Ein bahnbrechendes Meisterwerk der Konstruktion war der mechanische Webstuhl, der die Textilindustrie revolutionierte. Man schätzt, dass Mitte des 17. Jhdts. etwa ein Zehntel der Haushalte in der Gemeinde Agüimes einen Handwebstuhl hatten. Dieser wurde normalerweise von Frauen bedient, die damit das Haushaltseinkommen der Familie aufbesserten.
Kunstfasern und maschinell produzierte Textilien in Megafabriken verdrängten vor allem in den industrialisierten Ländern die Handwebereien. Allerdings hat in den letzten Jahren ein neuer Trend eingesetzt, die Nachhaltigkeit, Ökologie und Fair Trade hoch halten. Nicht zuletzt sind die Umweltverträglichkeit und -freundlichkeit wichtige Argumente für die Rückbesinnung auf natürliche Materialien. Immerhin machen die End(färbe)prozesse der Textilindustrie etwa ein Fünftel der weltweiten Wasserverschmutzung aus.1) Die durch die Reinigung entstehende hochgiftige Schlacke wird sorglos in der Natur entsorgt und lässt für viele Jahre ‚totes Land‘ entstehen.
Auf Gran Canaria besuchten wir die offiziell von der kanarischen Kunsthandwerksstiftung FEDAC registrierte Ulrike Güse. Die Deutsche lebt seit 2007 in Las Palmas de Gran Canaria und hat seit einigen Jahren ihr Atelier in der c/Rosarito in Las Palmas de Gran Canaria in unmittelbarer Nähe zum Mercado del Puerto de la Luz. Ein Kontermarschwebstuhl dominiert den Raum, der mit seinen hohen Decken an ein kleines Loft erinnert. Es stapeln sich Garne in allen erdenklichen Farben. Diverse Werkstücke sind zur Schau gestellt und demonstrieren verschiedene Techniken.
Initial: Es war Liebe
Ulrike stammt aus Bielefeld in Nordrhein-Westfahlen und ist gelernte Siebdruckerin, was ihr nach dem Auswandern im Jahr 1998 zugute gekommen ist. Sie hatte Lust auf Veränderung und eine neue Liebe und das fantastische Wetter waren mehr als überzeugend diesen Schritt zu versuchen. Da sie schon damals spanisch sprach, fand sie mit ihrer Berufsausbildung schnell eine Arbeit bei einer großen kanarischen Tageszeitung. Die Lebensgemeinschaft scheiterte und sie musste sich die folgenden Jahre in der neuen fremden Heimat als Alleinerzieherin durch das Leben schlagen.
Wie ein roter Faden … blieb neben ihrer Erwerbstätigkeit ihre Affinität zu Textilien bzw. zum Weben. Als ihre Tochter vor zwölf Jahren ausgezogen ist, gönnte sich Ulrike ihren ersten eigenen Webstuhl. Den hatten ihr ihre Freundinnen aus Deutschland in Einzelteile zerlegt mitgebracht. „Das Zusammenbauen dauerte seine Zeit“ schmunzelt sie sinnierend an ihre Anfänge und führt aus: „Viele Zufälle haben dazu geführt, dass ich mich mehr und mehr in diese Richtung entwickeln konnte. Auch dieses Atelier, das sich in dem Haus befindet, in dem ich seit 20 Jahren wohne und mit Glück genau zur richtigen Zeit freigeworden ist.“
Ein Blick auf das Holzungetüm lässt mich anerkennend nicken, während Ulrike mit ihren Erläuterungen fortfährt: „Die zentrale, doch gleichzeitig ruhige Lage ist sehr von Vorteil. Die Nähe zu meiner Wohnung schätze ich ebenso, wodurch ich zeitlich absolut flexibel sein kann. Zudem ist das Atelier ebenerdig und die PassantInnen erblicken den Webstuhl und manche zieht die Neugierde dann herein.“
Natur pur - im Geist der Nachhaltigkeit
