an den Start ging.
Start des Trails
7. März 2020, 5:00 morgens bei der Expo-Meloneras: hunderte Sportler warten auf die Busse, die uns in die Berge bringen sollen. In meinem Fall zum Presa Chira. Distanz 30 km, positive Höhenmeter ca. 700. Erste Zahl klingt gut, ist aber nicht die Herausforderung, viel schlimmer sind 700 Höhenmeter bergauf. Jeder, der schon einmal nur 100 Höhenmeter laufend bergauf hinter sich gebracht hat weiß, dass das schon „ein wenig“ anstrengend ist.
Um kurz vor 7 Uhr morgens sind wir – viel zu früh – am Start, es ist richtig kalt, ich friere und es gibt keine Möglichkeit sich aufzuwärmen. Lediglich eine Mauer bietet Schutz vor dem eisigen Wind, diese ist aber sehr gut belegt. Die Alternative ist einfach zu laufen, um sich aufzuwärmen. Ein paar Kilometer habe ich so schon vor dem offiziellen Start um 8:30 abgespult. Kurz vor dem Start steigt rundum und auch bei mir die Nervosität und Anspannung. Jetzt gilt es, jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Als um Punkt halb 9 der Startschuss fällt laufen alle wie verrückt los. Ich bin einer der letzten, das habe ich mir auch so vorgenommen weil es einfach viel motivierender ist andere zu überholen als selbst der Überholte zu sein mit dem Gefühl permanent zurück zu fallen. Schon kurz nach dem Start kommt die erste Herausforderung mit einer Steigung, die sanft beginnt und immer heftiger wird, so stark, dass aus laufen gehen wird, teilweise unter Zuhilfenahme der Hände.
Aber schon sehe ich den Bergkamm, dort soll die erste Zeitnehmung (bei km 3) sein und es geht ja dann schön bergab. Mit dieser Einschätzung liege ich richtig, nicht aber mit der Erwartung, dass es nun leichter würde. Bergab gehts genauso steil wie bergauf und die ohnedies schon gequälten Muskel müssen nun bei jedem Schritt das volle Körpergewicht auffangen. Erstmals frage ich mich, ob das auch Sinn macht und, ob ich überhaupt die geringste Chance habe ins Ziel zu kommen. Nein, sage ich mir, jetzt ist nicht die Zeit Fragen zu stellen, jetzt ist einfach die Zeit immer nur einen Fuß vor den anderen zu setzen - wieder und wieder. Wir sind jetzt etwa bei km 6, 20 Prozent also schon – oder erst? – abgespult und mir fällt eine junge Sportlerin auf, die immer wieder kurz vor oder kurz hinter mir läuft. Irgendwann entwickelt sich ein kleiner Smalltalk (auf Englisch) und an ihren ersten Satz erinnere ich mich ganz genau: „ich hab das ja schon letztes Jahr gemacht und mir gedacht, dass das gar nicht so schlimm war. Ich weiß nicht welche Drogen ich da genommen hatte!“
Es beruhigt mich zu wissen, dass ich nicht der Einzige bin, der an und über seine Grenzen geht. Wir beschließen es gemeinsam zu versuchen. Nach einigen Kilometern in unterschiedlichstem Gelände – zur Belohnung gibts hin und wieder eher flache Wanderwege – sehen wir schon das Ayagaures-Tal. Dort, an der Staumauer soll die nächste Zeitnahme mit Versorgung sein. „Bald sind wir dort,“ denke ich als wir wieder einmal einen schönen Wanderweg entlang laufen. Ein Offizieller auf der Straße weist uns nach links.
„Technical Section“ steht dort zu lesen. Aha, was ist denn das? Die Antwort erhalten wir nach wenigen Metern: links gehts fast senkrecht nach oben, rechts steil bergab und dazwischen ein Trail, den vielleicht Mountain-Biker mit einer gewissen Todessehnsucht befahren. Ich habe mittlerweile erfahren, dass Melissa, meine Begleiterin aus den USA kommt, in Frankfurt lebt und als Flight-Attendant bei der US-Airforce arbeitet. Ihr Freund ist dort Jet-Pilot und hat sich mit seiner Fitness für die 162 km Variante entschieden.
Ich ermahne meine quasi ‚persönliche Flugbegleiterin‘ besonders vorsichtig zu sein, ein einziger Fehltritt hier kann ganz schlimme Folgen haben. Kaum haben wir diese wirklich auch mental anspruchsvolle Strecke überwunden, kommen wir schon wieder zu einem steilen Bergab-Stück, wo mit einem einzigen Schritt bis zu einem halben Meter bewältigt werden muß. Jeder Schritt tut unendlich weh, aber ich will und werde das schaffen!
Endlich bei der Versorgungsstation, wir haben vereinbart kurz zu rasten während wir von der Spitze des Teilnehmerfeldes eingeholt werden. Mein Versuch erstmals ein Live-Facebook-Video zu machen scheitert kläglich und zwar wegen dem schlechten Handy-Empfang sowie meinem durch Schwweis beeinträchtigte Sicht. Also breche ich den Versuch ab, schnell etwas trinken, ein paar Stücke Obst, einen Powerriegel und ein Stück Schinken und es geht weiter.
