Ausgabe Nr.
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J M upload 01.10.2023, Viva Edition 204 | Print article

Zauberhafte Natur: Kanarische Flora - typisch oder endemisch? Drago & Co.

Viele Gesichter präsentiert uns die Insel Gran Canaria und trägt nicht ohne Grund den Spitznamen Minikontinent. Abwechslungsreiche Landschaften wechseln sich innerhalb weniger Kilometer ab, seien es Dünen, karstige Küstenzonen, üppig bewachsene Gegenden des Nordens oder beeindruckende Berglandschaften mit spektakulären Ausblicken. Genauso mannigfaltig hat sich im Laufe der Jahrhunderte die hiesige Flora entwickelt, unserem Thema in dieser Ausgabe. Von der Eiszeit verschont geblieben, konnten hier einige Pflanzen überleben, wie z. B. die originären Lorbeerwälder im Inselnorden. Durch die Randlage weitab des Festlands waren daher primär Zugvögel für die weitere Expansion des Artenreichtums verantwortlich, ließen sie doch beim Überfliegen fremdländische Samen hier. 

Die Evolution und das vielerorts vorherrschende und gleichzeitig spezifische Mikroklima brachten zudem eine Fülle an Endemismen hervor, denken wir beispielsweise an die zarte Blume Dama de Bandama, die Flor de Mayo im Naturschutzgebiet von Los Tilos de Mofa, der herrlich blau blühende Natternkopf (Tajinaste Azul)9) in der Gegend von Valsequillo oder die weit verbreitete Kanarische Dattelpalme (Phoenix canariensis). Ob Gräser, Wälder, Palmen, Kakteen, Sukkulenten, Moos, Flechten, Hortensien, Sträucher, Blütenpflanzen etc. jede Pflanze fand ihr perfektes ‚Domizil‘.

Mit der (Wieder)Entdeckung der Neuen Welt setzte eine rege Reise- und Handelstätigkeit ein. Schiffe und Passagiere aus aller Herren Länder brachten auch neue Pflanzen mit, die hier ideale Wachstumsbedingungen vorfanden. Denken wir beispielsweise an die Tomaten, Kartoffeln oder Bananen.

Der Botaniker Erik Ragnar Sventenius sammelte heimische Pflanzen und Samen, um diese in einer zentralen Datenbank zu erfassen und vor dem Aussterben zu schützen. So konnte beispielsweise der Lila Wüstenflieder,4) der eigentlich als ausgestorben galt, im Parque Tony Gallardo sowie in den Dünen von Maspalomas wieder erfolgreich gezogen werden. Der Parque Jardín Canario2) ist in Tafira bei Las Palmas de Gran Canaria und ist öffentlich zugänglich (siehe Verweise).

Exotische Schönheiten aus fernen Ländern haben wir vor allem den Menschen zu verdanken, wenngleich einige sich negativ auf die hiesige Biodiversität ausgewirkt haben und manche Endemismen gefährdeten. Der per Briefpost im Jahr 19. Jhdt. auf die Insel gelangte, majestätische Eukalyptusbaum ist in einigen Zonen zwar nicht mehr wegzudenken, braucht jedoch eine Unmenge an Wasser und wurzelt vereinnahmend. Einen ebenso gnadenlosen territorialen Anspruch stellen Opuntien dar, die im 18. Jhdt. zur Züchtung der Schildläuse für die Produktion des roten Karmesin-Farbstoffs eingeführt wurden. Inzwischen sind sie untrennbar mit der hiesigen Landschaft verbunden, ebenso wie Schilf, doch der stellt eine große Brandgefahr dar und ist jedoch nicht mehr auszurotten.

Viele tropische und subtropische Pflanzen sind als ‚Immigranten‘ gekommen und prägen das hiesige Ortsbild, vor allem als Zierpflanzen. 

Die Herzogin von Arucas war beispielsweise eine ausgewiesene Sammlerin und davon können Sie sich im, inzwischen öffentlich zugänglichen, botanischen Park3) überzeugen. Der Park verzaubert mit seinem historischen Charme und seinem alten Pflanzenbestand. Wer es noch älter möchte, der muss den im Jahr 1788 auf Teneriffa eröffneten Jardín Botanico de Puerto de la Cruz besuchen. Ein Highlight!1)

Typische Flora auf den Kanarischen Inseln

Manche Pflanzen sind derart weit verbreitet und typisch für Gran Canaria, dass wir sie gerne vorstellen möchten. Um andere reihen sich Mythen und Legenden, sodass sie mit der kanarischen Seele fest verwurzelt sind. Jedenfalls werden Sie so manche Exemplare entdecken, die Sie auch in ihrer Heimat kennen, nur halt in einer „Miniversion“, denn auf den Kanarischen Inseln scheinen den Pflanzen keine Wachstumsgrenzen gesetzt zu sein.

