Ausgabe Nr.
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J M upload 01.04.2024, Viva Edition 210 | Print article

Yoandy Suárez Suárez. Der philosophierende Künstler nun auf Gran Canaria

Kunst liegt im Auge des Betrachters. Diesen weit verbreiteten Satz lasse ich dahingestellt und frage mich doch, wieso manche Werke unendlich viele Betrachter anziehen und Aufsehen erregen während andere mit einem Wimpernschlag aus unserem Gedächtnis gelöscht sind? Obwohl es vermeintlich nichts Neues mehr gibt, tauchen doch immer wieder Werke auf, die unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen und das ‚gewisse Etwas‘ haben. Durch einen Zufall sah ich ein Relief der Fassade einer lieben Freundin und lernte so ‚Neuankömmling‘ Yoandy Suárez Suárez kennen, der seinen Lebensmittelpunkt von Kuba auf die Kanarischen Inseln verlagert hat. Dabei ist er nicht Bildhauer, sondern ein talentierter Maler, dessen großformatige Gemälde seit langer Zeit auch außerhalb seiner Heimat zu sehen waren, u. a. in Frankreich (Paris, Marseille), Singapur, Japan, Mexiko und der USA. 

Doch was ist Kunst für einen Künstler? Ich treffe mich mit Yoandy, einem herrlich unprätentiösen und charmanten, zugegebenermaßen auch attraktiven, 40-jährigen Mann. Er erklärt es mir so: „Ein Künstler ist in erster Linie ein Philosoph, der sich mit Fragen auseinandersetzt und diese auf individuelle Weise ausdrückt. Das Ergebnis ist eine subjektive Sicht, die sich an den Betrachter richtet, ungeachtet dessen, ob diesem die Art der Realisierung und das künstlerische Mittel gefällt oder nicht. So ist es auch bei mir. Ich habe das große Glück, dass ich über das Können und profundes Hintergrundwissen über verschiedenste Techniken verfüge, um mich künstlerisch völlig frei ausdrücken zu können, egal ob mit Pinsel, Farbe, Stiften oder mit Zement.“

Yoandy absolvierte das Lehramtsstudium zum Kunstlehrer an der EIA (Escuela de Instructores de Arte) in Havanna und machte anschließend seinen Bachelor an der Kunsthochschule ISA (Escuela de Instructores de Arte) in Konservierung und Restaurierung, ebenfalls in Havanna. 

Der Mensch als Motiv zieht sich wie ein roter Faden bei seinen Werken durch und ihn interpretiert er in all seiner mannigfaltigen Individualität, wie es  auch der Realität entspricht: alt, jung, hübsch oder nicht, Mann, Frau etc. Der abstrakten Kunst widmete sich Yoandy vornehmlich für seine Einzelexpositionen in Marseille. Die Franzosen lieben es eben informell.

Er führt seine Sicht aus: „Die Essenz eines Menschen und des Menschseins im Kontext zu verschiedenen Aspekten beschäftigen mich schon ein Leben lang. Der erste Schritt ist das ‚Philosophieren, dann kommt die Idee zu einem Thema. Danach setze ich mich hin und überlege mir, wie ich das darstellen kann, wie viele Werke ich für eine entsprechende Serie benötige etc. Je nach Phase höre ich unterschiedliche Musik und das laut und je energiereicher, desto besser. Normalerweise male ich gleichzeitig an mehreren Leinwänden, denn so kann ich tote Zeiten, die sich während der Trocknung der einzelnen Schichten ergeben können, vermeiden. Das ist effizient und ich kann meine volle Konzentration auf den Arbeitsfluss lenken.“

Die neue Heimat ...

Yoandy sinniert weiter: „Meine Heimat Kuba für immer zu verlassen, war die schwierigste Entscheidung in meinem Leben. Aber mit der Geburt meines Sohnes hat sich für mich alles verändert, meine Sicht auf die Welt und meine Prioritäten. Ich fragte mich, was kann ich in diesem Land meinen Kindern bieten? Welche Zukunft haben sie hier, wenn es schon für mich kaum Perspektiven gibt. 

