Wenn sich Ihr Flugzeug Gran Canaria nähert, spähen Sie aufgeregt durch das Flugzeugfenster und beugen sich über den Nebensitz, um einen Blick auf das versprochene Paradies bzw. den vermeintlichen Minikontinent zu werfen. Zu diesem Zeitpunkt werden Sie wahrscheinlich nicht mehr als eine braune, stachelige und runde Insel inmitten blauen Wassers sehen. Wenig später taucht die Ostküste auf und Ihre Aufmerksamkeit wird auf eine Küstenebene gelenkt, die mit Gewächshäusern und Deponien optisch wenig ansprechend ist.
Ein kleiner Schauer zieht durch Ihren Körper und ein aufkeimendes Gefühl der Enttäuschung verdrängt ihre Wanderseele kurzerhand. Richten Sie jedoch Ihren Blick zum Horizont, dann begrüßen Sie die hohen Bergkämme mit ihren markanten Formationen, den tiefen Schluchten und Sie hören den Ruf der Natur!
Nach der Landung verwöhnt die warme Sonne Ihre Haut und Sie können die salzige Luft auf Ihren Lippen schmecken. Gran Canaria hält sein Versprechen!
Die Möglichkeiten sind vielfältig, ob Nacht- oder Sonnenuntergangswanderung, Blüten- oder Naturtouren, Berge und Schluchten, Stauseen, Küsten oder abenteuerliche Tunnel. Hier präsentieren wir einen kleinen Auszug:
Gran Canaria im Sommer als Wanderziel gebucht?
Während der warmen Sommermonate halten sich die Canarios am Strand auf oder verstecken sich zuhause und wagen sich erst am späten Nachmittag hinaus. „Tomar la fresca“ ist ein spanischer Brauch, am frühen Abend einen Stuhl herauszuziehen, sich strategisch auf dem Bürgersteig zu positionieren und mit den Nachbarn zu plaudern. Die Canarios haben eine eigene Version: Ganze Familien legen Klappsitze ins Auto, fahren in die Berge und positionieren sich entlang der Straße. Während Oma und Opa auf der Hut sind, machen sich die zweite und dritte Generation auf den Weg. Am besten in die Nähe eines Stausees, da es dort flach ist.
Der Abendspaziergang endet ausnahmslos mit einem göttlichen Sonnenuntergang, bei dem ein heißes Leuchten das Plateau goldgelb färbt und der vorspanische Sonnengott Acorán hinter Teneriffa im Meer versinkt. Frühaufsteher entscheiden sich in der heißen Jahreszeit für eine anspruchsvollere Form - Sie machen eine Tautour. Ihr Wecker klingelt zu einer ungeheur frühen Stunde. Nach einem schnellen Frühstück gehen sie in fluoreszierender Kleidung und mit Scheinwerfern bewaffnet in die Berge. Felsige Pfade, die nach Tau und nassem Sand riechen, führen sie schnell zu höheren Stellen, wo sie mit einem einsamen Sonnenaufgang belohnt werden. Wenn die Welt noch schläft, heisst wandern Freiheit!
Es locken Stauseen
Die Insel ist mit mehr als 100 Stauseen übersät, von denen 69 als große Becken gelten. Viele sogenannte ‚presas‘ sind von einem Netz von Kanälen und Rinnsälen umgeben, die in der Regenzeit das Wasser in die Becken leiten und oftmals als Wanderwege dienen. Zum Beispiel bietet der Stausee „Las Niñas“ eine Reihe von Wandermöglichkeiten. Sein „Gran Circular“, die Grosse Rundtour, ist immer ein Hit! Zwischen März und Juni wandern Sie dort durch ein Blumenmeer, wenn die Ginsterarten blühen. Archäologische Stätten aus vorspanischer Zeit, die mit Keramikscherben übersät und mit Höhlenmalereien verziert sind, verleihen einen kulturellen Touch. Jeder, der Architektur liebt, wird die Genialität eines Staudamms als intellektuelle Herausforderung erkennen. Ein Picknick in der Mitte des angrenzenden Plateaus ist das Tüpfelchen auf dem i. Während die Seele sich an der Natur labt, salben die Ausblicke die Augen der Naturliebhaber mit Panoramen, die sich bis zur Nachbarinsel Teneriffa erstrecken. Für einen zusätzlichen Adrenalinschub sorgt beispielsweise ein Picknick am Rande des Felsens über der Schlucht von Arguineguín, die hunderte Meter in die Tiefe reicht.