Seit ca. 6 Jahren geht Ulrike ihrem Handwerk hauptberuflich nach und die FEDAC Vereinigung widmete ihrem Kunsthandwerk sogar eine Sonderausstellung in der Hauptstadt. Sie verarbeitet ausschließlich hochwertige Naturmaterialien, wie beispielsweise Seide, Wolle und Leinen. Ihre Beweggründe erklärt sie so: „In den letzten Jahren ist ein Trend zu beobachten und zwar unter zweierlei Gesichtspunkten. Die Menschen wollen wieder Qualität, die zeitlos und haltbar ist. Sie suchen nach hochwertigen Einzelstücken, so individuell wie die TrägerInnen selbst. Andererseits ist das Weben ein sehr kreativer und meditativer Prozess, aber auch sehr zeitaufwändig.“
Farbspiele
Ulrike hat sich im Laufe der Jahre durch konsequente Weiterbildungen als Färbespezialistin etabliert, denn sie färbt ihre Stoffe ausschließlich mit Naturfarben. Eines ihrer Idole ist Nilia Bañares Baudet. Um die Liebe und den Bezug zu den Kanaren herzustellen, fokussiert sie sich in der Pflanzenauswahl auf hiesige Exemplare. Mit der Guave er
zeugt sie den schönsten Goldton u.s.w. Aber auch die einstmals wirtschaftlich für die Kanarischen Inseln so bedeutende Färbemethode mittels Schildlaus (Chochenille) steht auf dem Plan.
Ulrike erstellt Einzelstücke, wie z. B. Schultertücher, Schals, Wohntextilien, Täschchen, Armbänder etc. und klarerweise kosten diese, schon aufgrund der verwendeten Materialien und des Zeitaufwands, mehr als die synthetisch hergestellte Massenware aus Fernost. Ein handgewebter Poncho kostet in etwa 220 Euro.
Kurse & Kreativurlaub
Mit ihrer gestalterischen Sensibilität und ihrem Know-How hat sich die Kunsthandwerkerin einen sehr guten Ruf erarbeitet und inzwischen eine kleine Community aufgebaut. Seit einiger Zeit bietet sie zudem Webkurse an, die vorwiegend von unabhängigen allein reisenden Frauen gebucht werden. Die Kurse laufen unter dem Motto „[vawaa] - vacation for an artist“ und versteht sich als Webkurs für Kreativurlauber und Individualisten.
In 20 Stunden verteilt auf fünf Tage erlernen die KursteilnehmerInnen alles, was für das Weben wichtig ist und sie erläuert ihren Zugang: „Ich unterrichte individuell und kann so zu hundert Prozent auf die Kunden eingehen. Ich helfe auch drumherum mit Tipps, wie z. B. Ausflüge oder Konzerte. Es haben sich durch meine Kurse sogar echte Freundschaften entwickelt. Ich möchte ihnen die echte kanarische Herzlichkeit und Gastfreundlichkeit in Verbindung mit landestypischen Eigenheiten zeigen.“
Sonderausstellung
19. April bis 14. Mai 2021
Ulrike Güse wird gemeinsam mit der Goldschmiedin Ivonne Díaz in einer Sonderausstellung anzutreffen sein, die von der Kunsthandwerkerstiftung FEDAC organisiert wird. Ort: Sala Fedac, c/Domingo J. Navarro 6 in Las Palmas de Gran Canaria. Geöffnet: Mo. - Fr. von 10 bis 19 Uhr und Sa. von 10 bis 13 Uhr.
KONTAKT
Ulrike Guse - Ulitasloom, Kunsthandwerkerin in der c/Rosarito 6, E-35008 Las Palmas de Gran Canaria (in unmittelbarer Nähe des Mercado del Puerto)
Grundsätzlich geöffnet: Mo. bis Fr. von 10.00 bis 14.00 Uhr und 16.00 bis 19.00 Uhr (Terminabsprache empfohlen, Tel.: (+34) 629 952 119
Email: info@ulitasloom.com
www.ulitasloom.com
Instagramm: @ulitasloom
@silkknot
1) CNN vom 12. August 2020 https://www.cnn.com/style/article/colorifix-sustainable-dyeing-water-pollution-spc-intl/index.html