Es ist sogar noch schlimmer, denn es gibt nicht einmal die Freiheit, seine Meinung offen zu äußern, wenn sie dem Proporz nicht genehm ist. Wer Kritik äußert, muss gar mit Repressalien und Einschüchterungen rechnen. So ist es auch mir ergangen. Das war nicht zuletzt der ausschlaggebende Grund für den finalen Entschluss, den meine Frau und ich gemeinsam gefällt haben. Mir ist bewusst, dass sie ein großes Opfer brachte, denn die erste Zeit war ich alleine hier, um die Papiere zu regeln, eine Wohnung zu finden etc. Wir haben uns schrecklich vermisst, doch dank der neuen Mobiltelefone und WiFi haben wir jeden Tag mehrmals miteinander per Video kommuniziert. Sie musste in dieser Zeit die ganze Verantwortung und den Alltag alleine stemmen. Das war für uns beide eine sehr schwierige Zeit.“

Verbunden: Kubaner und die Kanaren

Wieso die Wahl auf Gran Canaria fiel, erklärt  mit Yoandy wie folgt: „Ich hatte das Glück, dass ich durch meine Kunst schon immer viel reisen konnte. Dadurch habe ich neue Länder und deren Kultur, Gesellschaft und das soziale Umfeld kennengelernt. Die Wahl ein neues Leben auf den Kanaren bzw. auf Gran Canaria zu beginnen, lag irgendwie auf der Hand. Ich war schon einmal hier und hatte dadurch bereits soziale Kontakte. Hier spricht man  dieselbe Sprache, hat eine ähnliche Kultur, eine hohe Sicherheit und ein stabiles politisches Umfeld ohne Repressalien. Nicht zuletzt ist die Nähe zu Europa ideal. Das vereinfacht die Anreise zu meinen Ausstellungen, was in der Vergangenheit immer mit enorm viel  bürokratischem Aufwand verbunden war. Außerdem gibt es hier eine große kubanische Community und eine enge historische Verflechtung zwischen den beiden Inseln.1)

Mir fällt bei unserem Gespräch die Klarheit seiner Gedanken und präzisen Formulierungen angenehm auf.  In den nachfolgenden Treffen habe ich Yoandy als eine großartige Person kennengelernt, die andere mit höflichem Respekt behandelt und stets die Ruhe bewahrt, wo andere längst ausfällig geworden wären. Missgeschicke oder Fehler bringen ihn nicht aus dem Konzept. Wenn man tatsächlich erntet was man sät, wie es im Volksmund heißt, dann erschienen mir seine nächsten Sätze unter diesem Gesichtspunkt nur allzu logisch.

Yoandy erinnert sich an seine Anfangszeit in seiner neuen Heimat auf Gran Canaria: „Ich bin sehr dankbar, dass ich von Anfang an sehr viel Glück hatte. Ich lernte herzensgute Menschen kennen und von einem Zufall zum nächsten haben sich die Dinge für mich bisher gut entwickelt, um hier meine Existenz auf stabile Füße zu setzen.“

Kommerzielle Kunst ...

Wofür schlägt sein Herz? Yoandy schmunzelt und erläutert wie folgt: „Eine Einstellung ist nur eine Momentaufnahme und kann bzw. muss, sich mit neuen Gegebenheiten verändern, ohne die Grundsäulen der ethnischen Ansprüche an sich selbst und das Umfeld zu torpedieren. Ich male gerne für mich und wähle Themen, die mir am Herzen liegen und realisiere sie mit jenen Mitteln, die ich zu diesem Zeitpunkt für richtig halte. Und hier reicht die Palette von Abstrakt bis sehr realistisch. Manchmal realisiere ich auch Auftragsarbeiten und versuche die Wünsche meiner Klienten richtig zu verstehen, um sie bestmöglich umsetzen zu können. Wenn sie am Ende glücklich sind, bin ich es auch. Letztendlich ist es unwichtig, ob jemand ein Gemälde durch Zufall entdeckt oder sich eines machen lässt, solange das Ergebnis das eigene Herz berührt. Nur das zählt.“

Diese Meinung teile ich zweifelsohne, allerdings muss der Vollständigkeit halber erwähnt werden, dass es auch rein finanzielle Motive für den Erwerb von Kunst gibt. Gemälde erzielen am internationalen Kunstmarkt wieder Rekordpreise und werden als langfristige Investition be- und gewertet. Der globale Kunstmarkt erreichte 2022 wieder das Niveau vor der Pandemie und belief sich mit einem Wachstum von drei Prozent auf ca. 68 Milliarden US-Dollar.

Den Luxus sich seiner Kunst ausschließlich in seinem Atelier hinzugeben haben wohl die wenigsten Künstler. Networking läuft heutzutage auf vielen Schienen und daher ist es längst nicht mehr möglich, Soziale Netzwerke gänzlich außen vor zu lassen.

