Ausgabe Nr.
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J M upload 03.01.2019, Viva Edition 147 | Print article

Urig im Restaurant Los Tabaibales in Calderín

Einen echten Geheimtipp präsentiere ich Ihnen dieses Mal, der im Laufe der letzten fünfzehn Jahre durch Mund zu Mund Propaganda zu einer Pilgerstätte für Freunde von echter kanarischer Gastfreundschaft und regionaler Hausmannskost avancierte. Die Casa Restaurante Los Tabaibales finden Sie in keinem Reiseführer oder auf Tripadvisor und selbst auf Facebook ist man erst neuerdings anzutreffen. Mir wurde dieses Restaurant von meinen lieben Freunden des Schweizer Clubs empfohlen und ich hatte die Ehre und Freude einige von ihnen rund um die Kanarenkennerin Erika Schweizer zu begleiten. Den Ort zu finden, ist fast schon eine Kunst - zumindest falls man, wie in meinem Fall - über keinerlei Orientierungsvermögen verfügt, Google Maps leistet auch nicht immer ausgezeichnete Dienste - vor allem, wenn es sich um abgelegene Ansiedlungen handelt.

Es war ein Donnerstag um kurz vor 20.00 Uhr, als wir uns am Parkplatz vom Einkaufszentrum El Tablero trafen. Ich fuhr der Gruppe im eigenen PKW nach und es ging bis an das Ortsende, wo wir dann links auf eine Landstraße mit dem klingenden Namen Maldonado abbogen. Etwa fünf Minuten fuhren wir durch diese fast unbewohnte Gegend bis zum 2,1 Kilometer entfernten Ort Calderin. An der Kreuzung deutete die leuchtende blaue Reklame mit der Aufschrift „Los Tabaibales“ darauf hin, dass wir am Ziel angelangt waren. Ich war unvoreingenommen und gespannt gleichermaßen.

Schnickschnack? Fehlanzeige.

Zwar befanden sich einige Tische auf einer kleinen Terrasse vor dem Eingang in den Gastraum, doch die kühleren Temperaturen zu dieser Jahreszeit zogen die Gäste hinein. 

Das helle Licht im Inneren blendete mich beinahe und ich kam mir vor wie in einem Operationssaal. „Man gewöhnt sich daran“ hörte ich die Stimme eines Mitglieds unserer Gruppe. Man hatte uns seitlich eine lange Tafel gerichtet, die mit Tischtüchern aus Kunststoff gedeckt waren und auch die Stühle waren aus Plastik. Gut, ich war noch immer unvoreingenommen und gespannt was mich erwarteten würde. Hinter mir waren die Wandregale gespickt mit unzähligen Pokalen, Plaketten und Statuetten. Später habe ich vom Besitzer Martín Encinoso erfahren, dass hier zugleich der Sitz des hiesigen Petanca Clubs ist - dem kanarischen Volkssport.[1] Er selbst ist nicht nur ein ziemlich guter Koch und leidenschaftlicher Hobbymusiker, sondern auch ein sehr guter Sportler - immerhin ist er  sogr kanarischer Petanca Vizemeister geworden. 

An der gegenüberliegenden Wand hängt ein gerahmtes Foto eines bekannten Fußballspielers sowie ein entsprechender Zeitungsausschnitt. Es sei ein lieber Freund des Gastronomen, wie er mir nicht ohne Stolz erklärte.

Urig, herzlich, echt kanarisch ...

Unsere Gruppe hatte Platz genommen und ich setzte meine Beobachtungen fort. In einer Ecke des Lokals sind einige Musikinstrumente zu sehen (Gitarre, Timple und sogar ein Akkordeon). Die Küche befindet sich quasi mitten im Gastraum und durch zwei große halbrunde Fenster können Sie der Dame beim Zubereiten der Speisen im wahrsten Sinne des Wortes ‚auf die Finger schauen‘. Aufgefallen ist mir zudem die unerwartet gründliche Sauberkeit des Lokals, der Küche und, wie ich erfahre, auch des ‚stillen Örtchens‘. Die Schweizer geraten ins Schwärmen, denn so ist es andernorts oftmals nicht.

Wir haben Querbeet durch die Karte bestellt, die ein überaus großes Angebot an typisch kanarischen Speisen führt, die nach Originalrezepten authentisch zubereitet werden und nicht ‚touristisch angepasst‘ wurden. 

Viele der Gerichte werden als Tapa, kleine oder normale Portion angeboten. Wenn Sie mehr als ein Gericht essen wollen, dann empfehle ich unbedingt nur kleine Portionen zu wählen, denn sonst sprengen sie den Knopf Ihrer Hose! Dafür können Sie mehrere Variationen ausprobieren. 

Timple, Akkordeon & Co.

Langsam füllte sich das Lokal bis auf den letzten Platz und nun verstand ich, warum man unbedingt reservierten sollte. Die Musiker sind ebenfalls nach und nach eingetroffen und so gegen 21.00 Uhr spielten sie auf. Die meisten von Ihnen sind Hobbymusiker, wenngleich gute. Und Mitten unter ihnen saß auch der Besitzer Martín und sang mit kräftiger Stimme fröhlich mit, während er auf seinem Akkordeon spielte. Sie alle kennen sich, sind Nachbarn, Freunde oder Familienmitglieder, die gerne singen. Einer in dieser Gruppe, Oscar, ist sogar ein ausgebildeter Opernsänger - Arien gab es an diesem Abend aber nicht. Er meinte, die Kanarier hätten das Singen im Blut. Sie sangen im Reigen und mal unterbrachen Soli und Applaus ihre Darbietungen von Volksliedern und bekannten Schmusesongs à la „Marina, Marina“ oder „La Cucaraccha ya no puede caminar“ 

So schreitet die Zeit voran und die Stimmung war auf dem Höhepunkt. Manche Gäste begannen sogar zu tanzen und viele von ihnen waren Touristen oder ausländische Residente, wenn mich die Einschätzung ihrer Kleidung und Optik nicht trog. Ungeachtet des Alters hat die Musik Einigen am ‚Tanzparkett’  die müden Knochen geheilt - wie es scheint.