An dieser Stelle ein Kompliment an die Veranstalter, die aus Umweltgründen keine Plastikbecher und sonstige Einmalartikel an der Strecke heraus geben. Jeder Starter wurde rechtzeitig darauf hingewiesen, dass er Trinkflaschen etc. selbst mitnehmen muss.
Der nun vor uns liegende Abschnitt vergleichsweise angenehmer: sanfter Anstieg auf einer breiten Sand-Piste. Aber erklär das einmal deinen müden Beinen. Für die ist jetzt, nach 13 Kilometern, alles nur mehr Qual, egal wofür sie gebraucht werden. Laufen, gehen, kurze Pausen – alles ist erlaubt, wenn nur das große Ziel nicht aus den Augen entschwindet: ich WILL am Leuchtturm in Maspalomas einlaufen!
Weiter, weiter, es geht schon noch sage ich mir und auch meine „Flugbegleiterin“ kämpft. Wir versuchen uns gegenseitig zu motivieren und ich muss ehrlich sagen, dass ich nicht weiß, wie das wohl ohne diese Begleitung ausgegangen wäre.
Zurück zum Rennen: endlich sind wir, nachdem wir den Adlerpass überquert und wieder einen steilen bergab Trail bezwungen haben, vom Berg herunter, sehen schon das Flussbett vor uns, in dem sich bei starken Regenfällen das Wasser sammelt, welches dann in dem großen Kanal hinter dem Mercado und Holiday-World Richtung Meer fließt. Also endlich geschafft, denke ich mir, jetzt geht’s in der Ebene weiter. Und wieder werde ich enttäuscht: immer wieder verlässt der Trail das Flussbett kurz, um etwas bergauf zu gehen, dann wieder bergab und im Flussbett ist flüssiges Laufen unmöglich. Wieder muss fast jeder Schritt ausbalanciert werden und das von Muskeln, die ohnedies nicht mehr können. Und trotzdem muss, will ich weiter.
Nach quälenden Kilometern im Flussbett sehen wir rechts das Centro de Salud und ich scherze mit meiner Begleiterin. ob es nicht besser wäre gleich dort einzulaufen. Der Humor verschwindet als wir an einer Tafel „5 km a meta“ also bis zum Ziel vorbei kommen. Ich war der Meinung es könnten maximal noch 2 km sein.
Aber jetzt kann mich nichts mehr aufhalten. Wer es bis hierher geschafft hat, der gibt nicht mehr auf. Immerhin gibt es am Parque Sur noch eine Versorgungsstation und die offizielle Mitteilung, dass es „nur“ mehr 3 ½ Kilometer bis zum Ziel sind. Das könnte man ja jetzt locker im trockenen, jetzt auch sehr gut zu laufenden Flussbett hinter sich bringen. Könnte man – Konjunktiv!
Der Veranstalter schickt uns auf die Promenade und immer dort, wo Straßen queren, müssen wir hinunter, 100 Meter später wieder hinauf. Niemals hätte ich mir gedacht, dass es eine Qual und eine richtige Aufgabe sein könnte, diese paar Stufen hinauf zu steigen und – viel schlimmer noch – beim Hinablaufen extrem aufzupassen, die Beine können es kaum mehr abfangen und ein Sturz wäre jetzt wohl fatal.
Endlich, ein letztes Mal die Treppe hoch, ein paar hundert Meter Promenade und kurz vor dem CC Oasis am Strand von Maspalomas geht es in den Sand, um die letzten Meter bis zum Leuchtturm hinter sich zu bringen. Wir haben vereinbart unsere letzten Kräfte etwas einzuteilen, damit wir dort, vor Publikum möglichst locker und mit einem Lächeln einlaufen und erstaunlicher Weise gelingt das sogar. Ganz verwundert bin ich, wie viele Leute scheinbar von meinem Vorhaben wussten und mich jetzt anfeuern. Einhundert Meter noch und plötzlich spüre ich nichts mehr, keine Schmerzen, keine Durst, nur Leichtigkeit! Durchs Ziel und jetzt bin ich platt, stolz, überwältigt. Und ich weiß in diesem Augenblick: es ist verrückt, aber ich mach das wieder.
Nachsatz: Falls Du Interesse hast selbst abzunehmen, Deine Fitness zu steigern, schreib eine Mail an die Redaktion, ich melde mich.
Bernhard Knötig
1)Viva Canarias Nr. 135 vom „Mental gefordert - Transgrancanaria HG Ultratrail“ - nachzulesen online: www.viva-canarias.es
___________________________________
Fotocredit © Transgrancanaria 2020
19946 (im Wald) von Ivan Molina (im Wald)
16569 und 16572 Diego Calvi (am Ziel)
26604 Laura Ortiz de Zartate (GoPro Aufnahme)
Transgrancanaria HG
Termine für die nächste Edition 2021 fixiert
Laufstar Pau Capell und Pablo Villa haben die Ziellinie zeitgleich überschritten und meisterten die Distanz von 125 km in unglaublichen 13 Stunden 4 Minuten und 10 Sekunden.
Der Termin für die nächste Ausgabe ist bereits fixiert, vorbehaltlich, dass wir bis dahin die Coronavirus Pandemie in den Griff bekommen. Er findet vom 24. bis zum 28. Februar 2021 statt.
https://www.transgrancanaria.net/