Was ist noch geplant?

Im März 2024 fand seine erste Vernissage mit dem Titel „Körperwelten“ auf Gran Canaria statt. Der ungewöhnliche Ausstellungsort war das Fitnesscenter Havana Gym Maspalomas und die dargestellten Menschen dieser Serie waren unisono Personen, die dort trainierten. Sie widmen allesamt ihren Körpern eine entsprechende Aufmerksamkeit, allerdings auch unterschiedlichen Motivationen heraus.

Im Mai 2024 steht die nächste Einzelausstellung im Designhotel Bohemia Suites & Spa an. 

Und was kommt danach? Yoandy hat schon viele Ideen, aber einen ambitionierten Traum: „Mein Traum wäre ein großes Atelier zu finden, denn je mehr Platz ich habe, desto besser kann ich mich künstlerisch verwirklichen. Vielleicht finde ich ein leistbares verlassenes Gebäude oder ähnliches. A la long möchte ich gerne Kunst unterrichten und zwar in meiner eigenen Kunstschule.“ 

Mit diesen schönen Worten schließe ich dieses Gespräch und wünsche viel Erfolg. Seinen ersten Kunstschüler hat Yoandy bereits mit meiner Person seine erste Schülerin gefunden, denn von ihm kann ich nicht nur Maltechniken lernen, sondern auch, wie man die Nerven in schwierigen Situationen bewahrt.  

Julija Major

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Verweise

1(Viva Canarias Nr. 174 vom 2.4.2021 „Kuba und die Kanaren. Immigration und Emigration im ständigen Wechsel“ (Anm.: Schätzungen zufolge lebten in den 1880-er Jahren um die 60.000 Kanarier auf Kuba. Umgekehrt leben aktuell um die 14.000 Kubaner auf dem Archipel. Stand: 1. Januar 2022)

MEILENSTEINE

Einzelausstellungen

• 2024: Körperlichkeiten (Maspalomas, Gran Canaria)
• 2019: Diario (Biennale Havanna, Kuba)
• 2017: Anhelo Cubano (Paris, 114 Boulevard Arago)
• 2015: Dreams (Antalya, Türkei)
• 2010: Fiesta (Serangoon Gardens Country Club, Singapur)
• 2008: Paisajes (Onepiecepainting Gallery, Singapur)

Gruppenausstellungen

2023: Oxígeno (Hotel Gran Manzana Kempinski, Havanna, Kuba)
2022: Expo Latinos (Kulturinstitut Houston, Texas, USA)
• 2021: Arte Vivo (Kulturinstitut Houston, Texas, USA)
• 2020: Arte desde el Interior (Museo Puertas Abiertas, Mexiko)
• 2020: Post Identidad (Fabrica de Arte Cubano, Havanna, Kuba)
• 2019: Todas Las Manos (Plaza de la Revolución, Havanna, Kuba)
• 2019: Xico (Kunstfabrik Kuba in Havanna)
• 2019: Confluencias (Hotel Gran Manzana Kempinski, Havanna, Kuba)
• 2018: Re-Visiones (Museo Juan Gualberto Gómez, Havanna, Kuba)

Mitgliedschaften

• Seit 2017: Künstler und Professor am Gemeinschaftsprojekt und Soziokulturelles Bild „3“ in Paseo del Prado, La Habana, Kuba. 
• Seit 2022: Gründer und Leiter von „Quebrado Plainair Painting Kuba“.
• Professor des Instituts ISA (Superior Institute of Art) der Facultad Artes de la Conservación del Patrimonio Cultural (Conservation y Restoration of Easel Painting).
• Freischaffender Künstler (Registrierungsnummer 21653)

Auszeichnungen

• Erster Preis in Restauration bei der „IV Jornada Nacional del Joven Investigador del Patrimonio“ der Kunstfakultät für die Erhaltung des kulturellen Erbes ISA in Havanna.
• Erwähnungspreis „Viacrucis“ des Salón de la Ciudad im Centro Provincial de las Artes Plásticas, Havanna.

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Überblick seines künstlerischen Schaffens (Link zu Portfolio und Ausstellungskatalogen)

SELECTED ARTWORK PORTFOLIO

DIEZ MIL COLORES Y UN CAMINO

EXPOSICION „KÖRPERLICHKEITEN", 2014, Gran Canaria

Yoandy Suárez Art