Die ‚heilige Kanarische Kiefer‘ macht alles mit

Die endemische Kanarische Kiefer (bot. Pinus canariensis) hat auf Gran Canaria einen besonderen Stellenwert. Zuerst reisen wir ins 16. Jhdt. Kurz nach der Hispanisierung soll die Jungfrau über einer Pinie schwebend in Teror erschienen sein, was der katholischen Kirche sehr zugute kam, nachdem dies die Christianisierung der indigenen Bevölkerung vorangetrieben hat. Daher ist die Virgen del Pino auch die Inselpatronin und am vermeintlichen Ort ihrer Erscheinung steht heute die Basilika von Teror.5)

Die auf Gran Canaria weit verbreitete Kanarische Kiefer, mit dem größten zusammenhängenden Wald beim Tamadaba-Gebiet, ist auch das Natursymbol der Insel La Palma. Obwohl der Baum bis zu 40 Metern Höhe erreichen kann, dominieren auf dem Archipel Exemplare zwischen 15 und 25 Metern. Sie filtern das Wasser mit ihren Nadeln aus der Luftfeuchtigkeit und sind für den Wasserspeicher bzw. das Ökosystem von großer Bedeutung.

Eine Besonderheit dieses Baums ist die große Regenerationsfähigkeit nach Bränden. Quasi wie ‚Phoenix aus der Asche‘ können auf Rinden, Ästen oder Baumstümpfen wieder Triebe sprießen und dafür sind die vielen Schichten an der Rinde verantwortlich, die den Stammkern, wie ein Schutzmantel, vor dem Verbrennen schützen. Sie verkrustet außen und bietet daher diese Möglichkeit der Regeneration. Die Kanarische Kiefer wird aufgrund des Klimawandels versuchsweise auch in anderen Ländern gepflanzt, wie z. B. in Kanada.

Der Drachenbaum und seine Mythen und Legenden

Der Drachenbaum (Dracaena cinnabari), verdient aufgrund seiner vielen interessante Facetten, die sich um diese kurios anmutende Pflanze reihen, eine eigene Story. Aber einige interessante Mythen wollen wir bereits jetzt ansprechen. Der Drago, wie der Baum auf den Kanaren bezeichnet wird, fällt optisch mit seinen vielen wurstartigen Verästelungen als Baumkrone auf, an deren Ende Blätter wie eine Krone in den Himmel ragen und gemeinsam mit den Ästen eine umgekehrte Halbkugel formen. 

Die Altkanarier schrieben dem Drago eine mystische Wirkung zu, wofür wahrscheinlich das Harz verantwortlich ist. Dieses färbt sich bei Kontakt mit Sauerstoff rot.  Die Urbevölkerung soll „sangre de drago“ beispielsweise bei ihren Mumifizierungen der Bestattungsrituale verwendet haben, obwohl es keine eindeutigen empirischen Studien aus archäologischen Funden dazu gibt. Doch scheinen die Altkanarier die adstringierenden Substanzen, die darin enthalten sind, erkannt haben und verwendeten es zum Blutstillen oder Entzündungshemmer und auch medizinisch zur Behandlung von Wunden, Prellungen oder Quetschungen. Zudem sollen sie damit die Haut rot gefärbt haben und ihre Schilde.

Im Mittelalter avancierte das Produkt zu einem Exportschlager. Angeblich sollen es einst die berühmten Geigenbauer zum Färben des Holzes für die Stradivari verwendet haben.

Ein prachtvolles Exemplar steht im Garten neben dem Hotel Bohemia Suites & Spa in Playa del Inglés.6) Der älteste Baum steht übrigens in Icod de los Vinos auf Teneriffa und wird auf 500 bis 600 Jahre geschätzt. Bekannt sind zudem die großen Dragos im Kulturzentrum sowie im Rathaus von Gáldar. Im Süden findet sich auf der Landstraße GC-500 zwischen San Agustín und Bahía Feliz eine ganze Allee an Dragos.

Viel Spaß bei Ihrer floralen Entdeckungstour!  
Julija Major
 

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Bildbeschriftungen:

1. Cresta de Gayo de Moya (Isoplexis chalcantha)

2. Mai Blume (Flor de mayo, bot. Lathyrus tingitanus)

3. Kanaren-Glockenblume

4. Drachenbaum (Drago)

5. Aeonium (Bejeque, bot. Aeonium percarneum)

6. Kanaren-Wolfsmilch (Cardón, bot. Euphorbia Canariensis)

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Siehe auch Überblick typisch kanarischer Flora

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Verweise

1)Viva Canarias Nr. 164 vom 1.6.2020 - Agave Cacozela erblüht nach 30 Jahren

2)Viva Canarias Nr. 33 vom 12.4.2013 - Botanischer Park Jardín Canario in Tafira

3)Viva Canarias Nr. 116 vom 2.2.2019 - Botanischer Park Jardín de la Marquesa, Arucas

4)Viva Canarias Nr. 161 vom 28.2.2020 - Parque Tony Gallardo wiedereröffnet

5)Viva Canarias Nr. 203 vom 1.9.2023 Gran Canaria ehrt Inselpatronin Virgen del Pino in Teror 2023

6)Viva Canarias Nr. 150 vom 27.3.2019 - Florale Weltreise … durch Maspalomas“

7)Viva Canarias Nr. 144 vom 1.10.2018 - Aloe Vera Teil 1: Auf der Ökofinca

8)Viva Canarias Nr. 145 vom 1.11.2018 - Aloe Vera Teil 2: Das vernachlässigte grüne Gold

9)Viva Canarias Nr. 198 vom 29.3.2022 - Die Natur macht blau im April: Der Blaue Natternkopf blüht

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Siehe auch