Steckbrief: Rundwanderung „Gran Circular Presa de Las Niñas“: 7 km, 120 m Höhenunterschied
Lust auf einen unterirdischen Tunnelspaziergang?
Gran Canaria hat eine sehr reiche Wasserkultur, die mehr als nur die Stauseen umfasst. Bis zum 15. Jahrhundert waren die meisten Schluchten mit einem natürlichen Wasserlauf gesegnet. Nach der spanischen Eroberung wurden große Teile des Landes und die Grundwasserreservoirs unter den verschiedenen Eroberern verteilt. Das Rennen um das Wasser begann. Gran Canarias Boden wurde mit Wasserminen und Wassergalerien durchlöchert. Kanäle, Brunnen und Stauseen wurden „als ob es kein morgen gäbe‟ gebaut. Die Konsequenzen?
Die natürlichen Wasserläufe sind ausgetrocknet und die Untererde sieht aus wie ein Käse mit Löchern. Viele Tunnel und Kanäle wurden im Laufe der Jahre nicht mehr genutzt und im letzten Jahrzehnt von Wanderern entdeckt. Diese Wassertunnel verleihen jeder Bergwanderung ein zusätzliches Spannungselement. Wenn Sie den Tunnel am anderen Ende verlassen, werden Sie von einer neuen und frischen Landschaft überrascht. Sonne und Schatten wechseln sich bei Tunnelwanderungen ab, genau wie Wärme und Kühle. Und anstatt senkrecht über den Berg zu wandern, geht man geradeaus hindurch.
Steckbrief: „Tunnelwanderung zwischen Chira und Soria“: 6 km, 190 m Höhenunterschied
Flach, flacher, am flachsten
Llanos de Pargana, Llanos de La Pez, Llanos de Ana López ... „Llanos“ bezeichnen Hochebenen. Die drei oben genannten Perlen liegen versteckt zwischen Gran Canarias höchsten Gipfeln einerseits und dem Kraterrand der Caldera de Tejeda andererseits. Wege schlängeln sich von einem Plateau zum anderen. Der Höhenunterschied ist gering. Die meisten Llanos im Zentralmassiv befinden sich auf einer Höhe von mehr als 1500 m und sind nur einen Steinwurf voneinander entfernt. Auch hier tobt zwischen März und Juni ein Blütenmeer, wenn der gelbe Ginster, auch kleinblättrige Teline genannt, der rosa Salbei, derlila Besen-Schöterich und die weißen Margeriten in voller Blüte stehen. Botaniker, Wanderer und Geologen genießen hier die natürliche Schönheit in vollen Zügen.
Steckbrief: „Llanos de la Cumbre“: 6,5 km, 130 m Höhenunterschied
Lassen Sie die natürliche Schönheit Gran Canarias Ihre Seele erobern und tragen Sie, wie seine Bewohner, den Sommer in Ihrem Herzen!
Sofie Hendrikx
Fotos:
01: Picknickplatz am Stausee Presa de las Niñas (im Moment darf aufgrund Brandgefahr nicht gegrillt werden)
02: Barranco de Andén mit dem längsten Wasserfall der Insel
03: Blick auf den ‚heiligen Berg‘ der Altkanarier, dem Roque Bentaiga und dahinter auf den Teide auf Teneriffa
04: Route des Blauen Natternkopfs (tajinaste azul), eine endemische Pflanze, die Ende März bis Ende April in bezaubernder Blüte steht
05: Wandern im „Dschungel von Moya“