Das Leben anno dazumal

Es war schon nach Mitternacht und bedauerlicherweise nahte das Ende eines netten Abends. Die Crew begann dezent mit dem Ab- und Aufräumen. Die Küchenfee begann die großen Fenster zu polieren, nicht ohne Zwischendurch mit ihren Armen im Musikrhythmus mit zu wippen. Zur Sperrstunde nahm ich an der Bar Platz und plauderte mit dem Besitzer Martín Encinoso, ein Name wie aus einer hispanoamerikanischen Novelle entsprungen. 

Wir führten ein sehr persönliches und offenes Gespräch, für das ich ihm sehr dankbar bin. ‚A g’standener Mann‘ würde man in Österreich sagen, der es augenscheinlich nicht notwendig hat, sich hinter Arroganz oder Unnahbarkeit zu verstecken. Ein einfacher und bescheidener und zugleich sympathischer Mensch, der sich an seine entbehrungsreiche Kindheit gut erinnern kann: „Die Menschen können sich das heute nicht vorstellen, aber früher gab es hier gar nichts außer Tomatenfelder. Ich selbst bin in der Gegend vor dem heutigen Sioux City geboren worden, und nicht in einem Krankenhaus. Wir hatten nichts, kaum genug zu essen und ich war eines von 13 Kindern. Meine Eltern schufteten Tag und Nacht, aber auch wir Kinder - das war normal. Ich konnte nur zwei Jahre in die Schule gehen und arbeitete mein Leben lang“. 

Über die harten Lebensumstände der Tomatenbauern habe ich in meiner Ausgabe Nr. 1001) berichtet, doch es ist etwas anderes es persönlich zu erfahren. 

Martin setzt fort: „Wir sind heute  vergleichsweise reich, wenn ich an meine Kindheit zurück denke. Wir haben dieses Lokal und die ganze Familie ist abgesichert - es ist ein echtes Familienunternehmen mit meiner Frau Ángela, Tocher Zaida und Sohn Yeray. Deswegen sehen wir Las Tabaibales auch nicht als  unsere Arbeit, sondern als unser Leben. Wir freuen uns jeden Tag hier zu sein. Wir haben Lust auf Musik, arbeiten und auf unsere Gäste.“

Mit dem aufkeimenden Tourismus wechselte Martín in das Baugewerbe, wo er jahrzehntelang arbeitete. Der Wunsch nach Absicherung seiner Familie war in ihm tief verwurzelt und daher kaufte er vor 28 Jahren das Lokal als ein Investment und vermietete es fünfzehn Jahre lang. Die große Wirtschaftskrise im Jahr 2008/2009 führte zu einer grundlegenden Entscheidung und zwar das Restaurant als Familienbetrieb zuführen und sie haben es geschafft. Freunde und Familie haben einen sehr hohen Stellenwert: „Einmal im Jahr, immer am 1. Mai, treffen sich alle Familienmitglieder. Dann sind wir mitunter 200 bis 300 Personen“, lausche ich ungläubig und staunend seinen Worten.

Die Musik war schon immer eine Leidenschaft in seinem Leben, doch einst war es weit schwieriger, wie mir Martín erzählte: „Früher gab es keine Musikschulen oder ähnliches. Man musste sich alles merken, denn Noten lesen konnte von uns keiner. Tagsüber habe ich auf dem Bau gearbeitet und nachts bin ich in Hotels aufgetreten. So war das damals.“

Der 64-jährige Martin stammt aus einer Generation, in der Fleiß, Disziplin und Durchhaltevermögen normal waren und irgendwie erinnern mich seine Worte auch an meine Eltern. Ich wünsche ihm und seinem Familienbetrieb weiterhin gute Laune und viel Erfolg.

Fazit: Einfache kanarische Hausmannskost, frisch und gut. Sehr üppige Portionen und sehr günstig im Preis. Eine liebenswürdiger Familienbetrieb, bei dem der Spaß nicht zu kurz kommt. Ein Highlight sind die Abende mit Live-Musikdarbietungen (siehe Kontaktkasten.)

Kontakt

Bar Restaurante Los Tabaibales Calderín, Avda. Dr. Calderin / Calle Maldonado 40, 35106 Maspalomas - Gran Canaria. Tel.: 928 142 901 (Reservierung an Abenden mit Live-Musik empfohlen!), Geöffnet: Mi. bis Sa. von 12.30 bis 16.00 Uhr und 19.30 bis 24.00 Uhr. So. von 12.30 bis 17.00 Uhr (montags geschlossen)

Live-Musik mittwochs und freitags ab ca. 21.00 Uhr und donnerstags mit der Parrando Encinoso.
Email: barlosTabaibaleslescalderin@hotmail.com

Footnotes

  1. ^ „Petanca - der beliebte Volkssport mit den ‚Kugeln‘